Medien schürten Ängste, Fachleute blieben ungehört

19. März 2012

Was ist vor einem Jahr in Fukushima geschehen? Welche Rolle spielten die Medien in der Gefahreneinschätzung? Wo liegen die Risiken der Atomkraft? Dr. Gabriele Hampel, Betriebsleiterin des Forschungsreaktors TRIGA am Institut für Kernchemie der JGU, plädiert für eine sachliche Auseinandersetzung mit solchen Fragen und sieht das Symposium "Strahlenschutz – Ein Jahr nach Fukushima" als einen Schritt in die richtige Richtung.

Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben die Nordostküste Japans, ein Tsunami verwüstete das Land. Mindestens 20.000 Menschen starben. Die Naturgewalten trafen auch das an der Pazifikküste gelegene Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Die dortigen Sicherheitsvorkehrungen reichten bei Weitem nicht aus, es kam zu einer der bisher schwersten nuklearen Katastrophen. Die Bilder vom Unglück waren allgegenwärtig, Fernsehsender strickten mit glühender Nadel Krisenberichte. Doch echtes Fachwissen tröpfelte nur müde durch die medialen Kanäle, Panik regierte.

"Fachleute kamen kaum zu Wort", erinnert sich Dr. Gabriele Hampel ein Jahr danach. "In der heißen Phase sind sie nicht gefragt worden", kritisiert die Betriebsleiterin des Forschungsreaktors TRIGA an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Im Fernsehen seien immer dieselben Gesichter zu sehen gewesen. "Aber vom Fachverband für Strahlenschutz war niemand zu einer Einschätzung eingeladen."

Strahlenschutz - ein Jahr nach Fukushima

Nun rollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Fall aus unterschiedlichsten Blickwinkeln auf. Unter dem Titel "Strahlenschutz - Ein Jahr nach Fukushima" luden der Fachverband für Strahlenschutz e.V. und die Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu einem zweitägigen Symposium nach Mainz ein. Für die Organisation war u.a. Stephan Zauner vom Institut für Kernchemie der JGU verantwortlich. "Wir von der Universität werden als neutrale Instanz anerkannt, die ein wissenschaftliches Interesse an der nüchternen Aufklärung der Vorfälle hat", sagt er. "In vielen Teilen der Bevölkerung fehlt es an Wissen, die Leute haben grundsätzlich Angst vor Radioaktivität." Angst aber sei ein schlechter Ratgeber. "Man sollte Respekt davor haben."

Was ist damals passiert? Welche Auswirkungen hat die Freisetzung von Radioaktivität in Fukushima? Wie geht die Öffentlichkeit damit um? Diese und andere Fragen haben hochrangige Fachleute auf dem Symposium beantwortet. Auch Hampel und Zauner können einiges dazu sagen.

Medien drängten zur schnellen Stellungnahme

"Dadurch, dass die Medien so schnell berichtet haben, waren viele in Zugzwang", sagt die TRIGA-Betriebsleiterin. "Politiker mussten sich sofort äußern und so konnte vieles nicht richtig gesehen werden." Angela Merkel etwa redete von "Restrisiko" in Bezug auf Fukushima.

"Tatsächlich handelte es sich um einen Auslegungsstörfall", stellt Hampel klar. Das klingt zunächst sperrig, ist aber schnell erklärt: Fukushima war baulich nicht für die Umweltbedingungen ausgelegt, die an Japans Nordostküste nun mal herrschen. "Für den Hochwasserschutz gab es eine 5,70 Meter hohe Mauer. Aber Wellen von bis zu zehn Metern Höhe sind dort durchaus zu erwarten. "Und hinter der viel zu niedrigen Mauer lagen auch noch wichtige Aggregate des Kernkraftwerks. "Die hätten hinter das Kraftwerk gehört."

Hampel lässt die Vorgänge in Fukushima Revue passieren: vom Erdbeben über den Stromausfall und das beschädigte Dieselaggregat bis zur Knallgasexplosion. "Die Druckentlastungsleitungen führten bei Fukushima in den Servicebereich." Das ist in Deutschland anders, da münden solche Leitungen immer ins Freie. Im geschlossenen Raum jedoch bildete sich ein explosives Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch.

Wer starb in Fukushima?

Radioaktive Strahlung wurde frei, aber in welcher Höhe? Hampel stellt eine provokant klingende Frage: "Was glauben Sie, wie viele Leute sind bisher wegen des Unfalls in Fukushima gestorben?" Die Antwort verblüfft zumindest den Laien: "Niemand." Die TRIGA-Betriebsleiterin nennt genaue Zahlen: "Acht Personen wurden einer Strahlung von etwas mehr als 250 Millisievert ausgesetzt. Bei solchen Werten gibt es erste Reaktionen: ein grippiges Gefühl, leichte Änderungen im Blutbild. Aber wenn es um die Langzeitfolgen geht, um die Gefahr, an Krebs zu erkranken, da liegt das erhöhte Risiko deutlich unter 1:100." Zum Vergleich: In Tschernobyl starben bei der ersten Hilfeleistung 48 Menschen.

Dennoch fürchteten Menschen im 9.000 Kilometer entfernten Deutschland um ihre Gesundheit, viele sahen schon die atomare Wolke über dem Land schweben. Politiker sammelten sich im Lager der Kernkraftgegner, die Energiewende wurde eingeläutet. "Es bestand für uns aber nie eine Gefahr", stellt Zauner klar. "Fukushima war in Deutschland kaum messbar."

Landstriche bleiben unbewohnbar

Hampel will das Ausmaß der Katastrophe keinesfalls verharmlosen: "Es ist wie im Krieg. Die Regierung entzieht 100.000 Leuten das Zuhause und muss ihnen sagen: Ihr werdet wohl nie zurückkehren können." Radioaktives Cäsium mit einer Halbwertszeit von etwa 30 Jahren wird dafür sorgen, dass weite Landstriche über 300 Jahre lang unbewohnbar bleiben.

"Wenn Sie mich fragen: Sind Sie für oder gegen Atomkraftwerke? - Ich könnte es gar nicht sagen", so Hampel nachdenklich. Drei Aspekte machen ihr Sorgen: "Die Endlagerung, die langfristigen Folgen eines Unfalls und der menschliche Faktor." Letzteres treibt sie besonders um. Seit Jahren schon arbeitet Hampel im Direktorium des Fachverbands für Strahlenschutz e.V. und kümmert sich dort um den Bereich Nachwuchsförderung. "Wir brauchen junge Leute, die sich dafür interessieren. Gerade wenn wir unsere Atomkraftwerke jetzt zurückbauen, ist Fachkenntnis in Sachen Strahlenschutz nötiger denn je."

Radioaktivität mit Respekt begegnen

Nun ist Hampel selbst Betriebsleiterin eines Forschungsreaktors. Wie steht es um den? Die Fragen zum deutschen Stresstest wurden für den TRIGA beantwortet, die Antwort steht noch aus. Eine Betriebstemperatur von 250 Grad Celsius kann er nicht übersteigen. Bei Fukushima lagen die kritischen Werte etwas unter der 2.000-Grad-Marke. "Unser Reaktor ist vollkommen beherrschbar", sagt Hampel. Unter anderem arbeiten hier Wissenschaftler an der Verbesserung von Solarzellen. Zauner führt regelmäßig Schulklassen durch die Anlage, denen er sein Credo vermittelt: "Ihr müsst Radioaktivität mit Respekt begegnen, aber nicht mit Angst."

Die Angst habe viel Schaden angerichtet. "Die Medien ließen uns keine Zeit, genau zu schauen, zu analysieren", kritisiert Hampel. Das Symposium soll ein Schritt in die richtige Richtung sein, eine Gelegenheit zur rationalen Einschätzung. Denn Fachleute wie Hampel fragen sich längst: "Sind wir als Mensch dieser Technik gewachsen?"