MS-Mechanismen auf der Spur

17. Mai 2018

Prof. Dr. Ari Waisman gehört zu den führenden Forschern auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose (MS). 2005 kam er nach Mainz, seit 2010 leitet er das Institut für Molekulare Medizin an der Universitätsmedizin Mainz, an dem sich Medizinerinnen und Mediziner, aber vor allem auch Biologinnen und Biologen mit einer ganzen Reihe von Autoimmunkrankheiten befassen.

Wenn er von seiner Forschung spricht, versucht Prof. Dr. Ari Waisman komplexe Sachverhalte so einfach wie irgend möglich darzustellen. Er beginnt mit der Blut-Hirn-Schranke: "Das ist eine sehr wichtige Barriere im Körper. Sie sorgt dafür, dass nicht alles aus dem Blutkreislauf ins Gehirn gelangen kann." Zellen des Immunsystems etwa sind extrem unerwünscht im Hirn. "Aber über einen Botenstoff, ein Interleukin, gelingt es ihnen, die Schranke zu überwinden. Das ist schlecht."

Auf diese Weise attackiert die Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose die Nervenzellen des Gehirns. "Wir möchten diese Mechanismen verstehen: Warum erlaubt die Schranke, dass etwas, das schädlich für uns ist, vom Blut ins Gehirn gelangt? Was macht Interleukin an der Barriere?"

Der Weg nach Mainz

Auf diese und andere Fragen hat Waisman in den vergangenen Jahrzehnten viele Detailantworten gefunden. Verschiedenste Institutionen fördern seine erfolgreiche Arbeit, er gehört zu den führenden Forschern weltweit auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose. Darauf angesprochen meint er allerdings schulterzuckend: "So etwas sagt man nicht von sich selbst. Das sollen andere beurteilen."

Waisman ist in Rio de Janeiro geboren und wuchs in Israel auf, wo auch seine akademische Karriere begann. Als Postdoc kam er 1996 an die Universität zu Köln. Dort wurde er von Prof. Dr. Klaus Rajewsky betreut. Der berühmte Immunologe entwickelte eine Methode, wie sich am Tiermodell durch die gezielte Ausschaltung einzelner Gene komplizierte Vorgänge klären lassen. "Conditional knock-out" nennt sich das Prinzip, das auch Waisman bis heute nutzt. "Klaus hätte eigentlich einen Nobelpreis dafür verdient", meint er.

Im Jahr 2005 folgte Waisman dann dem Ruf auf eine Professur für Immunologie an die Universitätsmedizin Mainz. Fünf Jahre später kam eine Anfrage von der Charité, ob er nicht nach Berlin kommen möchte. Die Mainzer allerdings wollten ihn auf keinen Fall gehen lassen. Sie boten ihm den Direktorenposten am Institut für Molekulare Medizin an. "Ich bin rundum glücklich hier", sagt Waisman, "denn ich kann genauso forschen, wie ich will."

In seinem Institut dreht sich alles um Autoimmunität, also um die Unfähigkeit der Immunsystems, eigene von fremden Gewebestrukturen zu unterscheiden. Dann wird der eigentliche Schutzmechanismus aktiv und schädigt den Körper. "Wir arbeiten viel, aber nicht nur zu Multipler Sklerose. Wir interessieren uns auch für andere Autoimmunkrankheiten wie zum Beispiel Psoriasis, die Schuppenflechte. Wir betreiben Grundlagenforschung, was allerdings nicht ausschließt, dass wir zu verbesserten oder neuen Therapieansätzen beitragen."

Botenstoffe des Immunsystems

Am Institut für Molekulare Medizin forschen mehrere Arbeitsgruppen. "Neben meiner eigenen Gruppe gibt es die von Prof. Dr. Björn E. Clausen und von Dr. Florian Kurschus. Dr. Nadine Hövelmeyer forscht zu Leukämie und Darmkrebs. Und als assoziierte Gruppe kommt das Team um die Kardiologin Dr. Susanne Karbach hinzu. Sie fand zum Beispiel heraus, dass Menschen, in deren Haut viel Interleukin-17 lagert, häufiger Probleme mit Schuppenflechte haben und dass sie zugleich öfter an Herzproblemen leiden. Gerade schauen wir, wo da der Zusammenhang besteht."

Die Interleukine sind ein wichtiges Thema am Institut. "Sie sind die Sprache der Zellen", erklärt Waisman. "Über diese Botenstoffe reden die T- und die B-Zellen des Immunsystems untereinander und mit anderen Zellen. Sie sagen: Kommt her! Oder: Produziert Antikörper!"

Die Interleukine werden nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung durchnummeriert. Waisman selbst ist bekannt für seine Forschung zu Interleukin-17 (IL-17). Er konnte nachweisen, dass dieser Botenstoff eine wichtige Rolle bei der Multiplen Sklerose spielt: Wenn ins Gehirn geratene Immunzellen gesunde Nervenzellen angreifen, sind immer auch Immunzellen beteiligt, die IL-17 produzieren. Nun will er herausfinden, inwieweit IL-17 diese Schäden verursacht, was dieser Botenstoff also genau bewirkt. Daraus könnten sich wiederum Therapieansätze ergeben. Die National Multiple Sclerosis Society unterstützt dieses Vorhaben und fördert seine Forschung mit 490.000 Euro.

Paul-Klein-Zentrum für Immunintervention

"Wollen Sie eigentlich mal unsere Labore sehen?", fragt Waisman – und ist schon auf den Beinen. Das Institut für Molekulare Medizin befindet sich im Hochhaus am Augustusplatz, das am Rande des Campus der Universitätsmedizin Mainz in den Himmel ragt. Der Immunologe führt von Raum zu Raum. Er zeigt hier ein DNA-Sequenziergerät, dort einen Inkubator für Zellkulturen – und dann kommt er zu einem Raum voller gepackter Kisten.

"Ende Mai ziehen wir um ins frisch errichtete Paul-Klein-Zentrum für Immunintervention, da bekommen wir auch neue Labore", erzählt er. "Paul Klein ist der Vater der Immunologie in Deutschland – und stellen Sie sich vor, er war Professor in Mainz." Insgesamt werden künftig rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dem hochmodernen Forschungsbau, der vom Bund und vom Land Rheinland-Pfalz finanziert wurde, die Mechanismen der Immunregulation erforschen und in die klinische Anwendung bringen.

Nun geht es zum Büro von Dr. Khalad Karram. "Er kümmert sich um unsere Studiengänge", stellt Waisman ihn vor. Der Masterstudiengang Biomedizin läuft seit Jahren erfolgreich am Institut. Nun kommt etwas Neues hinzu: Prof. Dr. Ulrich Förstermann, wissenschaftlicher Vorstand und Dekan der Universitätsmedizin Mainz, hatte angeregt, gemeinsam mit Straßburg einen internationalen Studiengang ins Leben zu rufen. "Und ich meinte: Nehmen wir doch gleich Luxemburg mit dazu."

Trinationaler Studiengang

Der International Master of Biomedicine wird zum kommenden Wintersemester erstmals angeboten. "Jeder Partner steuert sein Schwerpunktgebiet bei: Luxemburg ist besonders gut in Bioinformatik, Straßburg in Pharmakologie und Mainz in Immunologie und Neurobiologie." Die Studierenden werden mindestens ein Semester an jedem Standort verbringen. Am Ende können sie einen in allen drei Ländern gültigen Abschluss vorweisen.

Karram zieht den Entwurf der geplanten Info-Broschüre zum Studiengang hervor. "So richtig zufrieden mit dem Layout bin ich noch nicht", meint er. Waisman schaut sich den Entwurf genauer an. Das offensichtliche Problem ist, dass sich die Kennfarben der Partner ähneln: Mainz setzt auf Rot, Luxemburg auf Rot und Blau, Straßburg auf Blau. Das ergibt wenig Kontraste. "Vielleicht können wir Luxemburg zu Grün überreden", witzelt Waisman. Karram stutzt kurz, bevor er lächelt, dann wird das Gespräch doch noch ernsthafter.

"Ich hoffe, Sie haben genug gesehen?", verabschiedet sich Waisman. Das ist nicht rhetorisch gemeint. Er könnte noch so viel mehr erzählen und zeigen.

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