Marsianer erobern New York

16. Oktober 2017

Für drei Abende bringt das Theater Mienenspiel das Stück "Orson Welles und der Krieg der Welten" auf den Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Die Hochschulgruppe präsentiert ein Livehörspiel, das um Welles' berühmte Radioinszenierung einer Alien-Invasion kreist, das nach Hintergründen fragt und zugleich ein facettenreiches Spektakel verspricht: Sprechtheater, Livemusik und Livegeräusche machen die Inszenierung zum Erlebnis.

"Mein Name ist Orson Welles", tönt es durch den Hörsaal P1. "Lassen Sie mich erzählen: Einmal wurde ich Zeuge einer interplanetarischen Invasion ..."

Im Jahr 1938 geht das Hörspiel "Krieg der Welten" nach einer Vorlage von H. G. Wells auf Sendung. "Meine Idee war es, die Show so realistisch wie möglich zu gestalten", erzählt Welles. Tatsächlich bricht in New York eine Massenpanik aus. Zuhörer nehmen die Nachrichten, die da übers Radio verbreitet werden, für bare Münze: Die Marsianer sind in der Stadt gelandet, ihre Kriegsmaschinen überziehen New York mit einer Welle der Zerstörung.

"Radio Listeners in Panic", titelt später die New York Times. "Taking War Drama for Fact." Ein Porträt des lächelnden Orson Welles ziert die Gazetten: Der Übeltäter, der das Ganze in Gang setzte, ist gerade mal 23 Jahre alt.

Panik! Oder doch nicht?

Die Geschichte ist längst Legende. Bücher wurden darüber geschrieben, Filme gedreht. Doch ist es wirklich so passiert? Gab es diese Massenpanik? Oder war das eine Erfindung der Zeitungen? Und welche Rolle spielte Welles? Wollte er das große Aufsehen? Diesen und anderen Fragen geht das Livehörspiel des Theaters Mienenspiel nach. An drei Abenden – am 16., 17. und 18. November – ist "Orson Welles und der Krieg der Welten" im größten Hörsaal des Philosophicums auf dem Gutenberg-Campus zu hören – und ein wenig auch zu sehen.

Für die Aufführung hat Philipp Neuweiler ein völlig neues Hörspiel geschrieben. Sein Stück zitiert zwar das Original – auch diesmal werden die Marsianer New York angreifen –, doch es geht weit darüber hinaus. "Orson Welles und der Krieg der Welten" erzählt unter anderem die Vorgeschichte des ursprünglichen Hörspiels. Zwei Figuren stehen dabei im Mittelpunkt: der aufstrebende Welles, der schon früh mit seinem Charisma glänzt und gekonnt an seinem Image strickt, und Howard Koch, Welles' Autor, der heute beinahe vergessen ist.

"Ich erzähle die Begebenheit aus der Sicht dieser beiden Personen", erläutert Neuweiler. Der Student der Filmwissenschaft hat im Vorfeld viel recherchiert und präsentiert nun auch allerlei weniger bekannte Details. "Zu Beginn sind die Versionen von Welles und Koch noch ziemlich deckungsgleich, dann entfernen sie sich voneinander." Wie im Original vermischt Neuweiler dokumentarische mit fiktiven Elementen. Als großes Thema schwingt die Macht der Medien mit. "Was sind Fake News, was sind reale Nachrichten? Damit spiele ich."

Neues Format für den Campus

Das Theater Mienenspiel präsentiert Neuweilers Stück auf ganz eigene Weise. Die Hochschulgruppe hat sich auf Livehörspiele spezialisiert. 2013 gegründet, führte sie zuerst das Stück "Jekyll & Hyde" auf. Das war in vieler Hinsicht noch konventionelles Theater. "Dann wollten wir etwas machen, was es so auf dem Campus noch nicht gab", erzählt Mienenspiel-Mitbegründer Mathias Müller. "Theaterstücke im Hörsaal P1 gibt es viele, aber ein Livehörspiel? Das war neu."

Dann 2016 debütierte Theater Mienenspiel mit einer Hörspieladaption von R. L. Stevensons Kurzgeschichte "Der Leichenräuber", ebenfalls in der Bearbeitung von Neuweiler. "Ich erinnere mich noch, wie die eine Hälfte der Zuschauer mit geschlossenen Augen dasaß", erzählt er, "die andere Hälfte wollte sehen, was auf der Bühne passiert."

Tatsächlich passiert dort einiges: Schon das Bühnenlicht ist aufwendig, es unterstützt Stimmungen und trennt reale von surrealen Szenen. Gut ein Dutzend Mikros nehmen Geschehen auf. Drei Sprecher und eine Sprecherin übernehmen alle Figuren. "Jeder von uns hat eine Hauptrolle", erklärt Tatjana Grandl-Geier, "daneben spielen wir noch alle anfallenden Nebenrollen. Ich finde es interessant, nur über die Stimmen eine Geschichte zu erzählen", so die Theaterwissenschaftlerin. "Wir erzeugen durch Sprache Bilder. Das ist echtes Kopfkino."

Kopfkino live

Christian M. Roth spricht den großen Orson Welles. "Der hatte ein ungeheures Talent, sich selbst zu inszenieren", meint der Student. Ein wenig gilt das auch für Roth – zumindest auf der Bühne im P1. So glänzt er in einer Szene, in der Welles mit Frederick W. Kaltenborn telefoniert, einem Deutschen, der im US-Radio die Synchronstimme Hitlers übernommen hatte. Roth spricht beide und warnt als Kaltenborn den jüngeren Welles: "Verkaufen Sie Ihre Stimme niemals an ein Monstrum." Hitler ist klar herauszuhören.

Nach den Sprechern spielen Musik und Geräusche eine große Rolle in der Inszenierung. "Was irgend möglich ist, wollen wir live auf die Bühne bringen", betont Neuweiler. Also sitzt Steffen Astheimer für drei Abende am Piano. Er hat einiges an Melodien aus den 1930ern im Repertoire, George Gershwin ist dabei, aber auch klassische Kompositionen wie Debussys Clair de Lune, die Welles und Koch für ihr Hörspiel verwendeten.

Ein echter Magnet fürs Auge ist der schwarz drapierte Tisch, der am linken Bühnenrand steht. Auf ihm stapelt sich ein buntes Sammelsurium an Utensilien. Eine alte Schreibmaschine ist hier ebenso zu finden wie Porzellanscherben, Nudeln und eine Bürste. Hier tobt sich Live-Geräuschemacherin Simone Nowicki aus.

Welt der Geräusche

"Ich habe alles gesammelt, was rappelt oder sonst irgendwie Geräusche macht", erzählt die Filmwissenschaftlerin. Mit harten Canneloni will sie das Knacken eines brechenden Nasenbeins imitieren, Lauch soll das Geräusch imitieren, das eine Kugel macht, wenn sie auf den menschlichen Körper trifft. "Außerdem haben wir ewig überlegt, wie es sich anhört, wenn sich eine Alien-Tür öffnet. Ich habe überall gesucht und bei meiner Mitbewohnerin fand ich dann diesen Sodastream." Sein Zischen klingt sehr nach dem Druckausgleich zwischen verschiedenen Atmosphären.

Bevor es wirklich auf die Bühne geht, muss noch dringend die eine oder andere Frage geklärt werden: Wo genau sollen die Mikros stehen? Sind die Scheinwerfer richtig justiert? Und wird der Lauch echt klingen? Letztlich entscheiden das die Zuschauer.

"Der Vorverkauf ist gut gelaufen", freut sich Neuweiler. "Wir haben schon mehr Karten verkauft als beim vorigen Stück." Aber natürlich gibt es auch noch Karten direkt vor den Abendveranstaltungen. Die Marsianer können kommen, Mainzer Publikum wird da sein.