Vom Gefühl im Fuß des Roboters

3. Juni 2017

Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessor Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster begrüßte im fünften Teil seiner Vorlesungsreihe "Künstliche Intelligenz für den Menschen: Digitalisierung mit Verstand" mit Prof. Dr. Frank Kirchner seinen ersten Gastredner. Kirchner ist Spezialist auf dem Gebiet der Robotik und gab einen Ausblick auf die nächste Generation von Robotern.

Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessor Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster begrüßte im fünften Teil seiner Vorlesungsreihe "Künstliche Intelligenz für den Menschen: Digitalisierung mit Verstand" mit Prof. Dr. Frank Kirchner seinen ersten Gastredner. Kirchner ist Spezialist auf dem Gebiet der Robotik und gab einen Ausblick auf die nächste Generation von Robotern.

Die moderne Robotik entwickelt sich rasant und ein Ende ist nicht abzusehen. "Kein Naturgesetz verbietet, dass Maschinen intelligent werden können", sagt Prof. Dr. Frank Kirchner, "möglicherweise auch intelligenter als Menschen." Lächelnd rät er der Zuhörerschaft im größten Hörsaal der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU): "Wir sollten uns also darauf konzentrieren, nicht weniger intelligent zu werden."

Kirchner ist der erste Gast in Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlsters Vorlesungsreihe "Künstliche Intelligenz für den Menschen: Digitalisierung mit Verstand". Beide kennen sich gut und arbeiten eng zusammen. Wahlster leitet das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Kirchner ist Gründungsdirektor des DFKI-Standorts in Bremen, des Robotics Innovation Center. An der Universität Bremen hat er eine Professur für Informatik, speziell Robotik, inne. Sein Thema ist "Die nächste Generation von Robotern: Arbeiten im Team mit dem Menschen".

Ohne Körper geht es nicht

Kirchner greift einen Gedanken von Alan Turing, einem der bedeutendsten Theoretiker der Computerentwicklung, auf: "Wenn wir uns ernstlich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen wollen, müssen wir Roboter bauen." Die Hardware des Computers wird oft übersehen oder als selbstverständlich hingenommen, für Kirchner hingegen ist sie eine ganz entscheidende Komponente. "Künstliche Intelligenz ohne Körper funktioniert meiner Meinung nach nicht. Intelligente Roboter haben Körper, über die sie mit der Umwelt interagieren können."

Damit ist er bei der ersten von vier großen Herausforderungen, vor denen die Robotik heute steht: "Wir brauchen eine strukturelle Komplexität, eine hohe Disposition der Maschinen, mit der Umwelt in den Dialog zu treten." Nur auf einer solchen Grundlage lasse sich die zweite Herausforderung bewältigen: "Wie erzeuge ich algorithmische Komplexität? Ich muss erreichen, dass der Roboter zielgerichtet agiert."

Die dritte Herausforderung besteht darin, strukturelle und algorithmische Komplexität zu vereinen. "Ich muss die Frage stellen: Wie kann ich das zusammenpacken, sodass ich es auch noch im Griff habe?" Ist das geschehen, folgt der Praxistest: "Wir prüfen die Langzeitautonomie in der Anwendung." Dort zeige sich nur zu oft, dass all die Planung, all die Theorien der Realität nicht standhalten. "Dann gehen wir zurück und fangen wieder von vorn an." Der Blick konzentriert sich wieder auf die Struktur, auf den Körper. Der Kreis schließt sich.

Kinematische Intelligenz

Der Körper eines Roboters braucht laut Kirchner intelligente Hardware. "Wir denken zum Beispiel darüber nach, menschliche Haut nachzubilden, um einem Roboter mehr taktile, mehr haptische Informationen zu geben. Wir haben die Berührung bisher stark vernachlässigt."

Da Roboter in vielen ihrer Eigenschaften dem Menschen ähnlich sein sollen, sollten sie auch von ihrer Morphologie, ihrem Bau her dem Menschen ähneln. Ein Roboterfuß etwa darf nicht nur eine Stahlplatte sein. "Wir müssen ihn vollstopfen mit Sensoren." Die Informationen, die diese Sensoren liefern, werden im künstlichen Fuß vorverarbeitet und gefiltert. Diese Datenverarbeitung geschieht dezentral.

"Das ist ein Prinzip, das wir von der Biologie kennen", sagt Kirchner. "Wenn ich hier vor Ihnen herumlaufe, muss ich mich nicht darum kümmern, wohin ich trete, sondern kann meine ganze kognitive Aufmerksamkeit auf den Vortrag konzentrieren." Erst wenn ein Stolperstein im Wege liegt, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Die Bewegung, die Kinematik, organisiert sich im Routinefall selbst.

Komplexe Roboter bilden kinematische Ketten, die sich im Raum positionieren. Kirchner veranschaulicht das über einen Film von einem menschenähnlichen Roboter: Erst kauert er auf allen Vieren, dann richtet er sich auf, indem die einzelnen Teile – Fuß, Bein oder Arm – interagieren. "Diese kinematische Intelligenz ist die Basis für das, was wir als algorithmische Intelligenz verstehen."

Tiefsee, Weltall, Fabrik

Im Zusammenschluss mit der kinematischen Intelligenz, über den sensorischen Input, kann die algorithmische Intelligenz lernen. Über diese Prozesse hat Wahlster bereits ausführlich gesprochen, Kirchner kann sich also kurzhalten. Ein Professor fragte ihn einst, warum er in einem bestimmten Fall einen Roboter lernen lassen will. Seine Antwort: "Weil ich das nicht programmieren kann." Das wurde sein Leitfaden: Dort, wo bloße Programmierung zu schwierig ist, muss Lernen her.

In diversen Projekten entwickelt Kirchner mit seinen Teams verschiedenste Roboter. Flat Fish etwa ist einen Unterwasserroboter, der technische Anlagen wie Pipelines oder Bohrplattformen inspiziert. "Wir wollten ein System entwickeln, das permanent unter Wasser bleiben kann." Flat Fish schätzt ein, wo repariert werden muss und wo nicht.

Auch für den Weltraum und für die Erforschung anderer Himmelskörper entwickeln Kirchner und seine Kolleginnen und Kollegen Robotsysteme. Allen gemein ist, dass sie über längere Zeit autonom arbeiten, Entscheidungen treffen und mit unerwarteten Ereignissen fertig werden.

Doch die Projekte führen Kirchner nicht nur in den Weltraum und die Tiefsee, sondern auch in die Fabrik: "Unsere Vision sind hybride Teams aus Menschen und Robotern." Roboter sollen im Zusammenspiel mit dem Menschen Handreichungen erledigen. "Wir haben uns relativ früh gefragt: Worauf muss man da achten, wie muss man da rangehen?"

Roboter und Mensch

Unter anderem muss ein Roboter Rücksicht nehmen. "Dringt ein Mensch in seinen Arbeitsbereich ein, macht er sich weich." Eine Kollision mit der Maschine würde sonst womöglich fatal enden. Ein Roboter könnte auch aus seinen Fehlern lernen und so sein Handeln anpassen oder perfektionieren. "Und er muss intuitiv vorhersagen, was ein Mensch macht. Wir können nicht verlangen, dass der Mensch sich permanent erklärt."

Der Roboter könnte EEG-Aufnahmen vom menschlichen Hirn nutzen. "Darüber könnte er ein paar Sekunden, bevor ich mir dessen bewusst bin, vorhersagen, dass ich zum Beispiel den Arm heben will." Techniken dieser Art haben weit über die Fabrik hinaus Bedeutung: Exoskelette werden heute schon bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten eingesetzt – und in der Zukunft könnten sie vielleicht sogar Querschnittsgelähmten helfen.

Roboter könnten Weltraummüll beseitigen, nach Manganknollen in der Tiefsee schürfen oder Plastik aus den Meeren fischen. An alledem arbeitet Kirchner. In den letzten 50 Jahren hat sich die Robotik rasant entwickelt und sie wird sich in verschiedenste Richtungen weiter ausprägen. Davon ist der Informatiker überzeugt.