"Wenn man eine Idee hat, soll man einfach machen"

20. Mai 2014

130 Studierende, Dozentinnen und Dozenten des Fachbereichs Translations-, Sprach-, und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in Germersheim haben ein Märchenbuch der besonderen Art zusammengetragen. "Von Aschenputtel bis Wassermelonenfeld" bietet wunderbar illustrierte Geschichten aus aller Welt in neun Sprachen.

Es ist ein schönes Buch geworden. Himmelblau ist der Einband, fantastische Figuren sind darauf zu entdecken: Da winkt ein grinsender Kobold, eine schöne Prinzessin schwingt ihr prächtiges Kleid und der kleine Indianer namens Weißer Wolf fängt fleißig Fische.

"Von Aschenputtel bis Wassermelonenfeld" ist ein Werk, das Kinderherzen höher schlagen lässt, das die kleinen Leser aber auch zum Staunen bringt. Denn nicht nur die bekannte Geschichte vom Aschenputtel findet sich hier – auch die Abenteuer des Jaguars Kaikuse sind festgehalten und der griechische Kinderbuchautor Eugene Trivizas berichtet vom Mäuschen, das nach den Sternen greift.

Projektmanagement an der Universität

Entstanden ist dieses außergewöhnliche Märchenbuch am Fachbereich 06: Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der JGU in Germersheim. Im Laufe von fünf Semestern haben 130 Studierende, Dozentinnen und Dozenten daran gearbeitet. Auf 90 Seiten präsentieren sie 13 traditionelle und moderne Märchen auf Deutsch und gleich daneben auf Arabisch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Russisch, Spanisch oder Ukrainisch.

"Das hat mehr Zeit und Nerven gekostet, als wir erwartet haben", sagt Imme Grunert. Die Studentin war in der letzten Phase der Buchproduktion als Projektmanagerin mit von der Partie. "Ein Semester war eingeplant, wir haben dann noch anderthalb drangehängt."

Das Projekt Märchenübersetzung begann im Jahr 2011. Die Dozentinnen Dr. Julia Neu und Dr. Susanne Hagemann hatten einen Projektmanagement-Kurs konzipiert. "Es ging uns um die Vernetzung verschiedener Bereiche der Lehre durch einen authentischen Übersetzungsauftrag", erzählt Neu. Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer entwickelten verschiedenste Projekte. So übersetzte eine Gruppe die Prospekte der Stadt Germersheim in die Sprachen ihrer Partnerstädte. Die Studentinnen Kia Herbers und Pamela Nina Kühn hatten derweil die Idee zum multilingualen Märchenbuch.

Internationale Teamarbeit

Dr. Andrea Cnyrim vom Arbeitsbereich Interkulturelle Kommunikation am FTSK leitete das Märchenbuch-Projekt. "Das innovative Konzept des Projektmanagement-Kurses ermöglicht es den Kursteilnehmern, genau das Wissen und die Qualifikationen zu erwerben, die später für den Beruf wichtig sind." Sie hat beobachtet, wie die Studierenden über das Märchenbuch zusammenwuchsen. "Die Teamarbeit in einer internationalen Gruppe war eine der wichtigsten und wertvollsten Erfahrungen. Diese Herausforderung haben alle durch die Bank sehr gut gemeistert."

Aber Herausforderungen gab es viele. Gleich zu Beginn stellte sich die grundlegende Frage: Wie sollten die Märchen übersetzt werden? "Wir entschieden, dass sie von Kindern gelesen werden sollen. Aber nicht alle Märchen waren für Kinder geschrieben", meint Neu. Es galt also, kindgerechte Versionen zu erstellen. Veraltete Worte und exotische Begriffe erklärten die Übersetzerinnen und Übersetzer in Nebensätzen oder Fußnoten.

Erschwert wurde die Arbeit auch dadurch, dass das Projekt von Semester zu Semester an neue Studierende weitergereicht wurde. "Wir hatten am Anfang keinerlei Erfahrung in diesem Bereich", erzählt Sophia Wessin, ebenfalls Projektmanagerin. "Für das Layout mussten wir uns erst in die Irrungen und Wirrungen des Designprogramms einarbeiten."

Suche nach Sponsoren

Klar war: Es sollte Illustrationen im Buch geben. Doch von wem? Die Studierenden wandten sich an den Uni-Kindergarten und an zwei Grundschulen vor Ort. Sie richteten Märchenstunden aus, lasen den Kindern vor und ließen sie Bilder malen. Heraus kam ein buntes und höchst kreatives Gemisch.

Dann mussten juristische Hürden genommen werden: "Die Rechte zu einigen Texten haben wir nur unter der Bedingung bekommen, dass wir unser Buch nicht verkaufen", erzählt Grunert. Zudem durfte nur eine Auflage gedruckt werden. Gerade mal 455 Exemplare gibt es vom Märchenbuch. Sie liegen als Geschenk für Gastredner und die besten Absolventen des FTSK bereit.

"Ein Riesenproblem war es, das Geld für den Druck zusammenzubekommen." 3.000 Euro mussten her. "Wir haben alle möglichen Leute angeschrieben. Viele haben abgesagt." Glücklicherweise fanden sich dann doch sechs Sponsoren und zahlreiche Spender.

Schließlich hatte Projektmanager Alexander Castillo López das erste Probeexemplar der beauftragten Druckerei in Händen – und war enttäuscht. Die Qualität war miserabel. "Es sah aus wie ein billiger Kalender." Also mussten die Studierenden ein anderes Druckhaus finden. Das arbeitete zum Glück großartig: Der schöne himmelblaue Band liegt jetzt nach fünf Semestern endlich vor.

Griff nach den Sternen

"Durch das Märchenbuch-Projekt habe ich Geduld gelernt", sagt López. "Klar, ich habe auch mein Deutsch verbessert", räumt der Kolumbianer lächelnd ein, "und ich habe tolle Leute kennengelernt."

Das praxisorientierte Großprojekt brachte reichlich Arbeit mit sich – nicht nur für die Studierenden, auch für Dozentinnen wie Dr. Andrea Cnyrim. "Aber der Ertrag rechtfertigt diese Mehrarbeit", sagt sie. "Da sind sich alle, mit denen ich gesprochen habe, einig." Sie wünscht sich noch mehr solcher innovativer Lehrprojekte, auch mehr Unterstützung dafür.

Nun ist es also fertig, das Märchenbuch "Von Aschenputtel bis Wassermelonenfeld". Ein indischer Elefant geht auf Entdeckungsreise, ein hässlicher Prinz wird geboren. Und ein griechischer Nager hat Großes vor: Der kleine Mäuserich Knabberich will nach den Sternen greifen... "Wenn man eine Idee hat, soll man einfach machen", sagt Grunert. Das gilt nicht nur für die Märchenwelt.