Die Kaschubei mit allen Sinnen erleben

19. Juni 2019

Ab dem 25. Juni 2019 präsentieren Studierende der Kulturanthropologie/Volkskunde der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) die Ausstellung "Zwischen Eigen und Fremd. Stimmungsbilder der Kaschubei". Sie entwickelte sich aus einem Masterprojekt unter der Leitung von Dr. Oliwia Murawska.

Die Kaschubei hat einen tiefen Eindruck hinterlassen, so viel ist klar. "Schon die Reise dorthin war ein Abenteuer", erzählt Dr. Oliwia Murawska. "Unsere Flüge wurden immer wieder verschoben und verlegt." Als die Gruppe mitten in der Nacht in Danzig ankam, ging es mit dem Bus weiter aufs Land. "Unser Fahrer machte vor einer Brücke halt, weil sie nur dreieinhalb Tonnen trug. Das letzte Stück legten wir also zu Fuß und über unbefestigte Wege zurück." Murawska selbst war zu beschäftigt, um groß auf die Umgebung zu achten. Doch die Studierenden sahen gleich bei ihrer Ankunft den ersten Morgen dämmern. "Sie waren begeistert von der aufgehenden Sonne."

Dieses Bild sollte das Projekt in den nächsten Monaten begleiten – als Foto und als eine Art Programm: als eigener Blickwinkel. "Das Motiv wird auch im Zentrum unserer Ausstellung stehen", sagt Murawska. "Ein Foto von der Morgenröte soll in der zentralen Sichtachse hängen und in den Raum leiten." Dieser Raum ist die Schule des Sehens auf dem Campus der JGU und zugleich die Kaschubei, jener Landstrich, der den meisten allenfalls durch die Werke eines berühmten kaschubisch-deutschen Schriftstellers ein Begriff ist: Günter Grass setzte seiner Heimat ein mächtiges literarisches Denkmal. In seinen Romanen wurden vor allem das alte Danzig, das polnische Gdańsk und das kaschubische Gduńsk lebendig.

Sinnlich-ethnografische Exkursion

Die Ausstellung trägt den Titel "Zwischen Eigen und Fremd. Stimmungsbilder der Kaschubei". 19 Studierende der Kulturanthropologie/Volkskunde der JGU haben sie gemeinsam mit ihrer Dozentin Dr. Oliwia Murawska konzipiert und bis in jedes Detail geplant. Die Schau ist der Endpunkt des Masterprojekts "Geschichte und Revitalisierung der kaschubischen Kultur", das sich über zwei Semester erstreckte. "Es war erst ganz klein geplant", erinnert sich Murawska, "aber dann wuchs und wuchs es."

Mit ihm wuchs auch der Katalog zur Ausstellung, ein immerhin 250 Seiten starker Band. Alle Beiträge sind auf Polnisch und auf Deutsch abgedruckt, denn die Exponate werden wandern: Von der Schule des Sehens soll es in die Kaschubei gehen, wo sie mehrfach Station machen. Ab 3. Oktober 2019 werden sie an der Universität Danzig präsentiert, wo im Zuge des Projekts eine Erasmus-Kooperation zwischen der Mainzer Kulturanthropologie und der Danziger Germanistik angeknüpft wurde. "Ich bin gespannt, wie die Leute dort reagieren", meint Roxana Fiebig. "Schließlich kamen wir von außen und zeigen nun unsere Sicht auf die Region und die Menschen." Fiebig studiert nicht nur Kulturanthropologie, sondern auch Polonistik.

Allzu viel Vorbereitung gab es nicht für die Studierenden, bevor sie in die Kaschubei reisten. "Wir hatten gerade mal drei Sitzungen, bevor es losging", erzählt Martin Koch. Das reichte für ein wenig Lektüre und für eine methodische Ausrichtung. "Wir wählten die sinnlich-ethnografische Herangehensweise", sagt Murawska. "Der ganze Körper mit all seinen Sinnen sollte involviert sein. Wir wollten Gerüche aufnehmen, Geräuschkulissen, den Geschmack der Speisen und Getränke." Das Foto schien als ideales Medium, um ein Stück Kaschubei auf- und mitzunehmen. Daneben führten die Studierenden Feldtagebücher, in die sie ihre Eindrücke notierten. Zudem wurden sie vor Ort von fünf Danziger Germanistik-Studierenden unterstützt.

Kaschubei jenseits der Inszenierung

"Es geht uns in der Ausstellung nicht darum, einfache Antworten zu finden", sagt Marie Scheffler, "wir wollen Komplexität darstellen." – "Wir arbeiten viel mit Gegensätzen", ergänzt Fabian Kölsch. "Wir zeigen die ländliche, aber auch die städtische Kaschubei. Wir skizzieren fließende Grenzen und stellen Irritationsmomente aus."

Die Menschen in der Kaschubei inszenieren sich, ihre Kultur und ihre Geschichte durchaus auch selbst, manchmal bis hin zum Klischee: "In den Heimatmuseen sahen wir die üblichen Trachtenpuppen, altes Handwerkszeug und kaschubische Stickereien", erzählt Fiebig. Jene Stickereien erscheinen auf den Fotos der Ausstellung, allerdings gern in ungewöhnlichem Kontext: Als Deko-Element schmücken sie einen vollen Aschenbecher, oder sie verschönern ein Stromhäuschen, werden da allerdings gleich von modernen Graffitis überdeckt.

Im Kontrast zu den Bildern der Studierenden ist altes Fotomaterial zu sehen, meist aus dem Bestand des Ehepaars Teodora und Izydor Gulgowski. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten sie zu den wegweisenden Akteuren der kaschubischen Regionalbewegung. Unter anderem gründeten sie das Freilichtmuseum in Wdzydze. Scheffler berichtet gemeinsam mit Carina Kühn und Murielle Winckler in ihrem Beitrag "Vor-Bilder" darüber. Izydor Gulgowski verfasste 1911 die bislang einzige volkskundliche Monografie in deutscher Sprache zur Kaschubei. Im Titel schrieb er "Von einem unbekannten deutschen Volke".

Gastdozentin aus Danzig

Zwar war wenig Zeit zur Vorbereitung der Exkursion, dafür fiel jedoch die Nachbereitung umso intensiver aus. Unter anderem war Dr. Miłosława Borzyszkowska-Szewzyk, Germanistin von der Universität Danzig und Mitarbeiterin der Arbeitsstelle zur Erfahrung von Grenzräumen, an der JGU zu Gast. Sie gab nicht nur weiterführende Impulse, sondern wirkte neben Murawska auch als Kuratorin der Ausstellung und als Herausgeberin des Katalogs mit.

In ihrem Beitrag "Vom Grenzland zum Grenzraum. Die Kaschubei als europäischer Zwischenraum" formuliert sie beinahe schon lakonisch: "Die Kaschubei ist eine am südlichen Ufer der Ostsee gelegene Region, die von Kaschuben bewohnt wird. Ihre kulturelle, wirtschaftliche und historische Hauptstadt bildet Danzig. Bei den Kaschuben handelt es sich um eine westslawische, ethnisch-kulturelle Gruppe, die sich durch ein ausgeprägtes Abgrenzungsbewusstsein auf der einen und Zusammengehörigkeitsgefühl auf der anderen Seite auszeichnet. Seit dem Mittelalter haben die Kaschuben in der slawisch-germanischen und später deutsch-polnischen Kontaktzone gelebt."

Die Ausstellung wird diese sachlichen Worte gleich durch eine ganze Reihe sinnlicher Dimensionen ergänzen: Eine gegrillte Forelle liegt unter Zwiebeln und Dill auf einem Plastikteller, beinahe scheint sie zu duften. Eine original kaschubische Stickerei ist unter jenem Bild vom bemalten Stromhäuschen zu sehen. Ein Danziger Student spielt kaschubische Volkslieder auf dem Akkordeon. Das allsehende Auge blickt von der Decke der Holzkirche St. Barbara. Und am Ende wartet die Morgenröte, mit der alles begann.