Mainzer Geschichtsstudent mit schottischem Doktortitel

18. März 2014

Mit Falko Bell konnte erstmals ein Student seinen Doktor in Glasgow und Mainz zugleich machen. Dies ist der vorläufige Höhepunkt einer engen Zusammenarbeit der Historischen Institute der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der University of Glasgow in Schottland. Prof. Dr. Sönke Neitzel ist der Motor hinter diesem Projekt.

Der eine lebt in Berlin und lehrt heute an der renommierten London School of Economics, der andere kommt gerade aus Glasgow, wo er seine Dissertation verteidigt hat. Beide sind sie nach Mainz ans Historische Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zurückgekehrt, um von einer besonderen Verbindung zu erzählen, die hier ihren Anfang nahm.

Prof. Dr. Sönke Neitzel und Dr. Falko Bell sind auffällig gut gelaunt. Das Treffen in einem Besprechungsraum des Philosophicums wirkt tatsächlich wie ein Nachhausekommen. Der Doktorvater freut sich über seinen erfolgreichen Schüler und spart nicht an Lob. Bell wirkt da beinahe schon verlegen.

Forschen über Geheimdienste

"Er hat in Mathe und Geschichte mit 1,0 abgeschlossen", erzählt Neitzel lächelnd. "Das sagt alles. Sein Prozessor läuft einfach schneller als meiner. Das ist physisch bedingt", feixt der Professor. "Er ist einfach mit einer höheren Rechnerkapazität gesegnet." Dann wird Neitzel etwas ernster: "Als Dozent ist es entscheidend, dass Sie solchen Leuten den Weg ebnen, dass Sie sagen: Geht raus, wenn ihr soweit seid."

Neitzel hat den Weg geebnet: Bell ist der erste Studierende der JGU, der in Glasgow und in Mainz seine Doktorurkunde entgegennehmen konnte. Ihm ist der erste "Double PhD" in der Geschichte der Kooperation zwischen der University of Glasgow und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gelungen.

In seiner Dissertation beschäftigt sich Bell mit einem Feld, das in Deutschland selten beackert wird, im angloamerikanischen Raum dagegen recht gut bestellt ist. Es geht um die Geheimdienste. Unter dem Titel "Wissen ist menschlich. Der Stellenwert der Human Intelligence in der britischen Kriegsführung 1939–1945" geht Bell der Frage nach, wie britische Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg über Kriegsgefangene, Spione oder Flüchtlinge an Informationen zur Lage in Nazi-Deutschland kamen. Unter welchen Prämissen arbeiteten sie? Wie sahen ihre Ergebnisse aus? Welche Wirkung hatten sie?

Kooperation auf vier Ebenen

"Seit Anfang der 1990er Jahre sind Glasgow und Mainz ERASMUS-Partnerhochschulen", erzählt Neitzel. "Besonders die Historischen Seminare der beiden Hochschulen sind sehr aktiv." Es gab und gibt bis heute einen regen Austausch von Lehrenden und Studierenden. So arbeitete Neitzel selbst ab 1994 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der JGU, habilitierte sich hier und wurde 2008 zum Akademischen Rat ernannt. 2001 kam er als Visiting Lecturer nach Glasgow, 2011 folgte hier der Ruf auf eine Professur für Modern History.

Neitzel machte es sich zur Aufgabe, die Kooperation der beiden Universitäten zu intensivieren. "Es war toll, dass ich beide Unis kannte. Ich wusste, an welchen Strippen man ziehen muss." Ziel war eine Partnerschaft auf vier Ebenen: Mit dem Austausch von Studierenden und Lehrenden war bereits ein Anfang gemacht. Als Nächstes peilte Neitzel die Doppel-Promotion an: Doktoranden sollten mindestens ein Jahr an der jeweiligen Partnerhochschule forschen und die schriftliche Arbeit an der einen, die mündliche Prüfung an der anderen absolvieren.

"Falko Bell ist der lebende Beweis, dass es funktioniert", sagt Neitzel. Als vierte Ebene soll nun bald ein Doppelabschluss Mainz-Glasgow auf Masterebene folgen. Ganz einfach wird das allerdings nicht. "Viele reden von Internationalisierung. Die Durchsetzung auf der Verwaltungsebene ist jedoch ein enormer Aufwand", so Neitzel. "Aber die Mainzer unterstützen uns nach Kräften!"

Zwischen zwei Forschungskulturen

Falko Bell kam im fünften Semester erstmals nach Glasgow. "Damals war ich noch recht unbedarft", erinnert er sich. Für sein Dissertationsthema allerdings sollte die Achse Mainz-Glasgow wichtig werden. "In Deutschland ist die Geheimdienstforschung kaum ausgebaut", erzählt er. "Im angloamerikanischen Raum sieht das ganz anders aus."

Bell arbeitet in seiner Dissertation heraus, welchen Stellenwert die Erkenntnisse der britischen Geheimdienste in der Kriegsführung hatten. Er war bei seiner Forschung überrascht über den Umfang der Datenerhebung während des Zweiten Weltkriegs. "In einem Gefangenenlager waren bis zu 1.000 Leute mit der Unterbringung, den Verhören und deren Auswertung beschäftigt. Auch Psychologen waren darunter."

Die Frage nach dem Kollaps

Drei Themenkomplexe griff Bell heraus: die Luftschacht um England, den V-Waffen-Einsatz der Deutschen und die britische Einschätzung der deutschen Moral. Besonders im letzten Punkt offenbarte sich ein grundsätzliches Problem. "Es geht um Vorannahmen", sagt Bell. "Die Briten gingen davon aus, dass die deutsche Moral zusammenbrechen würde. Sie dachten 1943 noch, dass es zu einer ähnlichen Situation wie 1918 kommen würde." Der Auftrag an die Geheimdienste lautete also: "Sagt uns, wann der Kollaps eintritt." Und nicht: "Findet heraus, wie die deutsche Führung und die Bevölkerung mit der Kriegssituation umgehen."

"Das ist ähnlich wie beim Irak-Krieg", ergänzt Neitzel. "Seinerzeit war der Auftrag an die amerikanischen Geheimdienste nicht etwa herauszufinden, ob Hussein über Massenvernichtungsmittel verfügt. Es wurde stattdessen die Frage gestellt: Wo lagern die Massenvernichtungsmittel?" Das Problem schreibt sich also fort.

Bell steht nach seiner Dissertation am Scheideweg. Durch den "Double PhD" hat sich ihm die rege angloamerikanische Forschungsszene zu den Geheimdiensten ein Stück weit geöffnet, zugleich steht er aber mit seinem Gebiet in Deutschland ziemlich einzig da. Wo geht es nun hin? Wo hat er die größten Chancen, seine akademische Karriere weiter zu verfolgen?

Er zuckt die Schultern. "Ich würde gern die historische Geheimdienstforschung auf methodisch feste Füße stellen oder aber mich einem neuen interessanten Thema zuwenden", sagt er. Ob das in Mainz, Glasgow oder anderswo passiert, muss er sich erst noch durch den 'Prozessor' gehen lassen. Leicht wird es in keinem Fall, aber seine Auswahl ist immerhin entschieden größer mit dem ersten Doppel-Doktor Mainz-Glasgow.