Große Oper für die Kleinen

20. November 2013

Zum Abschluss ihres Jahresprogramms lud die Musikalische KinderUni noch einmal auf den Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein. Im Haus Recht und Wirtschaft präsentierten Studierende der Hochschule für Musik Benjamin Brittens Kinderoper "Der kleine Schornsteinfeger". Rund 150 junge Zuschauerinnen und Zuschauer waren gekommen, um das Stück in modernem Gewand zu erleben.

Es beginnt ganz profan. "Am besten zieht ihr eure Jacken aus und legt sie unter den Stuhl, sonst bekommt ihr noch einen Hitzschlag", weist Prof. Felix Koch von der Hochschule für Musik die kleinen Gäste ein. Hände nesteln an Reißverschlüssen und Knöpfen. Ein Geraschel und Gepolter geht durch den großen Hörsaal im Haus Recht und Wirtschaft. "Und kommt ein bisschen weiter nach vorn", meint Koch. "Hier sind noch die besten Plätze frei." Der Professor weiß, worauf es ankommt. Dies ist nicht die erste Veranstaltung der Musikalischen KinderUni, die er moderiert.

Benjamin Brittens Kinderoper "Der kleine Schornsteinfeger" steht auf dem Programm. Studierende der Hochschule für Musik haben das Stück unter der Regie der Doktorandin Claudia Isabel Martin einstudiert. Als künstlerische Gesamtleiterin half ihr die Prorektorin der Hochschule, Prof. Dr. Claudia Eder. Die Truppe zog mit ihrer Inszenierung bereits erfolgreich durch viele Schulen der Region, nun ist sie zurück auf dem Campus, um für dieses Jahr in letztes Mal die Geschichte vom kleinen Sam zu erzählen.

Schornsteinfeger in der Klemme

"Heute gibt es etwas Besonderes mit dem kurzen, aber prägnanten Namen Oper", stimmt Koch auf die Vorstellung ein. "Wisst ihr denn, was eine Oper ist?" Klar wissen das die kleinen Fans der KinderUni, zumindest mehr oder weniger. "Oper ist eine Musikvorstellung." – "Da wird Cello gespielt." – "Da wird aber auch gesungen."

Bei der KinderUni gibt es kein passives Zuhören und bei dieser Oper ist Mitmachen einfach unabdingbar. Britten hat sein Werk darauf angelegt. "Er schrieb es 1949, aber die Geschichte, die er da erzählt, ist noch älter", erklärt Koch. "Sie ist 200 Jahre alt, da mussten Kinder wie Erwachsene arbeiten."

Sam ist ein kleiner Schornsteinfeger, der von seinem Meister dazu gezwungen wird, in die engsten Schlote zu steigen. Hilflos muss er alle Schikanen ertragen, bis er eines Tages im Schornstein der Familie Brook stecken bleibt. Die Familie hilft ihm, nicht nur dem engen Kamin, sondern auch seinem bedrückenden Leben zu entfliehen. "Diese Geschichte ist nicht mehr so, wie die Kinderwelt heute ist", meint Koch. "Deswegen haben wir etwas gemacht, was in der Oper erlaubt ist: Wir haben sie in die heutige Zeit übersetzt."

Mobbing als zentrales Thema

Regisseurin Claudia Isabel Martin hat aus Brittens Oper ein Stück um das hochaktuelle Thema Mobbing geschaffen: Sam kommt an eine neue Schule. Zwei Rabauken, einer mit dem Namen Robert Meister, schikanieren ihn bis aufs Blut. Sam muss zwar nicht in den Kamin, aber dafür steckt das Duo ihn in eine dreckige Mülltonne. Die gestrenge Direktorin schaut weg, doch einige Mitschüler und eine Referendarin helfen.

All das bringen die Studierenden nun auf die Bretter des großen Hörsaals. Im Mittelpunkt steht eine Requisite: die Mülltonne. Ein Piano reicht als musikalische Begleitung. Zehn Sängerinnen und Sänger stimmen das Lied an, das die Handlung gleichsam als Motto begleitet. "Es lächelt und sprüht voller Glück uns die Welt ... Gemeinsam besiegen wir Unglück und Albtraum und Diebstahl und Misstrauen und böses Geläster." Bald werden die kleinen Zuschauer mitsingen können – und nicht nur das: Eine einfache Choreografie aus Gesten und Schritten reißt sie buchstäblich von den Stühlen.

Rosalie ist sieben. Sie knetet aufgeregt den roten Pullover auf ihrem Schoß, während sie verfolgt, wie Meister und sein Kumpel den kleinen Sam in die Mülltonne stopfen. "Das dürfen die nicht, das ist böse", flüstert sie. Aber bald schon kann Rosalie helfen. Mischüler haben Sam entdeckt, nun gilt es, den kleinen Schornsteinfeger mit vereinter Kraft zu befreien. Alle sollen an einem Strang ziehen. Die Akteure werfen Seile ins Publikum. "Zieht! Fest!" Und wie sie ziehen.

Ohne die Kinder geht nichts

Das junge Publikum führt die Bösewichte in die Irre, es singt Sam ein Gutenachtlied und überlegt gemeinsam mit Prof. Felix Koch, was gegen Mobbing zu machen ist. "Habt ihr Ideen?", fragt der Professor. Die Kinder haben. "Sam und die anderen müssen immer zusammenbleiben und dem Meister sagen, dass er böse ist." – "Wenn der Meister kommt, müsst ihr eine Mauer machen." – "Ihr könntet den Meister ärgern, damit er selbst merkt, wie es ist, wenn man geärgert wird."

Martins Version der Kinderoper setzt eher auf Versöhnung. Zum Finale spielen die Rabauken mit den anderen Schülern. Sie zeigen sich reuig und selbst die strenge Schulleiterin lächelt.

Brittens "Der kleine Schornsteinfeger" ist keine leichte Kost. Die Sängerinnen und Sänger und der Mann am Piano sehen sich einigen Herausforderungen gegenüber. Dennoch schaffen sie es, das Stück federleicht zu präsentieren. Alles wirkt spielerisch und lädt zum Mitmachen ein. Rosalie lernt, wie eine Turteltaube gurrt, sie darf Meister mit einem hochgehaltenen Zettel auf die falsche Fährte führen und singt im Finale fast textsicher mit.

"Es lächelt und sprüht voller Glück ...", flötet sie und knetet ihren roten Pullover. Den lässt sie erst zum Schlussapplaus aus den Händen. "Das war schön", sagt sie, "und gar nicht schwierig. Obwohl: Papa hat gesagt, Oper ist schwierig."