Botschafter des Jazz

3. September 2018

Mit gerade mal 28 Jahren kam Sebastian Sternal als Professor für Jazzklavier an die Hochschule für Musik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Damit kehrte der vielfach ausgezeichnete Musiker und Komponist in seine Geburtsstadt zurück, deren Jazzszene er seither durch verschiedenste Initiativen belebt.

"Ich glaube, viele hören Jazz, ohne es zu wissen", sagt Prof. Sebastian Sternal. "Landläufig wird darunter ja etwas ganz Bestimmtes verstanden – Free Jazz zum Beispiel. Die meisten wissen gar nicht, wie breit Jazz tatsächlich aufgestellt ist, wie sehr etwa der Pop durch ihn beeinflusst wird. Jazzer sind Grenzgänger. Sie interessieren sich für alle Arten von Musik, ob Klassik, Rock, Soul, Blues oder Folklore. All das fließt in den Jazz ein, es spiegelt sich in ihm. Deswegen gibt Jazz oft das Zeitgeschehen so gut wieder."

Anfang August gab Sternal gemeinsam mit dem Kabarettisten Lars Reichow ein Open-Air-Konzert auf der Mainzer Zitadelle. Musikalisch gesehen bot dieser "Frische-Luft-Gipfel mit Kabarett, Jazz, Groove, Comedy" eine ungewöhnliche Paarung, aber genau davon lebt der Jazz. Sternal stellte eine Band zusammen, die in erster Linie begleitete. Reichow schien vordergründig die erste Geige zu spielen, doch durch das Spiel der Instrumentalisten entstand eine völlig neue musikalische Sphäre.

Jazz trifft auf Kabarett

"Ich finde es spannend, auf solch einem Weg ganz verschiedene Publikumstypen zu erreichen", meint Sternal. Vor allem war es ein Liederabend: Reichow präsentierte Stücke aus gut 25 Jahren Bühnenkarriere und Sternal schrieb frische Arrangements dazu. "Es macht mir wahnsinnig viel Spaß, für einen Solisten Farben zu malen, ihm einen musikalischen Teppich auszurollen. Zugleich habe ich seinen Stücken meinen Stempel aufgedrückt und so den Jazz über eine Art trojanisches Pferd unter die Leute gebracht."

Sternal kennt und schätzt Reichows Kabarett seit Jahrzehnten. Gerade dessen Chansons hätten es in sich, so der Musikprofessor. Umgekehrt bewundert Reichow den Jazzer Sternal: "Für mich geht ein Traum in Erfüllung mit diesem Konzert", schwärmte der 54-jährige Gutenberg-Alumnus zur Eröffnung auf der Zitadelle. "Begrüßen Sie mit mir den Mann, der die Mainzer Jazzszene wiederbelebt hat – und nicht nur die Mainzer, auch die Kölner und die der gesamten Republik."

Seit 2011 hat Sternal die Professur für Jazzklavier an der Hochschule für Musik Mainz (HfM) inne – just an jener Hochschule, an der Reichow Anfang der 1980er-Jahre selbst studierte. Mit gerade mal 28 Jahren war Sternal ein sehr junger Professor. Doch dieses besondere Detail wischt er mit einer Handbewegung weg. "Ich habe halt auch früh mit der Musik angefangen."

Die Berufung war eine Heimkehr, denn wie Reichow ist Sternal in Mainz geboren. "Ich stamme aus einer Lehrerfamilie, mein Vater leitete viele Jahre die Berufsbildende Schule I auf dem Mainzer Hartenberg." Im Alter von sechs Jahren setzte sich Sternal ans Klavier und kam nach einigen Jahren Klassik-Unterricht über seinen Lehrer zum Jazz. Er studierte in Köln Jazzklavier und -komposition bei John Taylor, Hubert Nuss und Joachim Ulrich. Zwischendurch ging es ans Pariser Konservatorium zu Hervé Sellin und Francois Théberge. Peter Herbolzheimer war ein wichtiger Förderer der frühen Jahre. Er nahm den 15-jährigen Sternal ins Bundesjazzorchester auf. "Er holte mich immer wieder als Musiker und später auch als Dozenten."

Lehre und künstlerische Karriere ergänzen sich

Sternal spielte mit zahlreichen Jazzgrößen, darunter Sängerin Dee Dee Bridgewater, Saxofonist John Ruocco und Schlagzeuger John Riley. Sein CD-Debüt gab er 2009 mit einer Reihe von Eigenkompositionen: Schlicht "Eins" hieß die Platte des Sebastian Sternal Trios mit Sebastian Klose am Bass und Axel Pape am Schlagzeug. Die Band besteht bis heute, auch wenn später eine Reihe weiterer Ensembles und wichtiger Projekte hinzukamen.

2009 war im Übrigen auch das Jahr, in dem Sternal die Hochschullehre für sich entdeckte, zunächst mit Lehraufträgen an den Musikhochschulen Köln und Osnabrück. "Für mich ergänzen sich Lehre und künstlerische Karriere hervorragend", sagt er. "Auf Tour gehe ich vorwiegend in der vorlesungsfreien Zeit, dann beschäftige ich mich auch intensiver mit meinen Kompositionen und Bands." Im Semester widmet er sich den Studierenden. "Ich mag den Reflexionsprozess, der in der Lehre stattfindet. Da nehme ich viel mit – gerade bei dem ausgezeichneten Niveau hier an der Hochschule für Musik Mainz."

Der Einzelunterricht liegt Sternal, der Austausch mit Studierenden auf Augenhöhe ist ihm wichtig. "Es ist eine Art zu lehren, die sehr vom jeweiligen Studierenden ausgeht: Was kann sie oder er besonders gut? Wo will sie oder er hin? Ich gebe das richtige Handwerkszeug mit, helfe, das eigene künstlerische Profil zu schärfen, zeige aber auch neue Dinge. Das ist eine sensible Angelegenheit, bei der sich immer wieder die Frage stellt: Wo lasse ich es frei laufen oder inwiefern greife ich ein in die Entwicklung der Persönlichkeit?"

Sternal öffnet seinen Studierenden gern auch ganz praktisch die Türen in die Musikwelt – jenseits der Universität. Zum Konzert mit Reichow etwa brachte er Studentin Sarah Pfaff mit. Die Sängerin stimmte gemeinsam mit Bassist Michael Goldmann auf den Abend ein. Überhaupt waren am Konzert ausschließlich Musiker beteiligt, die auf die ein oder andere Weise mit der Mainzer Hochschule für Musik verbunden sind: Saxofonist Denis Gäbel etwa als Dozent, Posaunist Jonathan Strieder als Student und Heiko Hubmann an der Trompete als Alumnus.

Mainz wird zur Jazzstadt

"Ich mag es zu gestalten, gesellschaftlich zu arbeiten und den Studiengang an der Hochschule weiter voranzubringen", sagt Sternal. All das greift in seinem Fall ineinander. Unter anderem hat er die Konzertreihe "Treffpunkt.Jazz!" ins Leben gerufen. Hier begrüßt Sternal regelmäßig Jazzgrößen, spielt selbst mal mit einer seiner Formationen, ermöglicht aber auch dem Nachwuchs, ins Rampenlicht zu treten. So trafen zur 25. Ausgabe unter dem Titel "Isfahan" iranische Musiker auf Studierende. Sie suchten und fanden Anknüpfungspunkte zwischen den Musikkulturen.

Unterm Strich ist sich Sternal nicht sicher, ob er nun wirklich die Jazzszene der Republik wiederbelebt hat, wie Reichow so vollmundig lobt. "So was kann man ja allein gar nicht", merkt Sternal an, "aber ich trage dazu bei." Zahlreiche wichtige Preise könnten immerhin als Argument dienen: So wurde er allein dreimal mit dem ECHO Jazz ausgezeichnet, der im Gegensatz zu dem in die Kritik geratenen ECHO Pop keine Auszeichnung für Verkaufszahlen ist, sondern von einer Fachjury vor allem in Hinblick auf die kü
nstlerische Qualität vergeben wird: 2013 bekam er ihn als Newcomer National, 2016 in der Kategorie Bestes Big-Band-Album des Jahres für seine Produktionen mit der Sternal Symphonic Society, in der er junge Musikerinnen und Musiker aus Klassik und Jazz zusammenführt, und schließlich 2018 als Bester Instrumentalist Piano/Keyboard für sein Album "Home".

Unbestritten ist allerdings, dass Sternal ungeheuer wirksam für den Jazz an der Hochschule, in Mainz und in Rheinland-Pfalz trommelt. "Das ist eine Sache, die mir am Herzen liegt. Ich freue mich, wenn ich auf diesem Gebiet etwas für meine Heimatstadt tun kann." Dazu nutzt er seine zahlreichen Verbindungen – und davon profitieren nicht zuletzt seine Studierenden. "Tatsächlich wird die hiesige Jazzszene inzwischen bundesweit wahrgenommen", erzählt Sternal. "Die Leute merken: Da geht was in Mainz!"