Poesie für die Sinne

12. Januar 2012

Im LyrikLabor entstehen aus Gedichten multimediale Erlebniswelten. Poesie wird sicht- und hörbar, sie bekommt manchmal sogar einen Geruch oder einen Geschmack. Dieses ungewöhnliche Lehrprojekt entstand im Jahr 2011. Studenten der Johannes Gutenberg-Universität und der Fachhochschule Mainz arbeiten hier zusammen, um Lyrik in neue Formen zu gießen.

Der Mann kauert nackt in einem Glaswürfel. Verstört starrt er ins Dunkel, von wo sich unsichtbare Augenpaare auf ihn richten. Seine helle Haut ist überzogen von schwarzen Buchstaben. Aus dem Off erklingen die Verse von Georg Trakls "De profundis": "Bei der Heimkehr / Fanden die Hirten den süßen Leib / Verwest im Dornenbusch."

Die Studentinnen Saskia Jung, Anna Roscher und Vanessa Genzmer haben das Gedicht des Expressionisten auf verstörende Weise in einen Raum der FH gebracht. Dies ist nur eine von elf Installationen, die im Juni 2011 ein Wochenende lang die Besucher LyrikLabor lockten.

Gedichte als Installation

"Ohne Mainz als Stadt der Wissenschaft wäre unser Projekt nie entstanden", erzählt Kerstin Rüther, Lehrkraft am Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität. Bei der Baustellenparty, eine der vielen Veranstaltungen zur Stadt der Wissenschaft, lernte die Literaturwissenschaftlerin ihre FH-Kollegin Susanne Maier-Staufen kennen, ihres Zeichens Bühnenbildnerin und Gastprofessorin am Studiengang Innenarchitektur. Die beiden beschlossen ein gemeinsames Projekt für ihre Studenten anzustoßen.Zusammen bauten sie das LyrikLabor auf, um Gedichte aus der literarischen Ecke zu holen, sie interaktiv als Ereignis für alle Sinne zu gestalten.

"Inzwischen hat das Projekt ziemlich Wellen geschlagen", erzählt Rüther. "Unter anderem bekommen wir viele Anfragen von Lehrern, die auf unsere Weise ihren Schülern Gedichte näher bringen wollen." Noch 2011 wurde das LyrikLabor in die Förderung durch das Gutenberg-Lehrkolleg aufgenommen und reihte sich in den Reigen der als besonders innovativ ausgezeichneten Lehrprojekte an der JGU ein. Zudem stießen weitere Kreative zum Projekt: Der Medieninformatiker Prof. Holger Reckter und Prof. Anna-Lisa Schönecker vom Studiengang Kommunikationsdesign kamen mit ihren Studenten.

Festival im März 2012

"Das LyrikLabor hat sich entsprechend verändert", meint Rüther. "Unsere nächste Veranstaltung im März 2012 wird eher Festivalcharakter haben. Außerdem haben wir diesmal ein Thema gewählt: Traum."

Nun soll es also unter dem Titel "Traumspiele" nicht nur die bewährten Installationen geben, sondern ein Café, eine fächerübergreifende Podiumsdiskussion, Lesungen, ein Traumdating und vieles mehr. Ort des Geschehens wird das ehemalige Vermessergebäude in der Rheinstraße 16 sein. "Das Ganze ist mit großem Aufwand verbunden, aber unsere Studenten sind mit Engagement dabei", sagt Rüther.

Zwei Dutzend dieser Studenten haben sich zu einem Workshop versammelt, um ihre noch unvollendeten Pläne zum Festival von Rüther und ihren drei Kollegen, aber auch von ihren Kommilitonen kritisch beäugen zu lasen. Hannah Seißinger, Nina Staude, Sven Grolik und Viktor Reier nehmen sich Jorge Luis Borges' Gedicht "Die weiße Hirschkuh" vor: "... vielleicht werde ich dich an einer Wegbiegung der fernen Zukunft / wieder treffen, weiße Hirschkuh eines Traums", dichtete der Argentinier.

Jagd auf Borges' Hirschkuh

"Wir laufen der Hirschkuh hinterher", erklärt Grolik. Die Besucher bekommen ein Blatt mit dem spanischen Original in die Hand. An mehreren Stempelstationen können sie die deutsche Übersetzung hinzufügen. "Die Stempel hängen jeweils von der Decke." Der stilisierte Hufabdruck der Hirschkuh führt auf den richtigen Weg, bis die Gäste dann in einem Raum landen, der ganz aus großen Karton besteht. Hier wird eine Bilderflut auf sie einstürmen, die die Themen von Borges Versen spiegelt.

Spätestens hier wird klar, dass die LyrikLaboranten mehr liefern müssen als nur eine gute Idee zum Gedicht. Sie sind für jedes Detail ihre Installation verantwortlich: Wo lassen sich billig Kartons auftun? Wie sieht es mit der Statik des Raums aus? Wie viele Beamer werden sie brauchen?

Am Ende soll ein Erlebnis stehen wie im Juni 2011. Die Besucher dürfen Gedichte entdecken. Sie durchschreiten Heiner Müllers "Traumwald" oder setzen aus Objekten Gustav Falkes "Närrische Träume" zusammen. Die Lyrik soll wieder lebendig im März bei den "Traumspielen".