Buntes Lernen ganz ohne Credits

19. Juni 2015

Die Kulturkurse des studentischen Vereins Campus Mainz e.V. sind gerade erst gestartet und schon mausern sie sich zu einem Riesenerfolg. Zur Premiere im Wintersemester fanden 14 Kurse statt, im aktuellen Sommersemester sind es bereits 40. Die Palette ist bunt: Gitarrespielen, Business English und kreatives Schreiben stehen auf dem Programm, aber auch exotische Fächer wie Gebärdensprache, Quilten oder persische Kalligrafie.

Zeige- und Mittelfinger werden gekrümmt. Menschliche Krallen entstehen. Damit scheint Annemarie Deser etwas an sich heranzuziehen, von vorn und in leicht kreisender Bewegung. In der Deutschen Gebärdensprache ist dies das Zeichen für "Wiederholen". Tatsächlich scheint die 27-Jährige irgendetwas Unsichtbares am Haken zu haben, das sie aus dem Raum holt. 18 Studierende tun es ihr nach.

"Achtet auf euren Gesichtsausdruck", mahnt Deser. "Auf die Mimik kommt es an. Damit könnt ihr aus einem Wort eine Frage oder eine Verneinung machen." Sie wiederholt das gerade Gelernte. Noch einmal wandern ihre Finger durch die Luft. Dazu reckt sie den Kopf nach vorn, ihre Augenbrauen heben sich: "Kannst du das wiederholen?" Dann schüttelt sie ablehnend Kopf zur Gebärde: "Nein, keine Wiederholung!"

Riesenerfolg, riesige Nachfrage

So geht es weiter voran im Kurs "Deutsche Gebärdensprache". Vieles wirkt sehr intuitiv. "Bitte" ist ein Streicheln der Wange, "Ich" ein Deuten auf die eigene Brust. Auch einzelne Buchstaben werden mit den Fingern gebärdet. Ein "D" bekommt einen Bauch durch Daumen und Mittelfinger. Sie bilden einen Kreis. Dazu streckt sich der Zeigefinger in die Höhe. Führt man dieses "D" an die Stirn, wird daraus die Gebärde für "Deutsch".

"Der Kurs ist ein Riesenerfolg", erzählt Carolin Steck. "Zuerst haben wir nur einen angeboten und wir waren uns gar nicht sicher, ob wir den vollbekommen. Aber die Nachfrage war so groß, dass wir jetzt gleich drei Kurse anbieten."

Seit Februar 2015 koordiniert Steck die Kulturkurse des Vereins Campus Mainz e.V., der sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Leben auf dem Gutenberg-Campus durch verschiedenste Initiativen bunter und interessanter zu machen. Das Kursangebot ist dabei noch recht neu. Es startete im Wintersemester 2014/2015. "Die Idee war, dass Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, aber auch Leute von außerhalb ihr Wissen an andere weitergeben. Es gab schon vorher viele Aushänge mit Kursangeboten auf dem Campus. Wir wollten das bündeln und den Leuten die Organisation abnehmen."

Abgeschaut hat sich Campus Mainz die Kulturkurse von der Universität Hamburg. "Da läuft das schon seit Jahren", erzählt Steck. "In Hamburg bieten sie rund 100 Kurse an." Nun sieht es so aus, als wäre auch die JGU auf dem Weg dahin. Im Wintersemester liefen 14 Kulturkurse, in diesem Sommer sind es bereits 40 Kurse mit 500 bis 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. "Es hat uns überrascht, dass die Resonanz so super ist."

Erstaunliche Angebote

Das Programm hält Erwartbares und Erstaunliches bereit: Business English, Spanisch für Fortgeschrittene oder Gitarrespielen finden sich im Angebot, aber auch Improtheater, persische Kalligrafie und argentinischer Neotango. "Wie sind nicht superprofessionell. Oft sind unsere Kursleiterinnen und Kursleiter Leute, die einfach ein Hobby haben, das sie teilen wollen. Die meisten sind Studierende, viele haben keine Lehrausbildung, manche haben noch nie vorher unterrichtet." Es gibt allerdings einige Ausnahmen: Dr. Britta Feyerabend vom Department of English and Linguistics etwa bietet Quilten an. Sie lernte einst Damenschneiderin, nun gibt sie ihre Leidenschaft für die amerikanische Patchwork-Technik weiter.

29 Euro kostet eine Kursteilnahme für Studierende, alle anderen zahlen 45 Euro. In der Regel werden je zehn Termine à zwei Stunden angeboten. "Das ist sehr preiswert. Campus Mainz will daran nicht verdienen, die Kulturkurse sollen sich nur selbst tragen. Für die Leiterinnen und Leiter ist es ein kleiner Nebenverdienst, das ist aber nicht ihr Antrieb."

Die Räume stellt die JGU. "Für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar." Die Kurse finden oft abends statt, wenn die meisten regulären Lehrveranstaltungen gelaufen sind – oder morgens zu Zeiten, zu denen Studierende gemeinhin eher schwer aus den Federn kommen. Die drei Kurse "Deutsche Gebärdensprache" starten jeweils um 8 Uhr, 9 Uhr und 18 Uhr.

Keine Konkurrenz zum Lehrprogramm

"Und trotzdem kommen die Leute", freut sich Steck. Das Klischee vom viel beschäftigten Studierenden, der sich in Rekordzeit durch sein Bachelor- oder Masterstudium arbeitet und nicht nach links oder rechts schaut, zeigt hier Risse. "Vielleicht sind unsere Kurse so beliebt, weil man völlig freiwillig lernt und mal was ganz anderes machen kann", meint die Studentin der Kulturanthropologie.

"Die Universität soll ein Ort sein, wo man vielfältige Dinge lernt. Wir unterstützen das, wollen aber keine Konkurrenz zu bestehenden Angeboten sein, da stimmen wir uns immer ab. Bevor wir zum Beispiel unsere Sprachkurse ins Programm genommen haben, haben wir beim Sprachenzentrum der Uni nachgefragt, ob das in Ordnung ist."

Eine Stärke der Kulturkurse ist die Flexibilität. Hier muss nichts zertifiziert werden, kein langer Vorlauf ist nötig und wenn möglich werden wie im Fall der Gebärdensprache bei hoher Nachfrage Zusatzkurse ins Programm genommen. Andererseits können Steck und der Verein natürlich keine Garantie für die Qualität des Angebots übernehmen. "Ich treffe zwar jede Leiterin und jeden Leiter vorher, aber ich kann nicht überprüfen, wie ihre Kurse laufen." Bisher waren die Rückmeldungen allerdings rundum positiv.

Wenn die Kulturkurse überhaupt Sorgen bereiten, dann drehen diese sich um das schnelle Wachstum des Angebots. "Wir haben natürlich nicht endlos Räume zur Verfügung", meint Steck. "Ich überlege schon, ob ich demnächst Kontakt mit der Hochschule Mainz aufnehme. Vielleicht sind da noch Kapazitäten frei." Die einzelnen Kurse selbst sollen klein bleiben. "Wir lassen maximal 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu, in manchen Bereichen sogar weniger. Wir wollen keine Massenveranstaltungen."

Faszinierende Gebärden

18 sitzen an diesem Abend im Stuhlkreis bei Deser. Sie kommen aus den verschiedensten Fachbereichen: Sie studieren Pädagogik, Zahnmedizin oder Buchwissenschaft – und lernen nun gemeinsam. "Ich habe hier selbst Linguistik studiert", erzählt Deser. "Ich finde es schade, dass wir uns viel zu wenig mit Gebärdensprachen beschäftigen, auch im Studium. Es werden kaum Kurse angeboten. Dabei sind Gebärdensprachen so interessant. Sie kommen ganz ohne Laute aus und sind doch genauso komplex wie andere Sprachen." Schon nach wenigen Sätzen wird deutlich, wie fasziniert die Studentin von diesem Thema ist – und diese Faszination steckt an.

Es geht an die Personalpronomen: Bei "wir" deutet Deser auf die im Kreis versammelten und endet wieder bei sich. "Es" sorgt für Diskussionen: Die 27-Jährige zeigt schlicht nach unten. "Es handelt sich meist um Dinge oder Tiere." Die also sind unten? "Na gut", feixt Deser, "vielleicht würde ich bei einem Elefanten anders gebärden."

Der Kurs läuft locker, aber doch erstaunlich diszipliniert. Hier will offensichtlich jeder lernen. "Ihr seid gut", lobt Deser. Dann grinst sie breit: "Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe Spaß." 18 Gesichter lächeln zurück. Auf die Mimik kommt es an.