Arte es Vida – Leben ist Kunst

27. April 2015

Mit der inneruniversitären Forschungsförderung, der Förderlinie I, unterstützt die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) verschiedenste Forschungsprojekte. Ein außergewöhnliches Vorhaben beschäftigt sich mit der chilenischen Kunstgruppe C.A.D.A., ihren Mitgliedern und den weltweiten Verknüpfungen mit anderen avantgardistischen Strömungen. Liliana Bizama vom Germersheimer Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft will alledem nachspüren.

Auf dem Tisch liegen ein paar Blätter mit frisch übersetzten Texten von Raúl Zurita. Studierende haben lange daran gearbeitet. Es war keine einfache Aufgabe. Prof. Dr. Cornelia Sieber vom Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft am Standort Germersheim legt noch den Flyer einer Ausstellung aus dem vorigen Jahr hinzu: "Beuys Brock Vostell" war der Titel der Schau im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie.

Was hat der große chilenische Dichter Zurita zu tun mit den drei wichtigsten deutschen Aktionskünstlern der Nachkriegszeit? Die Professorin für Spanische und Portugiesische Kulturwissenschaft deutet erste Gemeinsamkeiten an, die nicht unbedingt offensichtlich sind. "Das ist keine Kunst, die man irgendwann verdauen kann. Sie bleibt im Halse stecken, sie ist unbequem für alle."

Unbequeme Kunst

Um unbequeme Kunst soll es also gehen im Forschungsprojekt "Arte es Vida / Leben ist Kunst. Die Kunstgruppe C.A.D.A. (1979-1985) – ästhetische Irritation gegen die chilenische Militärdiktatur und Translationswege zwischen den Avantgarden Europas und Lateinamerikas". Der Titel klingt recht sperrig, dennoch kann er nur andeuten, welch weites Feld Siebers Mitarbeiterin Liliana Bizama hier in den nächsten Jahren als Doktorandin beackern will.

"Voriges Jahr konnten wir rund 280 Vorhaben unterstützen", erzählt Dr. Ewa Vittorias von der Stabsstelle Forschung und Technologietransfer (FT) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Manchmal hilft es Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern schon, wenn wir eine Reise zu einer Tagung oder einen Forschungsaufenthalt finanzieren", meint die Referentin für Forschungsförderung. Manchmal muss es aber auch etwas mehr sein – wie im Fall Bizama.

Mit der sogenannten Förderlinie I hat die Hochschulleitung ein Mittel an der Hand, universitäre Forschung flexibel voranzubringen. Die Bandbreite der Themen ist gewaltig. Untersuchungen zu den Lebenswegen und Lebensentwürfen von Frauen in Ruanda, zum Tourismus aus den arabischen Golfstaaten oder zur Verbesserung der chemotherapeutischen Effizienz stehen auf Vittorias langer Liste.

Vielfalt der Projekte

"Wir bekommen hier ungeheuer viel zu sehen", meint denn auch Prof. Dr. Wolfgang Hofmeister, Vizepräsident für Forschung an der JGU, zu den Anträgen aus den verschiedenen Fachbereichen. Um die Sichtbarkeit der Projekte geht es unter anderem bei der Förderlinie I. Die Hochschule will deutlich zeigen, auf welchen Feldern sie aktiv ist und was vor allem die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten.

"Wir verstehen unsere Förderung auch als eine Art Anschubfinanzierung", erklärt Hofmeister. Sie diene quasi als Fingerzeig, als Empfehlung für eine weitere Förderung durch EU-Mittel oder durch Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). "Wir signalisieren: Dieses Projekt ist interessant, schaut es euch an." Das macht die Universität ab einer Fördersumme von 15.000 Euro nicht einfach in Eigenregie – externe Gutachter prüfen die Anträge.

Der Antrag zur Künstler- und Kunstaktionsgruppe C.A.D.A. interessiert Hofmeister besonders. "Germersheim ist vor allem als Ausbildungsort für Dolmetscherinnen und Dolmetscher bekannt. Aber in den letzten Jahren macht sich der Fachbereich auch in anderen Bereichen einen Namen. Wir gehen dort neue Wege der Translationsforschung."

Colectivo Acciones de Arte

Liliana Bizama steht einiges an Wegen bevor. Sie kennt die Künstler der chilenischen Bewegung Colectivo Acciones de Arte persönlich, die sich mit gewagten Kunstaktionen gegen das Regime des chilenischen Diktators Pinochet auflehnten. Im Jahr 2012 lud sie Zurita, einen der Begründer von C.A.D.A., nach Germersheim ein. Studierende hatten dessen Gedichtband "Las ciudades de agua – Die Wasserstädte" übersetzt, der mit Bizamas Unterstützung einen deutschen Verleger fand.

"Eine von Liliana Bizamas Aufgaben wird es sein, das künstlerische Material der Bewegung zu dokumentieren", erläutert Sieber, die den Antrag auf Förderung durch die JGU gestellt hat und die demnächst auch bei der DFG anfragen wird. Das C.A.D.A.-Material liegt verstreut in Archiven oder befindet sich in Privatbesitz. Alte Videoaufnahmen von den Aktionen der Medienkünstler Lotty Rosenfeld oder Juan Castillo könnten leicht für immer verloren gehen.

In einem weiteren Schritt wird Bizama die Kunst von C.A.D.A. decodieren, eine Arbeit, die in Germersheim bereits begonnen hat. Davon zeugt auch das Gedicht auf Siebers Tisch. Es stammt aus dem Band "Das Mahnmal des Schmerzes" von Zurita. "Unsere Studierenden übertragen seit einigen Semestern seine Lyrik. Es ist nicht einfach für sie, sich dort hineinzufinden." Gerade Zuritas Texte sind voller Anspielungen auf seine Haftzeit in der Diktatur, auf die Kultur der indigenen Bevölkerung und vieles mehr.

Konferenz im Oktober

Bizama und Sieber stießen 2014 auf einen überraschenden Aspekt zu C.A.D.A.: In der Ausstellung über die Aktionskunst von Joseph Beuys, Bazon Brock und Wolf Vostell machten sie Verbindungen zur künstlerischen Avantgarde in Chile aus. "Von Vostell ist der Leitsatz 'Leben ist Kunst' bekannt", sagt Sieber. Just jenen Spruch schrieb sich auch C.A.D.A. auf die Fahnen und just in den 1970er-Jahren war Vostell mit einer Ausstellung in Santiago de Chile präsent.

Damit ist zumindest kurz umrissen, worum es bei Bizamas Forschung gehen soll. Sie wird Verbindungslinien zwischen avantgardistischen Bewegungen quer über den Globus nachspüren, aber sie wird auch Nahaufnahmen von C.A.D.A., von dieser Kunst des Widerstands, liefern.

"Wenn ein Projekt gut durchdacht ist und Potenzial zeigt, hat es gute Chancen auf unsere Unterstützung", bekräftigt Hofmeister. "Arte es Vida / Leben ist Kunst" fällt eindeutig in diese Kategorie. Es wird nicht nur Bizama als aufstrebende Wissenschaftlerin voranbringen. Studierende und Lehrende in Germersheim interessieren sich längst für das Projekt.

"Im Oktober 2015 haben wir hier eine Konferenz geplant", erwähnt Sieber fast wie nebenbei. "Wir erwarten dazu die Künstler von C.A.D.A." Auch Dr. Andreas Beitin, der Leiter der Karlsruher Museums, der die Ausstellung "Beuys Brock Vostell" initiierte, wird mit von der Partie sein. Die alten, frisch wiederentdeckten Verbindungslinien werden zur Sprache kommen – und vielleicht werden sich neue bilden dank dieses Projekts.