Wenn der Plüschbär Bauchweh hat

21. Oktober 2015

Bereits zum 16. Mal hat die Mainzer Teddyklinik in der vergangenen Woche Kinder mit ihren Stofftieren zur Behandlung eingeladen. Rund 100 Studierende der Universitätsmedizin Mainz beteiligen sich an diesem Großprojekt der Fachschaft, das helfen soll, kleinen Patienten die Scheu vor dem Arzt- oder Krankenhausbesuch zu nehmen. Mehr als 1.500 Besucher kamen zur Visite ins Mainzer Rathaus, um Puppen und Plüschtiere in kundige Hände zu geben.

Benni hat Bauschmerzen. Oberarzt Dr. ted. Eric Deuß muss den Teddy operieren. Sein Team ist bereit. Es steht in OP-Kitteln, mit Hauben und Mundschutz um den Patienten. Mit dabei ist auch eine Horde junger Helfer, selbstverständlich ebenfalls vorschriftsmäßig gekleidet. Einige können kaum über den OP-Tisch schauen, aber alle sind ganz aufmerksam bei der Sache, als der Doktor den haarigen Bauch aufschneidet.

Ein Plüsch-Organ kommt zum Vorschein. "Das ist blau und bläht sich auf wie ein Luftballon. Kennt ihr das?", fragt Dr. ted. Deuß. "Die Lunge", haucht eine Fünfjährige durch ihren Mundschutz. "Ja, die Lunge. Die ist aber in Ordnung. Schließlich hat Benni keine Brust-, sondern Bauchschmerzen." Das Übel muss also tiefer liegen.

"Ich sehe nichts", meint Dr. ted. Deuß und wendet sich an seine Assistenzärzte. "Wollen Sie mal übernehmen?" Nach einigem Tasten im Bauchraum ist das Problem gefunden: "Da ist was, ich kriege es aber nicht raus. Es sitzt zu fest. Könnt ihr mir helfen?" Ein halbes Dutzend kleiner Hände greift beherzt zu und zieht. Eine winzige Tüte Gummibärchen kommt zum Vorschein. "Benni hat die Bärchen mit der Tüte gegessen", diagnostiziert Dr. ted. Deuß kopfschüttelnd. Der Fall ist gelöst.

Berührungsängste abbauen

Doch damit ist die Arbeit noch lange nicht getan. Es warten Hunderte weiterer Fälle auf die Doktoren der Teddyklinik. Im Mainzer Rathaus haben sie ihr Lager aufgeschlagen. Überall im Foyer stehen und sitzen die Kinder und jedes hat einen Patienten mitgebracht. Ob Puppe oder Bär, Plüschhase oder Gummimaus – alle müssen in die Teddyklinik zur Behandlung.

"Manche Kinder haben sich lange Geschichten ausgedacht, was mit ihrem Stofftier passiert sein könnte", erzählt Alexandra Walter. Sie studiert im siebten Semester Humanmedizin an der Universitätsmedizin Mainz und gehört zum zehnköpfigen Organisationsteam der Teddyklinik Mainz. "Kinder schnappen alles Mögliche aus der Welt um sie herum auf. In den vorigen Jahren hatten wir zum Beispiel Kuscheltiere mit Vogel- und Schweinegrippe.“

Bereits zum 16. Mal schlüpfen Mainzer Studierende in die Rolle der Teddydoktoren, um Kinder spielerisch den Arzt- oder Krankenhausbesuch nahezubringen. Hier bietet sich die Chance, Ängste abzubauen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das Konzept stammt aus Schweden, hat sich aber schnell verbreitet. Viele deutsche Städte haben mittlerweile ihre eigene Teddyklinik, doch nur wenige sind so groß wie die Mainzer Dependance.

"Ich weiß nicht, ob wir nun die größte Teddyklinik in Deutschland haben", räumt Walter ein. "In Berlin berichten sie von 5.000 bis 6.000 Besuchern. Aber dort bieten sie ihre Klinik auch mehrmals im Jahr an. Wir veranstalten unsere Teddyklinik einmal pro Jahr für zwei Tage und es kommen mehr als 1.500 Kinder." Bereit stehen rund 100 Studierende der Human- und Zahnmedizin, um als Dr. ted. zu behandeln.

Höhepunkt im Kita-Jahr

Die Kranken und Verletzten sind immer die Stofftiere oder Puppen. Die Kinder schlüpfen in die Elternrolle. Roman hat seinen Hasen Muffi mitgebracht. "Er hat beide Beine gebrochen", erzählt der Siebenjährige, "beim Skifahren." Muffi bekommt erst mal eine Spritze, die Roman selbst geben darf. Die Nadel fehlt natürlich, aber das stört nicht weiter. Dann verbindet die Ärztin beide Beine. "Fertig", meint sie nach ein paar Minuten. Roman ist aber noch nicht zufrieden. "Ich glaube, er hat sich auch noch einen Arm gebrochen." Frau Doktor sucht zwischen Spritzen und Pflastern. "Ich brauche mehr Verbandszeug."

"Die Spritze ist Standard", erzählt Walter. "Damit bekommen es alle Kinder irgendwann mal zu tun, also wollen wir sie daran gewöhnen." Ansonsten ist nur wenig wirklich Routine. Die Teddydoktoren müssen sich in jeden Fall einfühlen. "Manche Kinder sind sehr schüchtern, da fragen wir nach: Hat dein Teddy vielleicht eine Erkältung?"

Das Angebot der Teddyklinik hat sich vor allem in den Kindertagesstätten herumgesprochen. Von dort kommen die Kinder in Scharen. "Viele Erzieherinnen sprechen mit ihren Gruppen über das Thema Krankheit und bereiten sie auf den Besuch vor." Die Teddyklinik hat sich zu einem Höhepunkt im Kita-Jahr gemausert, da sind sich die Erzieherinnen und Kinder hier im Rathaus einig.

Kein Pflaster aufs Fell

Auch die Studierenden werden auf ihren Einsatz in der Teddyklinik vorbereitet. "Wir bieten einen Teddyuntersuchungskurs an", berichtet Walter. Es gibt nämlich schon einige Dinge, die zu beachten sind. Einiges klingt nach Bagatelle: "Pflaster klebt man nie auf Fell, womöglich reißen wir beim Entfernen dann Haare aus." Anderes hat ernstere Hintergründe: "Es kommen schon mal Kinder, die sagen, ihr Stofftier hat Krebs. Da dürfen wir natürlich nicht hingehen und nach einer Spritze sagen: Es ist geheilt. Womöglich hat ein Angehöriger Krebs und wird nicht einfach wieder gesund."

Die Teddyklinik bietet viele Stationen. Es gibt eine Anmeldung, ein Wartezimmer und sogar ein Krankenwagen vom Roten Kreuz ist mit von der Partie. Ein Rathaussaal beherbergt die Humanmediziner. Hier wird jeder Patient samt Kind von einem Dr. ted. betreut. Leuchttafeln stehen in einer Ecke, an denen Teddy-Röntgenaufnahmen gezeigt werden. "Wir haben in der Vorbereitung tatsächlich Teddys und Puppen geröntgt und nun eine Auswahl von Bildern hier vor Ort." Sogar ein kleiner Computertomograf mit blinkenden Lichtern ist vorhanden. "Daran haben wir lange gebastelt."

Nebenan wartet die Zahnklinik. Dort können die Kinder einem Stoffkrokodil das Gebiss putzen, Zahnseide ausprobieren und Zähne aus Knetgummi per Spielzeugbohrer bearbeiten. Es gibt sogar eine Station, auf der Stofftiere, die tatsächlich kaputt sind, nach Kräften repariert werden.

Und wenn alles überstanden ist, geht es zur Apotheke. Dort wartet auf jeden Besucher eine Tasche mit Teddyklinik-Logo. Allerlei Medikamente werden eingepackt. "Hier ist Fantasie gefragt", meint Walter. "Wir verschreiben Schmerz-Weg-Äpfel, Gute-Laune-Drops und Anti-Langeweile-Bücher."

Sponsoren willkommen

Der Aufwand für die Teddyklinik ist beträchtlich. "Ohne unsere Sponsoren wäre das nicht möglich." Walter ist froh, dass die Klinik in diesem Jahr erstmals regulär ins Mainzer Rathaus einziehen durfte. Bisher behandelten die Teddydoktoren in einem Zelt auf dem Domplatz. "Das hatte auch seinen Charme. Aber im vorigen Jahr gab es einen schweren Sturm, Zeltstangen brachen und wir konnten glücklicherweise im Rathaus unterkommen. Nun hoffen wir, dass eine dauerhafte Kooperation daraus wird."

Dass die Kinder vom Besuch der Teddyklinik profitieren, ist offensichtlich. Ob Einzelbesucher oder Kita-Gruppen, jeder wird gut betreut. Aber was haben die Studierenden davon? Chefarzt Dr. ted. Deuß, im wahren Leben Medizinstudent im siebten Semester, macht sich darüber weniger Gedanken. "Man schaut in die kleinen Gesichter … Es macht einfach Spaß." Einige in seinem Team blicken aber schon gezielt auf ihre zukünftige Berufspraxis. "Ich wollte schauen, wie Kinder auf mich reagieren und wie ich auf Kinder reagiere", meint ein Assistenz-Dr. ted. "Ich werde ja wahrscheinlich später auch Kinder untersuchen und behandeln."

Benni liegt derweil noch auf dem Operationstisch. Den Eingriff hat er gut überstanden. Tatsächlich ist er ein spezieller Bär mit Reißverschlüssen an allen potenziellen Operationsstellen – das bleibt auch den Kindern nicht verborgen. "Wollen wir da mal reingucken?", kräht ein Dreikäsehoch und deutet auf Bennis Knie. "Meinst du?", fragt Dr. ted. Deuß. "Dann hat Benni aber eine neue Narbe. Sollen wir wirklich schneiden?" Ein begeistertes Ja schallt ihm entgegen.