"Musik betrifft jeden, ohne Musik kann niemand leben"

28. November 2018

Nach Domorganist Daniel Beckmann und Saxofonistin Steph Winzen ist Prof. Felix Koch von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) jüngst zum dritten Mainzer Stadtmusiker gekürt worden. Die Stiftung Schlaraffia Moguntia zeichnet damit einen leidenschaftlichen Botschafter der klassischen Musik aus.

Beethoven starrt grimmig geradeaus. Prof. Felix Koch streicht ihm lächelnd übers Haar. "Das ist eine alte Büste aus dem Jahr 1895, sie hat schon einiges mitgemacht", erzählt der Leiter des Collegium musicum der JGU. "Sie ist sogar mal erschossen worden." Er deutet auf ein Loch unterhalb des energischen Kinns. "Nun brauchen wir sie als Requisite für unser anstehendes Kinderkonzert. Vorher wird sie aber noch ein wenig aufgehübscht und bekommt ein Halstuch."

Koch trägt Jeans und ein rotes Kapuzenshirt mit JGU-Logo. "Das Shirt habe ich gleich in mehreren Farben", meint er. Der 49-Jährige entspricht so gar nicht dem gängigen Klischee eines professionellen Orchestermusikers, eines Dirigenten oder gar eines Professors für Alte Musik.

Beethoven und die Eule

Zum Gespräch führt er in einen der Probensäle des Collegium musicum. Hier unterrichtet er regelmäßig. Neben der Beethoven-Büste hat er eine zweite Skulptur mitgebracht, einen Uhu in Bronze, geschaffen von der Künstlerin Liesel Metten. Diesen ungewöhnlichen Vogel bekam Koch jüngst verliehen, als er von der Stiftung Schlaraffia Moguntia zum Mainzer Stadtmusiker gekürt wurde. Laudator war der Präsident der JGU, Prof. Dr. Georg Krausch.

"Er hielt eine liebevolle und rhetorisch brillante Rede, in der klar wurde, wie wichtig ihm die Musik an unserer Universität ist und wie sehr er die Hochschule für Musik und auch das Collegium musicum schätzt, das die Menschen hier fächerübergreifend in einem positiven Geist verbindet." Krausch lobte, dass die Stiftung keinen würdigeren Preisträger hätte finden können, aber das erwähnt Koch nicht extra: Ihm geht es immer um die Musik, selten um die eigene Person.

2010 kam Koch als Professor für Alte Musik und Musikvermittlung an die Hochschule für Musik der JGU, 2012 übernahm er die Leitung des Collegium musicum. 2015 bis 2017 übernahm er das Amt des Prorektors der Hochschule für Musik. "Mir gefällt es hier", sagt er, "Mainz ist ein Ort, an dem ich mich wohl fühle, und an der JGU kann ich mit Musik viel bewegen."

Koch sieht Musik als etwas hoch Kommunikatives. Diesen Aspekt entdeckte er bereits früh für sich: "Schon in der Schule gab ich kommentierte Konzerte. Ich wollte den direkten Kontakt zum Publikum, ich wollte ihnen erzählen, warum ich Musik mache, und ihnen diese Musik übersetzen. Ich wollte sagen, warum ein Stück nach rollenden Meereswellen klingt oder wie Blitz und Donner. Zum Glück geriet ich an einen extrem begeisternden Lehrer, der mich im Musikleistungskurs bestärkte, der sagte: Ja, du kannst Musik in Worte fassen, Musik ist beschreibbar."

Musik dreifach studiert

Natürlich studierte Koch Musik – und das gleich dreifach: In Mannheim und Karlsruhe belegte er Orchestermusik mit Hauptfach Violoncello. Er spielte als Praktikant an der Oper Karlsruhe und bei den Heidelberger Sinfonikern. "Ich merkte aber: Das ist nicht so ganz mein Ding." Also entschloss er sich für ein Spezialstudium Alte Musik mit Hauptfach Barockcello und Historische Interpretationspraxis an der Musikhochschule Frankfurt.

"Ich begründete das Ensemble Mediolanum Frankfurt mit. Wir gewannen viele Wettbewerbe und waren so eine Art Aushängeschild der Stadt. Wir spielten in Mailand, in New York … in der ganzen Welt. Wir gaben auch Kinderkonzerte. Dabei bemerkte ich, dass ich mit allen Altersgruppen gut zurechtkomme. Es machte mir Spaß, ihnen Musik zu erklären. Aber bei den Kleinen, den Grundschülern, stellte ich fest, dass sie nach 20, 25 Minuten wegdriften. Ich wusste offensichtlich nicht so recht, was diese Kinder brauchen, wie sie im Klassenverband sind, wie ich mit ihnen zurechtkomme. Also sagte ich mir: Okay, du musst noch mal studieren."

Die Musikpädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt war Kochs dritte Station. Im Anschluss unterrichtete er an der Liebfrauenschule in Frankfurt. Zugleich nahm er einen Lehrauftrag für Musikvermittlung und Konzertpädagogik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst an. Diese Doppelrolle brachte ihm all das, was er noch brauchte.

"Musikvermittler und Konzertpädagogen gibt es erst ungefähr seit dem Jahr 2000. Auf der einen Seite müssen sie hochprofessionelle Vermittler sein, denn das Publikum ist CD-Qualität gewohnt. Auf der anderen Seite müssen sie wissen, was sie einem Kinderpublikum erzählen oder was sich ein Erwachsenenpublikum an Informationen zu einem Stück wünscht. Diese beiden Ebenen auf hohem Niveau zu verbinden, ist eine hochkomplexe Aufgabe, die viel Zeit erfordert."

Gegen passives Zuhören

"Das ist mir eine Herzensangelegenheit", erklärt er. "Musikvermittlung wird oft so unzureichend gemacht. Gut gemeint ist da oft nicht gut gemacht. Häufig fehlt entweder pädagogisches oder künstlerisches Knowhow." Auch der gängigen Aufführungspraxis in der klassischen Musik kann er wenig abgewinnen: "Wir haben eine verkopfte Konzerttradition aufgebaut, die das Publikum zum passivem Zuhören verurteilt."

Solche Strukturen möchte Koch aufbrechen, er will Kommunikation, das macht er deutlich. "Musik macht Spaß, Musik betrifft jeden, ohne Musik kann niemand leben", stellt er kategorisch fest. An der JGU bringt er die Musik unter die Leute: Als Professor für Barockcello, Alte Musik und Musikvermittlung an der Hochschule für Musik, zum anderen am Collegium musicum, wo Studierende, Lehrende und Angestellte auf hohem Niveau gemeinsam musizieren – ob im UniChor, im UniOrchester oder im 2013 von Koch gegründeten Gutenberg-Kammerchor. "Solch eine Konstellation, so eine starke musikalische Ausrichtung, ist deutschlandweit einmalig an einer Universität", sagt Koch.

Auch die Kinder gehören weiter zu seiner Klientel: Mit "ColMusiKuss", der musikalischen KinderUni des Collegium musicum und der Hochschule für Musik, gibt er immer wieder Konzerte. In den kommenden Tagen steht Beethovens Neunte Sinfonie an. Das UniOrchester wird damit in der Alten Oper Frankfurt zu Gast sein.

"Eigentlich ist das Stück viel zu lang für so ein Konzert. Aber es enthält die 'Ode an die Freude', die kennen viele Kinder, da packen wir sie, da können sie mitsingen." Der vierte Satz der Sinfonie sei im Kern eine Zusammenfassung der ersten drei Sätze. "Aus ihnen baut Beethoven seine 'Ode an die Freude'." Das will Koch zeigen. "Bei unserer Generalprobe hat dieser Aspekt auch unsere Musikerinnen und Musiker begeistert. Sie hätten die Sinfonie noch mal ganz anders gesehen, meinten sie."

Für eine Campus-Philharmonie

Als frisch ausgezeichneter Stadtmusiker will Koch einmal mehr als Botschafter wirken, indem er Musik vermittelt und über die Musik mit den Menschen kommuniziert. "Ich werde all meine Konzerte in Zusammenhang mit dem Mainzer Stadtmusiker stellen. Ich will zeigen: Mainz engagiert sich für Musik." Zudem möchte Koch die wichtige Rolle der Berufsmusiker zum Thema machen. "Es gibt viele Freiberufliche, die sich durchschlagen müssen." Allzu oft würden sie angesprochen: "Spiel doch für uns. Wir haben zwar kein Budget, aber es macht dir doch Spaß." Koch stellt dagegen: "Gute Musiker kosten, sie sollten uns etwas wert sein. Das fängt bei der Musikschule für die Kleinen an und endet bei den Konzerthäusern."

Und wieder hat Koch zu einem Thema gefunden, für das er brennt: "In Mainz gibt es zwar gute Konzertsäle, aber wir brauchen ein wirklich großes Haus, eine Philharmonie, eine Rhein-Main-Philharmonie in Mainz – oder sagen wir: eine Campus-Philharmonie. Die nächste Philharmonie mit Strahlkraft ist 200 Kilometer entfernt. Wir könnten einen Magneten schaffen, ein Haus, das jeden Abend ein Programm bietet. Das wäre der Hammer! Wir müssten nur nach potenziellen finanziellen Unterstützern suchen, sie mit den Kulturschaffenden an einen Tisch setzen und ein ordentliches Konzept entwickeln." Vor Kochs geistigem Auge scheint die Campus-Philharmonie schon zu stehen.

Doch dann hält er inne und kehrt zurück in den Probensaal zur Beethoven-Büste. "Der Präsident weiß von meinen Ideen", sagt er mit leisem Humor. "Ob es realisiert werden kann oder nicht – es ist schön von solch einem Projekt zu träumen." Dann greift er sich Büste und Stadtmusiker-Pokal. "Die kommen jetzt wieder in mein Büro." Der nächste Termin ruft: ein Kurs in Musikvermittlung.