Die Welt der Turkvölker in Mainzer Regalen

23. Januar 2014

Kaum eine Universität besitzt solch einen Schatz: Die Bibliothek für Turkologie am Seminar für Orientkunde der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wartet mit einer ungeheuren Vielfalt an Werken zur Sprache und Kultur der Turkvölker auf. Rund 50.000 Bände stehen bereit. Juniorprof. Dr. László Károly kennt sich hier aus. Er führt durch die Regalschluchten zu einigen außergewöhnlichen Werken.

Wer die Bibliothek für Turkologie besuchen will, muss den Campus der JGU verlassen. Zehn Minuten Fußweg sind es bis in die Hegelstraße 59, einem Hochhaus aus der späten Wirtschaftswunderzeit. Hier findet sich ein Schatz, der einzig ist in Deutschland und über den selbst Wissenschaftler aus der Türkei ins Staunen geraten.

"Ich könnte Ihnen wunderschöne wertvolle alte Bücher zeigen", erzählt Juniorprof. Dr. László Károly zur Begrüßung, "Bände mit Holzdeckeln und solche Sachen. Das alles haben wir." Der Geschäftsführende Leiter des Seminars für Orientkunde deutet auf die nüchtern wirkenden grauen Metallregale, die schon im Flur das Bild bestimmen. "Aber es geht in so einer Bibliothek nicht um Vorzeigeobjekte. Es geht um etwas anderes: Hier steht alles, was wir für die Forschung brauchen." Und das möchte Károly vor allem präsentieren.

Aus dem Keller ins Hochhaus

Der gebürtige Ungar kam im Jahr 2008 als Humboldt-Stipendiat nach Mainz, vor zwei Jahren wurde er zum Juniorprofessor ernannt. Er hat den Umzug der Bibliothek für Turkologie in die Hegelstraße miterlebt. "Auf dem Campus lagerten unsere Bücher auf mehreren Etagen, auch in zwei Kellerräumen. Wenn jemand etwas suchte, musste er sich da durcharbeiten."

Heute ist das anders. Ein Bibliothekar kümmert sich um die Bestände. Die Räumlichkeiten sind schlicht, aber sehr zweckmäßig. "Egal, welche Turksprache Sie beforschen wollen, ob Jakutisch, Uigurisch oder Südsibirisch, in dieser Bibliothek finden Sie etwas dazu", sagt Károly, während er den Raum mit den Zeitschriften ansteuert.

"Sovjetskaja Tjurkologija", "Baku University News", "Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft": Schon ein kurzer Blick auf die gebundenen Jahrgänge zeugt von Vielfalt. "Wenn Türken aus Istanbul oder Ankara zu uns kommen, bewundern sie diese Abteilung, weil sie einige dieser Zeitschriften selbst nicht haben."

Károly führt zu einer Reihe von Bänden, die er besonders hervorheben will: "Turkic Language", heißt die Zeitschrift. "Sie ist weltweit sehr angesehen." Begründet hat sie Lars Johanson, einst Professor für Turkologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Ich selbst veröffentliche auch in dieser Zeitschrift", sagt Károly nicht ohne Stolz.

Medizin der Turkvölker Zentralasiens

Rund 50.000 Bände enthält die Bibliothek. Vor allem sind es Werke zur Sprachwissenschaft, die sich mit mehr als 20 Turksprachen befassen. Arabische, kyrillische und lateinische Schriftzeichen finden sich hier in schöner Eintracht nebeneinander und zeugen von Vielfalt und Verbreitung der Sprachgruppe. "Wir haben auch viele Bände, die sich mit dem Islam befassen. Damit müssen Sie sich auskennen, denn etwa die Hälfte der türkischen Welt hat etwas mit dem Islam zu tun."

In einem weiteren Raum weist Károly auf dicke grüne Bücher hin. "Das ist ein wunderschönes vielbändiges Wörterbuch des Persischen. Um es zu nutzen, müssen Sie sich aber schon gut im Persischen auskennen." Daneben steht ein schmuckloser Band mit starken Gebrauchsspuren. Er wird offensichtlich oft genutzt: ein schlichtes einbändiges Wörterbuch Persisch-Deutsch.

Doch nicht nur Wörterbücher finden sich in diesem Raum. In einer Ecke sind Bände zur Medizin der islamischen Welt versammelt. Das ist ein Thema, zu dem Károly gerade forscht. "Niemand hatte bislang die mitteltürkischen medizinischen Texte übersetzt, deswegen konnte niemand etwas über die Medizin der islamisierten Turkvölker in Zentralasien sagen. Gibt es da zum Beispiel einen türkischen Kern? Und wie sind die Einflüsse anderer Kulturen?"

Schulbücher aus der alten Sowjetunion

Von Raum zu Raum geht es. Immer wieder greift Károly etwas heraus. "Was kann ich Ihnen noch zeigen? Es gibt so viel zu sehen." Dann macht er Halt vor ein paar schmalen, unscheinbaren Bänden. "Das sind alte Schulbücher aus sowjetischer Zeit. Hier haben wir Jakutisch für die vierte Klasse." Selbst wer dieser Sprache nicht mächtig ist, erkennt einige Inhalte: Lenin schaut erhaben von einer vergilbten Seite. Sein Leben wird knapp, aber sicherlich gewichtig geschildert. "Das hier ist Kalmückisch, eine mongolische Sprache, für die vierte Klasse, das Usbekisch für die neunte und zehnte Klasse."

Natürlich war in der Sowjetunion Russisch die propagierte Amts- und Verkehrssprache. "Man schaffte es sogar, dass einige Völker ihre ursprünglichen Sprachen fast vollständig vergaßen. Andere pflegten ihre Traditionen. Bei den Jakuten zum Beispiel hielt sich die Sprache recht gut."

Gerade im sowjetischen Bereich passierte viel mit den Turksprachen. Einige wurden zuerst über arabische Schriftzeichen festgehalten, später stellte man sich auf die lateinische Schrift um und später wieder auf das Kyrillische. "Die Kumüken etwa schrieben ab 1922 Lateinisch, ab 1938 Russisch."

Buddhistische Dichtung der Uiguren

Immer wieder zeigt Károly Besonderheiten. So hebt er Peter Ziemes Monografie zur "Buddhistische Stabreimdichtung der Uiguren" hervor. "Er hat alte buddhistische Quellen aus dem 9. bis 12. Jahrhundert übertragen." Damals bestimmten noch nicht islamische Einflüsse, sondern buddhistische und manichäische Strömungen die Gedankenwelt des Turkvolkes.

"Ich könnte Ihnen noch so viel zeigen", meint Károly zum wiederholten Mal. Aber irgendwann muss Schluss sein. Kurz geht der Juniorprofessor noch auf die finanzielle Lage des Seminars für Orientkunde im Allgemeinen und der Bibliothek im Besonderen ein. "Wir haben einen Etat, aus dem wir auch die Mittel für die Bibliothek bestreiten." Viel Geld schlucken die Lehraufträge, auch wenn Károly und seine Kollegen sich immer wieder erfolgreich um Sponsoren bei der iranischen oder der türkischen Botschaft bemühen.

"Wir können immer Spenden für den Erhalt und den Ausbau unserer Bibliothek gebrauchen", meint er zum Abschied. "Aber nicht, um irgendwelche Schätze zu kaufen. Es geht um die Bücher, die unsere Studierenden brauchen, um zu lernen und zu forschen."