Doktor spielen für den Ernstfall

17. Dezember 2012

Im Skills Lab der Universitätsmedizin Mainz lernen Studierende von Studierenden all das, was im Regelstudium manchmal zu kurz kommt. Ob Intubation oder Katheterlegen, Ultraschalluntersuchung oder Anamneseübung: Das Angebot ist vielfältig und schließt eine Lücke in der Lehre.

Weit klafft die Wunde. Es muss genäht werden. Fünf Studierende versuchen sich daran. Das sieht noch etwas ungelenk aus, wie sie in der linken Hand die Zange mit der gebogenen Nadel halten, in der rechten die Pinzette, die den Faden führt. Direktes Berühren ist nicht erlaubt.

"So verringern wir die Infektionsgefahr", erklärt Sebastian Altmann, während er seinen Kommilitonen über die Schulter schaut und Tipps gibt. "Es ist wichtig, dass der Knoten selbst nicht auf der Naht liegt", so sein Rat. "Es ist am besten, wenn ihr von den Wundrändern wegzieht."

Schweinefüße im OP

Nein, hier kommen keine Patienten unter die Nadel. "Wir spielen mit Euch" heißt das Motto des Skills Lab an der Universitätsmedizin Mainz. Tatsächlich wird geübt – ob an Modellen oder an Metzgereiabfällen. "Du findest Schweinefüße attraktiv, hast aber selbst keine?", fragt ein Slogan auf einem der originellen Werbeplakate der Initiative. "Bei uns kannst du auch außerhalb der Nahtkurse täglich von 10 bis 18 Uhr das Nähen an Schweinefüßen üben."

"Im Skills Lab sind wir unsere eigenen Chefs", erzählt Till Kämmerer. Er gehört zu den zwölf Medizinstudenten, die das Skills Lab am Laufen halten. "Uns redet niemand rein. Wir arbeiten wie eine Art Kollektiv." Stolz schwingt in seiner Stimme mit.

Das Dekanat des Fachbereichs Medizin schrieb im Jahr 2003 einen Wettbewerb zur Verbesserung der Lehre aus. Damals reichten Studierende ihren Entwurf für das Skills Lab ein. Ihnen fehlten schlicht Möglichkeiten, praktische Fähigkeiten zu trainieren, die sie später für den Beruf unbedingt brauchen würden. Das wollten sie ändern – und gewannen mit ihrer Idee. Seither läuft das Skills Lab mit großem Erfolg. Die jährlichen Kosten von 30.000 Euro trägt der Fachbereich.

Blut abnehmen, Katheter legen, intubieren

"In der Famulatur, also im medizinischen Praktikum, wirst du gefragt, ob du schon nähen kannst", skizziert Kämmerer eine gängige Praxis. "Verneinst du, lässt man dich nicht ran." Also üben die Studierenden im Skills Lab. Allein 23 Nahtkurse sind dieses Semester im Angebot. Und es gibt noch viel mehr: Blut abnehmen, Katheter legen, intubieren. Derzeit sind 27 verschiedene Kurse gelistet. An die 200 Angebote kommen zusammen.

Im kleinen Büro des Skills Lab ist viel los. Drei Stunden schiebt hier jeder der zwölf Studierenden Dienst. Hinzu kommen elf Hilfskräfte wie etwa Sebastian Altmann, der gerade das Nähen erklärt. Oder ehrenamtliche Mitarbeiter wie Peter Lamaarck: Er schiebt sich eine Pistole ins Halfter.

"Ich spiele einen gestressten Polizisten, der sich beklagt, dass er nicht mehr leistungsfähig ist", erzählt der ehemalige Rettungsassistent. Im Anamnesekurs werden Studierende per Rollenspiel das Gespräch mit dem Polizisten suchen, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Diagnose. Leicht wird es ihnen Lamaarck nicht machen. Auch solche Situationen wollen geübt sein.

Vier Gummiarme warten auf die Nadel

Till Kämmerer führt durch die Räume des Skills Lab. Vier Gummiarme liegen in Reih' und Glied. Sie warten auf die Blutabnahme. Ein Stück weiter ruhen die Büsten für die Intubation. Kämmerer greift sich ein Laryngoskop und führt vor, wie ein Schlauch in die Luftröhre einzuführen ist. "Sie dürfen keinen Druck nach unten ausüben, sonst brechen Sie die Zähne raus. Wollen Sie auch mal probieren?"

Jenseits der Kurse können Studierende hier ganz allein üben, wenn sie wollen. Das Selbstlernzentrum des Skills Lab ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. "Die Leute geben einfach ihren Personalausweis ab, dann können sie hier alles nutzen." Diese Rückversicherung ist nötig, schließlich geht es nicht nur um Gummiarme, sondern auch um sehr teure Maschinen. Sogar ein Ultraschallgerät steht zur Verfügung.

Inzwischen hat sich das Prinzip des Skills Lab bundesweit bewährt. Doch 2003 waren die Mainzer auf diesem Gebiet noch echte Pioniere. Kämmerer gehört zur schon zur vierten Generation der Mainzer Skills Lab-Teams.

Peer Teaching setzt sich durch

Es wird immer weiter am Konzept gefeilt. Leiteten früher häufig Ärzte die Kurse, geht der Trend immer mehr hin zum Peer Teaching: Studierende erklären Studierenden, was zu tun ist. "So ist der Abstand zwischen Lehrenden und Lernenden viel geringer als er zwischen Arzt und Studierendem wäre", sagt Kämmerer.

Einmalig am Mainzer Skills Lab blieb die Form der studentischen Selbstorganisation. "Das nervt auch schon mal, wenn es um Organisatorisches geht", räumt Kämmerer ein. Aber schließlich gehört so etwas später auch zum Beruf. Kämmerer und Co. lernen hier auch einiges für den eigenen Werdegang.

Im Nahtkurs versuchen sich die fünf Studierenden immer noch an Nadel und Faden, an Zange und Pinzette. "Jetzt probieren wird die Donati-Rückstichnaht", kündigt Altmann an. Seine Schülerinnen und Schüler rollen die Schultern. Die Arbeit geht in die Knochen.

Platz am Schweinefuß ist heiß begehrt

"Aber es macht Spaß", sagt Katharina Lederer. Sie studiert im fünften Semester Medizin. Sie hat einen der begehrten Plätze im Nahtkurs ergattert. Bei der Anmeldung waren schon nach wenigen Minuten alle Plätze weg. "Es ist schon Glückssache, da reinzukommen."

Lederer freut sich über ihren Platz an der Nadel. "Ich denke, dass es mir jede Menge bringt für die Famulatur." Anderthalb Stunden dauert der Kurs. Vier verschiedene Knoten stehen auf dem Programm. Donatis Version ist eine Herausforderung. "Immer im roten Hautgewebe bleiben", rät Altmann. Fünf Paar Hände arbeiten behutsam. Allmählich schließen sich die Wunden. Nichts klafft mehr, kein Knoten liegt auf der Naht. Alles wird gut.