Keine Panik, noch stimmt der Kurs

15. August 2012

Die Eurokrise ist in aller Munde. Eine Nachricht jagt die andere. Deutschland bürgt für Milliarden, Griechenland steht trotz Rettungsschirm im Regen, Spanien und Italien wackeln, die Finanzmärkte schwanken zwischen Nervosität und Hysterie. In dieser Zeit bewahrt sich der Mainzer Volkswirtschaftler Prof. Dr. Philipp Harms einen sachlichen Blick auf die Lage.

Prof. Dr. Philipp Harms strahlt Ruhe aus. "Wollen Sie auch ein Glas Wasser?", fragt er, bevor er sich setzt, um über ein aufregendes Thema zu reden. An der Wand seines Büros hängt eine Tafel übersät mit Formeln. Der Computer auf dem Schreibtisch zeigt eine Grafik: Fieberkurven der Staatsverschuldung sind zu sehen. Darauf wird Harms gleich eingehen in dem Gespräch über die Eurokrise.

"Eigentlich ist es gar keine Krise der Währung. Es ist eine Mischung aus Finanzkrise und vor allem eine Staatsschuldenkrise", sagt der Professor für internationale Ökonomie am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Man hat irgendwann angefangen, die Krise als Eurokrise zu definieren, wahrscheinlich zu früh." Das Ganze habe dann eine ungeheure Dynamik entwickelt: "In London, Mumbai, New York und Shanghai wird inzwischen gewettet, wie lange der Euro noch hält."

Euro ist stärker als bei seiner Einführung

Der grassierende Pessimismus zeige verheerende Wirkung auf den Finanzmärkten. Dabei gibt Harms zu bedenken: "Der Euro ist zwar schwächer als vor fünf Jahren, aber er ist stärker als bei seiner Einführung."

Der Volkswirtschaftler schaut genauer hin. Er zeigt auf seine Computergrafik. "Das hier oben ist Japan." Die Kurve nähert sich der 250-Prozent-Marke. So hoch ist die Staatsverschuldung in einem Land, dessen Regierung als kreditwürdig gilt. Griechenland liegt weit darunter bei gut 150 Prozent, die USA nahe bei 100 Prozent. "Der griechische Staat zahlt auf seine Kredite 25 bis 30 Prozent Zinsen, der japanische weniger als ein Prozent. Der Unterschied ist kaum gerechtfertigt."

Geschönte griechische Bilanzen

Hier schlägt ein Pendel aus, das zuvor zu Gunsten Griechenlands in die entgegengesetzte Richtung schwang. "In der frühen 2000er-Phase konvergierten die Kreditzinsen in Europa." Die frisch gegründete Eurozone wurde als Einheit wahrgenommen, all ihre Länder bekamen von den Finanzmärkten Geld zu gleich günstigen Konditionen. Die Griechen allerdings waren mit geschönten Bilanzen in die Zone geschlüpft, nun konnten sie unter diesem Etikett über ihre Verhältnisse leben. "Bei der Einführung des Euro ist viel schief gelaufen. Es fällt auch schwer, das nachträglich mit dem europäischen Gedanken zu rechtfertigen."

Inzwischen ist das Pendel im anderen Extrem angekommen. Griechenland zahlt horrende Zinsen. Die Finanzmärkte haben das Vertrauen in die Volkswirtschaft des Landes verloren, die Rating-Agenturen stuften seine Kreditwürdigkeit herab.

Bundesregierung ist auf richtigem Kurs

Tatsächlich hat Griechenland einige Probleme: "Seine Wirtschaft müsste viel stärker in die internationalen Produktionsnetzwerke integriert werden. In vergleichbaren Ländern wie Polen oder der Türkei wird sehr viel produziert, was dann in anderen Ländern fertig gestellt wird." Diese sichernde Vernetzung fehle in Griechenland. "Außerdem sind gemessen an der Produktivität die Löhne zu hoch."

Angesichts der Krise hält Harms den aktuellen Kurs der Bundesregierung im Kern für richtig. "Es geht darum, Spanien, Italien oder Griechenland kurzfristig Luft zu verschaffen. Gleichzeitig wird gefordert, dass sie eine größere Schuldendisziplin zeigen, dass sie sich sanieren."

Reformen zur Sanierung aber brauchen Zeit, um zu greifen, das bedenke nicht jeder. "Wenn deutsche Politiker sagen, in Griechenland passiere nichts, dann sind sie einfach falsch informiert. Da passiert eine Menge."

Ein Kloster für Rating-Agenturen

Finanzmärkte, Medien und Rating-Agenturen lassen den Ländern kaum Ruhe. Gerade das mediale Getöse um die Herabstufungen sei fatal, die Finanzmärkte reagierten sensibel. "Am besten wäre es, wenn etwa Spanien einfach mal ein paar Wochen Ruhe hätte." Harms hat ein Beispiel parat, wie heilsam das sein kann: "Im Herbst und Winter 2010/2011 schien Irland ein Kandidat, dessen Tage gezählt waren. Inzwischen redet kein Mensch mehr davon, das Land scheint auf einem guten Weg zu sein." Hier habe die Strategie der kurzfristigen Erleichterung und der Forderung nach langfristiger Sanierung gefruchtet, das Land kam aus der Schusslinie heraus.

Gysi würde es genauso machen

Dieser Doppelkurs des Helfens und Forderns kann inkonsequent wirken, das belegen die Reaktionen auf die deutsche Politik. "Einerseits wird Merkel in der griechischen Presse mit dem Hakenkreuz gezeigt, andererseits gilt sie bei uns vielen als zu lasch. Ich bin mir aber sicher, dass Gregor Gysi off the records zugeben würde, dass die Linke in der Situation auch nicht viel anders machen könnte."

Dass manch einer nervös ist, versteht Harms. "Deutschland ist hohe Verpflichtungen eingegangen." Zugleich gibt er aber zu bedenken: "Bisher ist noch nicht viel Geld geflossen und Deutschland hat sogar profitiert von der Krise. Es kann sich Geld leihen zu Konditionen, die vor Jahren noch undenkbar gewesen wären."

Langfristig wird die Eurokrise Folgen haben. "Die Systemfragen nach der Finanzkrise 2009 sind Detailfragen gewichen, die ungleich wirkungsvoller sind." Es gehe nicht mehr darum, ob der Kapitalismus nun an allem Schuld sei oder nicht. "Eine Frage ist: Wie verteilt man die Lasten auf die Schultern der Steuerzahler?" Vor dem Hintergrund der zunehmenden Konzentration von Reichtum in den letzten Jahrzehnten prognostiziert Harms ein Wende. "Wir werden sicher eine Umverteilung größeren Stils erleben."

Eurokrise auf dem Weg zur Fußnote?

Daneben sei eine bessere Regulierung der Finanzmärkte bereits in die Wege geleitet. "Schon die Erhöhung des Eigenkapitals der Banken ist ein großer Schritt. Das macht denen im Moment Probleme."

Unterm Strich ist Harms bekennender Optimist. "Ich glaube nicht, dass wir dabei sind, irgendwas grundsätzlich gegen die Wand zu fahren." Selbst ein Ende des Wachstums sieht er nicht. "Ich glaube nicht, dass wir einen Eimer Wohlstand haben, der irgendwann leer ist. Die Menschen sind erfindungsreich und Wachstum muss nicht immer auf Kosten der Umwelt gehen. Schauen Sie sich nur die moderne Informationstechnologie an", sagt er und deutet auf seinen PC.

Nach zwei Stunden des intensiven Gesprächs ist das Glas Wasser vor Harms immer noch halb voll. "Ich denke, dass die Eurokrise eher eine Fußnote unserer Geschichte sein wird. Wir haben viel größere Probleme zu bewältigen. Denken Sie nur an den demografischen Wandel oder die Erderwärmung." Da schaut er schon etwas ernster. Für einen zweiten Blick auf das Wasserglas bleibt noch Zeit: Ist es vielleicht doch halb leer?