Tumore und chronische Krankheiten tricksen Immunsystem aus

29. August 2019

Seit Jahrzehnten leisten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) Herausragendes auf dem Gebiet der Immunologie. Dieser Schwerpunkt wurde 2017 mit der Einrichtung des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1292 "Gezielte Beeinflussung von konvergierenden Mechanismen ineffizienter Immunität bei Tumorerkrankungen und chronischen Infektionen" nochmals gestärkt: Für einen Zeitraum von vier Jahren stellte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 9,7 Millionen Euro zur Verfügung.

Prof. Dr. Hansjörg Schild skizziert den besonderen Charakter des vor zwei Jahren gestarteten Projekts: "Unser Sonderforschungsbereich ist für ein biomedizinisches Konsortium sehr interdisziplinär und fokussiert sich nicht ausschließlich auf eine Erkrankung, das unterscheidet ihn von anderen SFBs. Aber indem wir uns mit chronischen Infektionen und Krebserkrankungen – also mit Pathogenen und Tumoren zugleich – beschäftigen, weiten wir unseren Blick auf mögliche Gemeinsamkeiten in der Entstehung und Manifestation der Erkrankungen. Die DFG hat mit ihrer Bewilligung unseres SFB diesen Ansatz bestätigt. Das freut uns natürlich."

Prof. Dr. Tobias Bopp nimmt den Faden auf: "Wenn wir bestimmte, immer wieder auftauchende Mechanismen grundsätzlich verstehen wollen, reicht es nicht, etwa nur einen Typ von Tumor herauszupicken. Wir müssen vergleichende Ansätze finden. Unter anderem haben wir dafür auf organisatorischer Ebene einen Automatismus entwickelt: Unsere einzelnen Forschungsgruppen tauschen sich ungewöhnlich intensiv miteinander aus und lernen sehr viel voneinander."

Strategien der Immunevasion

Die beiden Wissenschaftler sind im neuen Paul-Klein-Zentrum für Immunintervention (PKZI) zusammengekommen, um vom Sonderforschungsbereich 1292 "Gezielte Beeinflussung von konvergierenden Mechanismen ineffizienter Immunität bei Tumorerkrankungen und chronischen Infektionen" zu erzählen. Das Zentrum auf dem Gelände der Universitätsmedizin konnte just im selben Jahr bezogen werden, in dem auch der SFB startete. Hier forschen rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, hier ist das Institut für Immunologie untergebracht, das Schild und Bopp gemeinsam leiten, und hier laufen die Fäden des SFB 1292 zusammen.

"Uns geht es darum, die Ursachen zu finden, die dazu führen, dass Tumore und chronische Erkrankungen sich im Körper etablieren können", erklärt Schild. "Immer wieder entarten Zellen in unserem Körper, aber normalerweise sorgt unser Immunsystem dafür, dass sie nicht über ein paar Teilungen hinauskommen. In einigen Fällen allerdings ist es so, dass ein Tumor weiterwächst. Ähnlich sieht das bei den Infektionen aus. Der Organismus muss sich ständig mit Pathogenen, die von außen eindringen, auseinandersetzen. In der Regel bekommen wir das gar nicht mit, weil unser Immunsystem sie erfolgreich bekämpft. Aber manchmal setzt sich eben doch eine chronische Erkrankung fest."

"In beiden Fällen halten sich Dinge im Körper, die prinzipiell von körpereigenen Strukturen unterschieden werden können", meint Bopp. "Das Immunsystem hat also die Möglichkeit, sie zu erkennen. Aber in beiden Fällen haben wir die Situation, dass das Immunsystem es offensichtlich doch nicht schafft oder aktiv daran gehindert wird. Uns interessieren die Gründe dafür und wir suchen nach Gemeinsamkeiten." Das Immunsystem wird ausgetrickst, die Immunologen sprechen in diesem Fall von Immunevasionsstrategien. Diesen Strategien ist der SFB auf der Spur.

Abwehrmechanismen werden umgepolt

"Den Tumoren und den chronischen Erkrankungen gelingt es, ein Mikromilieu zu etablieren, das das Immunsystem daran hindert, infizierte oder entartete Zellen zu beseitigen", sagt Bopp. "Unser Immunsystem verfügt einerseits über sehr grundlegende Mechanismen, die wir überall wiederfinden, es arbeitet andererseits aber auch sehr gewebespezifisch. So kommen gewisse Populationen von regulatorischen T-Zellen in einigen Geweben sehr häufig vor, in anderen dagegen viel seltener. In einem ersten Schritt wollen wir wissen, ob die Mechanismen, die etwa gegen Tumoren im Gehirn angehen, dieselben sind, die in der Haut oder im Darm wirken. Dann schauen wir, wie die Tumoren diese Mechanismen unwirksam machen oder sie eventuell sogar für sich nutzen. Aus diesen Erkenntnissen können sich dann neue Therapieansätze ergeben."

Bopp erklärt an einem Beispiel, was Krebs konkret im Körper bewirken kann: "Tumore wachsen schnell. Dafür brauchen sie viel Energie. Um an diese Energie zu kommen, machen sie Prozesse der Wundheilung für sich nutzbar, etwa eine Ansäuerung des Gewebes, wie wir sie normalerweise bei einem Muskelkater oder auch jeder Wunde der Haut feststellen. In der Folge setzen immun-vermittelte Reparaturmechanismen ein und eine Entzündung wird unterdrückt. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass das betroffene Gewebe besser durchblutet. Diesen Vorgang kann auch der Tumor für sich in Gang setzen, er wird dann vaskularisiert: Mehr Adern erreichen ihn und versorgen ihn." Bopp leitet das SFB-Teilprojekt "Die ICER-kontrollierte Regulation der Makrophagen-abhängigen Immunevasions-Mechanismen des malignen Melanoms", in dem es um ähnliche Prozesse geht.

Dass sich Parallelen zwischen den Evasionsstrategien von chronischen Krankheiten und Tumoren ziehen lassen, ist bereits länger bekannt. "Verfahren, die wir gegen Krebs anwenden, stammen nicht selten aus Therapien, die zuerst gegen Pathogene entwickelt wurden“, bemerkt Schild. Solche Gemeinsamkeiten sollen durch den Austausch der einzelnen Teilprojekte des SFB gezielt aufgedeckt werden. "Wir haben aber auch die Hoffnung, dass wir mehr Details über die Unterschiedlichkeit der Strategien erfahren. Das erlaubt uns zielgenauere Interventionen mit geringeren Nebenwirkungen."

Zentrum intensiver Grundlagenforschung

Am SFB 1292 sind neben der Universitätsmedizin Mainz und der JGU eine ganze Reihe renommierter Institutionen beteiligt. Eine Gruppe am Paul-Ehrlich-Institut in Langen etwa beschäftigt sich mit HIV-Molekülen, die dazu führen, dass weniger Alarmstoffe gebildet werden. An der Frankfurter Goethe-Universität beschäftigt man sich mit Mechanismen, durch die sich Tumore gegen den programmierten Zelltod schützen. Und die Charité Berlin bringt ihre Expertise zu einem Infekt mit dem Cocksackie-Virus ein, der den Herzmuskel dauerhaft schädigen kann.

"Wir haben diese externen Projekte ausgewählt, weil sie gut zu unserer Forschung passen und wir uns Synergieeffekte erhoffen", erzählt Schild, "aber der Hauptteil der Forschungsgruppen ist bei uns in Mainz angesiedelt. Das ist sinnvoll, denn schließlich ist solch ein SFB als strukturbildendes Element gedacht, das in diesem Fall unseren Forschungsschwerpunkt Immuntherapie voranbringen soll." Deswegen ist unter anderem eine eigene Graduiertenschule integriert, die den Nachwuchs fördert.

Grundlagenforschung prägt die Mainzer Immunologie. "Im Paul-Klein-Zentrum sind allein vier Sonderforschungsbereiche angesiedelt", meint Schild. "Solch eine Konzentration findet sich nirgends sonst an unserer Universitätsmedizin." Er hofft, dass der SFB 1292 auch über die ersten vier Jahre hinaus Bestand haben wird. "Wir sind zwar erst im zweiten Jahr, aber die Zeit vergeht allzu schnell, wenn man so umfassend forscht."