Durst nach Wissen und Kommunikation

3. August 2016

Seit 30 Semestern bietet das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit "Studieren 50 Plus" ein umfangreiches Programm für Menschen im dritten Lebensabschnitt an. Rund 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind hier Semester für Semester aktiv. Sie nutzen die Universität als Plattform für intellektuelle Auseinandersetzung und Kommunikation.

Die brennende Mainzer Synagoge hat er noch genau vor Augen. "Es scheint so, als würden im Alter die Erinnerungen an die Jugend schärfer", meint Albert Wenke. Für den damals Fünfjährigen war es aufregend, den Brand des imposanten Gebäudes in der unmittelbaren Nachbarschaft mitzuerleben. Die Hintergründe begriff er damals noch nicht. "Wir freuten uns einfach, dass wir einen neuen Platz zum Spielen bekamen", erzählt er mit entwaffnender Offenheit.

Heute sind Wenke Hintergründe und Zusammenhänge wichtig. "Ich habe mir früh angewöhnt zu fragen, warum etwas geschieht. Was steckt dahinter?" Nach dem Krieg arbeitete er als Beleuchter im damaligen Stadttheater. Er genoss die Nähe zur Kunst. Danach ging er als technischer Mitarbeiter für Beleuchtung, Ton und Schnitt zum SWF, dem heutigen SWR. Längst ist er im Ruhestand, seinem Geist allerdings lässt er keine Ruhe. Der Witwer erzählt ein wenig von seiner verstorbenen Frau. "Wir waren oft unterschiedlicher Meinung, aber ich konnte immer mit ihr diskutieren und irgendwann trafen wir uns dann in der Mitte."

200 Jahre Rheinhessen

Im Gespräch lässt sich Wenke nicht einfach ausfragen. Er fragt zurück, interessiert sich für alles. Sein Durst nach Wissen und Kommunikation ist ungeheuer groß. Vielleicht hat ihm auch deswegen einer seiner Enkel das Programmheft des Studienprogramms "Studieren 50 Plus" der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in die Hand gedrückt. Hier sah Wenke sofort einiges, das ihn interessierte. "Vieles war zu dem Zeitpunkt leider schon belegt", erinnert er sich. Aber dann entdeckte er das Seminar "200 Jahre Rheinhessen – Eine Region entdeckt ihre Geschichte". Das war etwas für ihn. "Ich habe viel mitgenommen aus der Veranstaltung, auch wenn ich manchmal gern noch mehr Fragen gestellt hätte."

Wenke ist auf den Geschmack gekommen. Er hat spät an die Universität gefunden, doch nun will er bleiben. Er blättert im neuesten Programmheft von "Studieren 50 Plus" und hält auf Seite 83 inne. "Den Kurs hier möchte ich belegen", meint er. In "Sprache des Körpers" wird sich die Medizinerin Dr. Sonja Aevermann mit dem Immunsystem, Allergien und Erkältungskrankheiten beschäftigen. Wenke blättert ein Stück zurück. "Und den hier." Bei der Veranstaltung von Dr. Henning von Vieregge geht es um Freundschaft. Er wird viele Facetten des großen Themas beleuchten.

"Es ist nicht so, dass unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer einfach irgendwas belegen", erzählt Kathrin Hanik, Programmleiterin von "Studieren 50 Plus". "Ich erlebe, dass sie sehr gezielt aussuchen, was zu ihnen passt. Wir bekommen sogar Anrufe von Leuten, die noch berufstätig sind und sich erkundigen wollen, welche konkreten Möglichkeiten wir ihnen im Ruhestand bieten können."

Kurse auf hohem Niveau

Vor nunmehr 30 Semestern startete "Studieren 50 Plus" unter Leitung des Zentrums für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) an der JGU. Das Programm wendet sich an diejenigen, die sich nach ihrem Berufsleben oder der Familienarbeit mit wissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigen und universitäre Angebote nutzen möchten.

Im ersten Semester im Jahr 2001 wurden zwölf Veranstaltungen angeboten. "Seitdem sind wir ständig gewachsen", erzählt Hanik. Als sie vor vier Jahren die Leitung übernahm, waren es bereits rund 30 Veranstaltungen. Das Programmheft für das Wintersemester 2016/2017, das Wenke in Händen hält, wartet mit 76 Kursen auf. Die Palette reicht von verschiedensten Exkursionen über Sprachkurse bis hin zu so speziellen Seminaren wie "Einführung in die persische Sprache und Kultur" von Prof. Dr. Almuth Degener. "Grundsätzlich stehen Kunstgeschichte und Geschichte, Literatur und Sprachen, philosophische, sozialwissenschaftliche und psychologische Themen hoch im Kurs", berichtet Hanik.

Rund 800 Menschen buchten im vorigen Jahr mehr als 3.000 Mal Kurse von "Studieren 50 Plus". "Bei unseren Evaluierungen stellen wir eine enorme Zufriedenheit fest. 98 Prozent der Teilnehmenden würden uns weiterempfehlen." Das mag auch am hohen Niveau der Veranstaltungen liegen. Dozieren darf hier nicht jeder. "Wir stellen genau dieselben Anforderungen an unsere Lehrbeauftragten, wie die Institute und Fachbereiche der Universität."

Eine Zeitung entsteht ...

Wenn Hanik von ihren Studierenden spricht, bricht Begeisterung durch. "Sie sind ungeheuer aktiv, sind viel unterwegs und wissen genau, was sie wollen. Häufig engagieren sie sich bürgerschaftlich." Bei "Studieren 50 Plus" suchen sie neben dem Wissen vor allem die Kommunikation mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen und mit Lehrbeauftragten an der Universität.

Das wird bei der Semesterabschlussfeier in der Alten Mensa auf dem Gutenberg-Campus besonders deutlich. Hunderte von Seniorinnen und Senioren strömen zu diesem Termin, an dem traditionell das Programm für das kommende Semester präsentiert wird. Hier stellen zahlreiche Referentinnen und Referenten ihre Angebote im Schnelldurchlauf vor. Außerdem gibt es auch reichlich Gelegenheit zum geselligen Beisammensein und Austausch.

Diplom-Volkswirtin Konstanze Werner wirbt für ihre Veranstaltung: "Eine Zeitung entsteht ..." Sie kündigt eine Mischung aus Nachrichtenpraxis und Nachrichtentheorie an. "Ich warne gleich vor: Es geht nicht nur darum, dabei zu sein."

Aktive Auseinandersetzung

Werner, Jahrgang 1945, studierte Ökonomie und Publizistik an der JGU. Sie war als Zeitungsredakteurin, Radioreporterin und Fernsehjournalistin für mehrere Verlage und Sender, darunter ZDF, ARD und SWR, unterwegs. "Aber eigentlich habe ich die Universität nie verlassen", erzählt sie lächelnd. Schon wenige Jahre nach Studienabschluss kam sie als Lehrbeauftragte an die JGU zurück. Nach ihrer Pensionierung schrieb sie sich als Gasthörerin ein und nutzte begeistert die Angebote von "Studieren 50 Plus".

"Die Universität ist eine großartige Plattform für mein Bedürfnis nach intellektueller Auseinandersetzung", sagt Werner. Damals in ihrem Studium herrschte ein gewisser Erfolgsdruck. "Heute ist nicht mehr alles so zielorientiert, das ist der Unterschied. Ich stelle mich keiner Prüfung, ich lerne das, was mich interessiert." Was aber nicht heißen soll, dass sie nicht gefordert werden will – und in ihren Seminaren auch kräftig fordert.

Voriges Semester bot sie "Nachrichten im Vergleich" an. Unter anderem standen Besuche bei Redakteuren des ZDF und der FAZ an. "Ich lege Wert auf die Aktivierung meiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das ist sowohl ein rationaler, als auch ein sozialer Prozess. Es geht viel um Interaktion. Warum soll ich abstrakt etwas lernen? Es bleibt viel mehr hängen, wenn ich wirklich was aus dem Thema mache."

Nachfragen, diskutieren

Mit ihren Studierenden hat sie unter anderem eine Pilotstudie erstellt. Sie ging der Frage nach, wie oft und in welchem Zusammenhang die AfD und die Grünen in den Medien genannt werden. Daraus ergaben sich Fragen, mit denen ihr Kurs die Redakteurinnen und Redakteure vor Ort konfrontierte. "Mir ist es wichtig, dass wir uns gut vorbereitet mit den Medien auseinandersetzen, dann werden wir dort auch geschätzt und ernst genommen."

Werner hat ähnliche Eindrücke gesammelt wie Hanik. "Mein Kurs war wieder ungeheuer aktiv", erzählt sie, "es kamen viele Ideen aus der Runde." Das soll auch im 31. Semester von "Studieren 50 Plus" wieder so sein. Konstanze Werner wird einen tiefen Einblick in die Zeitungswelt geben – in anderen Kursen wird es um das Christentum und den Islam gehen, um Immanuel Kants Metaphysik der Sitten, um Menschenrechte oder eben um die Sprache des Körpers.

Albert Wenke wird dabei sein und viel nachfragen, er wird diskutieren und Kontakte knüpfen. Denn dafür steht "Studieren 50 Plus".