Archäologie muss sich wieder mehr zu Wort melden

28. November 2019

Im November 2018 übernahm Alexandra W. Busch die Leitung des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM), an das sie bereits vier Jahre zuvor als Forschungsdirektorin kam. Mit dem Amt ist eine Professur am Institut für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) verbunden. Die Archäologin schätzt diese enge Verbindung. Im Interview erzählt sie von der Neuausrichtung ihres Hauses und von den vielfältigen wissenschaftlichen Kooperationsmöglichkeiten im Rhein-Main-Gebiet.

"Wir wollen aus der niedlichen und staubigen Ecke heraus, in die unsere Disziplin gern gestellt wird", betont Prof. Dr. Alexandra Busch. "Wir wollen gegen das Klischee angehen, dass wir vor allem alte Töpfe ausgraben und untersuchen. Wir untersuchen die materiellen Hinterlassenschaften des Menschen, um Zusammenhänge, Entwicklungen und deren Folgen zu verstehen, warum zum Beispiel Kulturen untergehen. Als Archäologinnen und Archäologen beschäftigen wir uns mit menschlichem Verhalten und Handeln, mit der Entwicklung und Veränderung von Gesellschaften, also mit zentralen Fragen der Vergangenheit und der Gegenwart. Das haben wir bisher vielleicht nicht immer deutlich genug dargestellt."

Die Generaldirektorin des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM) verbreitet Aufbruchsstimmung – und das gleich in mehrfacher Hinsicht, denn ihr Haus steckt mitten im Umzug. Zwar wird der gut 50 Millionen Euro teure Neubau des RGZM direkt neben dem Museum für Antike Schifffahrt erst Ende 2020 bezugsfertig sein, doch wenn solch eine wichtige Institution umzieht, dauert das seine Zeit.

Rhein-Main: einzigartige archäologische Forschungsstruktur

Busch präsentiert einen der alten Räume im Museumsflügel des Kurfürstlichen Schlosses, wo das RGZM über 167 Jahre hinweg residierte. Einst lockten hier Ausstellungsvitrinen die Besucherinnen und Besucher an, nun reichen mächtige Regale bis unter die Decke, vollgepackt mit einer Unzahl grauer Kartonagen. Schilder geben Auskunft über den Inhalt: Es finden sich Skulpturen, Werkzeuge, Waffen und vieles mehr, darunter natürlich auch jene bereits erwähnten Töpfe. "Wir nutzen den Umzug, um unsere gesamte Sammlung digital zu erschließen", erzählt Busch. "Damit wollen wir sie der wissenschaftlichen Community und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen. Wie viele Stücke wir haben, wissen wir noch nicht genau. Es gibt rund 100.000 Inventarnummern, aber manchmal verbergen sich mehr als 100 Gegenstände hinter einer Nummer."

Das RGZM beherbergt neben allerlei Originalen auch zahlreiche hochwertige Kopien, meist hergestellt in den eigenen Werkstätten. "Die Gründer hatten die Idee, eine möglichst große Zahl von antiken Zeugnissen an einem Ort zusammenzuführen. Ensembles, die sonst über fünf Museen verteilt sind, kann man bei uns zusammen sehen." Dafür steht beispielhaft der Große Ludovisische Schlachtsarkophag, der mit seinen 1,53 Metern Höhe und 2,73 Metern Länge in keine Kiste passt. Das RGZM verfügt über den Originaldeckel, im Museo Nazionale Romano steht der dazugehörige Originalkasten. "Den Sarkophagkasten durften wir für unser Museum abformen und wir haben im Gegenzug eine Kopie des Deckels nach Rom geschickt."

2014 kam Busch als Forschungsdirektorin ans RGZM, Ende 2018 übernahm sie den Posten der Generaldirektorin dieses bedeutenden Leibniz-Forschungsinstituts und Museums. Unmittelbar davor war sie als Leiterin der Fotothek des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom tätig. Nicht nur die herausragende Bedeutung des RGZM zog sie nach Mainz: "Im Rhein-Main-Gebiet haben wir eine deutschlandweit einzigartige archäologische Forschungsstruktur", bemerkt sie. Neben den einschlägigen Instituten der Rhein-Main-Universitäten in Mainz, Frankfurt und Darmstadt nennt Busch vor allem die Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt, die Denkmalämter der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz, aber auch eine lange Reihe von Museen sowie die Hochschulen Mainz und Wiesbaden und selbstverständlich das RGZM selbst. Sie alle schlossen sich 2015 zum Verbund Archäologie Rhein-Main (VARM) zusammen. Busch gehörte zu den Initiatoren. "Durch diese Kooperation entstehen neue Projekte und neue Lehrformate. Wir wachsen noch enger zusammen und es ergeben sich vielfältige Synergien, die unseren Standort noch interessanter machen. Wir bilden eine kritische Masse."

Kooperationen mit JGU und Deutschem Resilienz Zentrum

Mit Buschs Posten als RGZM-Direktorin ist eine Professur am Institut für Altertumswissenschaften der JGU verbunden. "Die Leibniz-Gemeinschaft legt Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit den Universitäten vor Ort und auch mir ist das sehr wichtig." Zwar kann die Archäologin kein volles Lehrdeputat erfüllen, aber sie pflegt den Kontakt. "Ich habe tolle Kolleginnen und Kollegen an der Universität, mit denen ich mich gern austausche. Wir sind stark miteinander vernetzt und haben gemeinsame Verbundprojekte wie den 'Leibniz-WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident' auf den Weg gebracht, der sehr erfolgreich ist." Zudem bieten JGU und RGZM einen dualen Bachelor-Studiengang Archäologische Restaurierung an. "Darüber hinaus gibt es viele Möglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs, bei uns Erfahrungen zu sammeln. Studierende können Praktika absolvieren und werden in unsere Projekte eingebunden."

Auch eine Kooperation mit dem Deutschen Resilienz Zentrum an der JGU kam zustande. "Mit Psychologen aus Mainz und Frankfurt erforschen wir, was den Menschen widerstandsfähig macht, wie er im Laufe der Geschichte auf Stress- und Krisensituationen reagiert, auf Krankheit, Krieg, Vertreibung oder Tod."

Im RGZM selbst arbeitete Busch in den vergangenen Jahren an einem Strategiewechsel mit, an einer Neuausrichtung, die ähnliche Tendenzen aufweist. Das wird sich unter anderem in der Dauerausstellung niederschlagen, die im neuen Haus geplant ist. "Wir werden zeigen, welche Faktoren dazu führen, dass Menschen auf eine bestimmte Weise handeln. Es wird darum gehen, wie sich menschliches Handeln im Spannungsfeld zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entwickelt, wie das Zusammenleben in immer komplexeren Systemen geregelt wird und was es prägt." Auch Phänomene wie Migration oder Flucht, die sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte ziehen, sollen thematisiert werden. "Das sind Sachverhalte, mit denen wir Archäologen uns schon immer beschäftigen. Wir haben es nur nicht immer so deutlich ausgesprochen. Das soll sich ändern."

Das RGZM ist natürlich nicht nur Museum, es ist auch das zweitgrößte archäologische Forschungsinst
itut Deutschlands, vor allem seine Restaurationslaboratorien sind international bekannt und viel gefragt. Für solch eine Institution wurde es allmählich zu eng und zu staubig im alten Haus. Die Unterbringung im Kurfürstlichen Schloss und im Anbau aus den 1960er-Jahren ist mittlerweile weder zeit- noch sachgemäß.

Vom Militär der römischen Kaiserzeit zum Museums-Management

"Unser Neubau bietet nicht nur viel mehr Flächen für Ausstellungen und museale Vermittlungsprogramme", meint Busch. "Wir verfügen auch über eine der umfangreichsten Spezialbibliotheken zur Archäologie, konnten bisher aber nur 26 Leseplätze bieten. In Zukunft werden es 80 sein. Wir bekommen zudem modern ausgestattete Labore und Werkstätten. Das ist für uns eine ganz große Chance – in jeder Hinsicht."

In den 1990er-Jahren studierte Busch Archäologie der römischen Provinzen in Köln und Frankfurt. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit dem Militär im Rom der Kaiserzeit. "Als Leiterin des RGZM mit seinen vier Standorten und 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern musste ich mich natürlich in Gebiete wie Administration, Controlling oder Management einarbeiten. Aber diese Entscheidung habe ich sehr bewusst getroffen. In meiner jetzigen Position habe ich die Möglichkeit, viel zu gestalten, gerade in dieser Region mit ihren vielen archäologischen Institutionen."

Und wenn der Umzug vollzogen ist, kann sie eventuell doch ab und an zu ihren ursprünglichen Themen zurückkehren. "Ich leite immer noch ein ehemals DFG-gefördertes Projekt: In einem Team mit italienischen und Schweizer Kolleginnen und Kollegen untersuchen wir bereits seit Jahren ein Legionslager in Albano bei Rom. Es ist eines der bedeutendsten Lager und zugleich eines der am wenigsten erforschten. Den dritten Band der dem Lager gewidmeten Publikationsreihe werde ich schreiben. Vielleicht komme ich ja dazu, wenn sich im RGZM alles ein wenig eingespielt hat."