Mit Lars Reichow auf Campustour

2. August 2017

Der Mainzer Lars Reichow gehört zur ersten Riege der deutschsprachigen Kabarettisten. Im Laufe seiner mittlerweile 25-jährigen Karriere wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, unter anderem mit dem Deutschen Kleinkunstpreis des Mainzer Unterhauses. Mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) verbindet ihn einiges, auch wenn er sein Studium nicht unbedingt für einen Wendepunkt in seinem Leben hält.

"Dort oben im Saal der Musikdidaktik haben wir damals geprobt." Lars Reichow deutet auf den Trakt des Forum universitatis, in dem sich heute unter anderem das Studieren Service Center befindet. Damals, das war keineswegs zu Reichows Studienzeit. Er fand schon früher seinen Weg auf den Gutenberg-Campus: Als 16-Jähriger spielte er in der Band seines Vaters, der Bernd Reichow Jazz Formation, die Posaune. Im Uni-Saal traf er die Jazzer Bill Ramsey und Pete Lancaster. "Lancaster war ein toller Sänger", erinnert er sich. "Seine Stimme groovte einmalig."

Das sollte nicht die einzige frühe Probe in diesem Saal bleiben: 1982 bereitete sich die Bernd Reichow Jazz Formation auf eine Tournee mit Hanns-Dieter Hüsch vor. Lars Reichow war wieder mit von der Partie. Hüsch gehörte zu den ersten Studierenden der JGU, hier machte er seine ersten Schritte als Kleinkünstler. Später prägte er nicht nur die Kabarettszene, sondern beeindruckte auch Reichow nachhaltig.

Sprache und Musik

Es passt also, den Spaziergang mit Gutenberg-Alumnus Lars Reichow im Innenhof des Forum universitatis zu beginnen. Kurz geht es hinüber zur Gutenberg-Büste. Der Kabarettist schaut lächelnd zum Erfinder des Buchdrucks hinauf: "Ach ja, der alte Gensfleisch." Von hier aus führt der Weg weiter in Richtung Philosophicum.

1985 schrieb sich Reichow an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ein. Er studierte Musik, Musikwissenschaft und Germanistik auf Lehramt. "Ich wusste schon früh, dass ich unbedingt etwas mit Sprache und mit Musik machen wollte. Als Schüler hatte ich mir einen Stempel mit der Aufschrift 'Littera et musica – vita in laetitia' prägen lassen. Das druckte ich überall hin."

Die Musik stand für Reichow im Vordergrund. "Die Germanistik kam ganz zum Schluss." Dennoch erinnert er sich an die eine oder andere Persönlichkeit. "Professor Dr. Wolfgang Düsing war der Schiller-Spezialist." Und wie so viele Mainzer Studierende in den 1980ern durchlief Reichow die Einführung in die Sprachwissenschaft bei Dr. Albrecht Greule. "Ein lustiger Typ."

Der 21-Jährige kam ohne große Zukunftspläne an die Universität, er ließ sich eher treiben. "Ein Kommilitone aus Husum hatte den Durchblick. Er war immer sehr gut organisiert – ganz anders als ich. Er wusste immer, welche Kurse wir noch brauchen. Ich meinte: Gut, ich komme mit. Wo müssen wir hin, wo müssen wir uns anmelden?" Dieser Kommilitone ist bis heute ein Freund geblieben.

Chaos und Ordnung

Reichows Verhältnis zu seinen Professoren war zwiespältig. "Es fängt damit an, dass man in der Schule die Lehrer irgendwie alle doof findet. Ich war auf der Suche nach Schwachstellen. Diese kritische Haltung hat sich im Studium fortgesetzt." Reichow und sein Husumer Kommilitone machten sich über die eine oder andere Lehrkraft lustig. Sie prusteten und quietschten vor Lachen während der Vorlesung. Da wurde es einem Dozenten zu bunt. "Entschuldigen Sie, wenn es Sie nicht interessiert, würde ich Sie bitten rauszugehen", deutete er speziell in Richtung Reichow. "Das war schon peinlich. Aber auch sehr, sehr komisch."

Trotz alledem räumt Reichow ein, dass ihm sein Studium etwas gebracht haben könnte. "Vielleicht hat es die Basis dafür geschaffen, wie ich Wissen heute aufnehme, wie ich mich mit Themen beschäftige. Ich bin ja eher chaotisch veranlagt, das Studium aber verlangte Ordnung und eine gewisse formale Disziplin."

Staunend steht Reichow vor dem Philosophicum und schaut zu den Fenstern der Musikwissenschaft: "Hier habe ich viele Stunden meines Studentenlebens verbracht." Organisatorisch und personell hat sich einiges geändert, seit sich der mittlerweile verstorbene langjährige Leiter des Musikwissenschaftlichen Instituts, Prof. Dr. Christoph-Hellmut Mahling, hier mit dem jungen Reichow herumschlagen musste, aber die Räumlichkeiten sind tatsächlich dieselben geblieben.

Den Kabarettisten hält es nicht lange vor dem Philosophicum. Er geht weiter. Ein Schild verweist auf den Hanns-Dieter-Hüsch-Weg, der sich am Rande des Campus entlangschlängelt. Dieses Detail entgeht Reichow nicht. "Ein Weg ist natürlich viel zu wenig", meint er. "Hüsch verdient eine breite Allee durch die Stadt Mainz."

Studium und Praxis

Der kurze Spaziergang endet vor dem neuen Gebäude der Hochschule für Musik. Hier hat Reichow zwar nie studiert, es gibt aber dennoch einige Berührungspunkte. "Wir waren damals noch im Gebäude am Binger Schlag, an der Hauptverkehrsader und noch näher an der Stadt. Der Campus war für uns also nicht unbedingt das Zentrum."

Reichow kam vom Jazz her, doch in dieser Richtung hatte die Hochschule für Musik damals noch relativ wenig zu bieten. Klassische Musik stand klar im Mittelpunkt. "Ich hatte Gesangsunterricht bei Professorin Claudia Eder. Sie war ein riesiges Vorbild für uns Studenten, denn internationale Opern- und Konzertverpflichtungen hatten sie auf internationale Bühnen, sogar in die USA und nach Japan gebracht. Und jetzt unterrichtete sie uns in Mainz."

Zu seinem ersten Auftritt als Musikkabarettist rang sich Reichow im Jahr 1992 durch. Er fragte beim damaligen Dekan Prof. Eduard Wollitz nach, ob er den Saal der Musikhochschule nutzen dürfe. "Er genehmigte es sofort – und ich wusste: Wenn ich es jetzt nicht mache, dann wird nichts mehr daraus." Für Reichow war es ein großer Schritt zum Solisten. Vorher hatte er in einigen Musik-Ensembles und Theatern Erfahrung gesammelt. "Ich war unglaublich aufgeregt, hatte Magenschmerzen und eiskalte Hände." Aber es gab kein Zurück mehr, der Konzertsaal war voll. 400 Neugierige, Freunde und Kommilitonen waren gekommen. Reichow präsentierte sein erstes Soloprogramm "Ich bin auf jeden Fall da!" Die Weichen waren gestellt.

Reichow und Sternal

25 Jahre später steht der erfolgreiche Musikkabarettist vor der neuen Hochschule für Musik auf dem Gutenberg-Campus. Die Kleinkunstszene hat ihn über die Jahre mit allerlei Preisen geehrt, auch das Fernsehen hat ihn längst entdeckt. Er war als Wahlmann dabei, um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Amt zu heben – und er machte unlängst Schlagzeilen mit seinem Auftritt bei "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht". Mit Blick auf die AfD-Anhänger im Saal rief er: "An alle Petrys, Le Pens und Wilders: Wir brauchen euch nicht. Packt eure Koffer, ihr Geschichtsfälscher, ihr Kleingartenfaschisten. Nehmt eure Zäune und euren Hass gegen alles Fremde und macht euch auf die Reise." Der Applaus war gewaltig, die AfDler verließen den Saal.

An der Hochschule für Musik zeigt Reichow wieder hinüber zu einem Probenraum. "Dort habe ich unlängst mit Professor Sebastian Sternal ein Programm erarbeitet. Er ist ein toller Musiker, sein Trio ist großartig und seine Symphonic Society hervorragend." Mit dieser Meinung steht Reichow nicht allein. Sternal ist unter anderem zweimaliger Preisträger des renommierten Echo Jazz. "Ich habe ihn gefragt, ob er mich mit seiner Band zum Auftritt nach München begleiten würde. Er hat sofort zugesagt. Wir haben sehr gut harmoniert. Mit ihm würde ich gern mal eine ganze Platte machen."

Die Platte wird noch einen Moment warten müssen. Im Moment bereitet Reichow sein neues Programm "Lust" vor, mit dem er am 20. Oktober 2017 Premiere im Mainzer Staatstheater feiert. Kurz lässt er sich noch das Fenster von Claudia Eders Büro im Neubau der Hochschule für Musik zeigen, dann geht es zurück in Richtung eigener Schreibtisch: Reichow hat zu arbeiten. Die Zeit, in der er sich einfach treiben lassen konnte, ist längst vorbei.