Stiftungsprofessur bringt Licht ins Dunkel

1. März 2019

Wenn es um Augenerkrankungen und die augenärztliche Versorgung in Deutschland geht, tappen Betroffene und Beteiligte über weite Strecken im Dunkeln. Es gibt zwar Studien und Statistiken zu Einzelaspekten, doch ein umfassendes, präzises Bild lässt sich damit nicht zeichnen. Eine Stiftungsprofessur zur ophthalmologischen Versorgungsforschung soll Abhilfe schaffen: Am 1. Dezember 2017 wurde Prof. Dr. Alexander Schuster von der Augenklinik der Universitätsmedizin Mainz auf die neu geschaffene Stelle berufen.

Kurz wandert Prof. Dr. Alexander Schusters Blick zum PC, doch dann beschließt er, dass ein einfaches Blatt Papier ausreicht, um zu erklären, worum es geht. Er zeichnet eine Kurve auf mit einem Ausschlag nach oben zu Beginn und einem entschieden größeren im letzten Abschnitt.

"Erkrankungen, die dauerhaft das Sehen einschränken, treten vor allem im Alter auf", sagt er. Die Kurve soll andeuten, wann Menschen augenärztlich untersucht und behandelt werden. "Kinder gehen vermehrt zum Augenarzt." Meist dreht es sich darum, ob der Nachwuchs etwa wegen Kurzsichtigkeit eine Brille braucht, ob grundlegende Einschränkungen vorhanden sind. Danach wird es erst einmal ruhig. "Im Alter von 60, 65 Jahren nimmt die Zahl der Arztbesuche rasant zu, dann haben wir eine Steigerung um die 50 Prozent, anschließend flaut es allmählich wieder ab." Schuster deutet auf den zweiten Ausschlag der Kurve. Grauer und Grüner Star, Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) oder diabetische Retinopathie – all diese Erkrankungen betreffen in erster Linie Seniorinnen und Senioren. Das ist bekannt.

Wie steht es um ärztliche Versorgung?

Doch es bleiben viele Fragen, wenn es darum geht, die schemenhafte Grafik auf dem Blatt mit konkreten Zahlen und Fakten zu belegen. "Wer erkrankt wann? Welche Augenkrankheiten gibt es wie häufig, und was sind die Gründe? Wie steht es um die ophthalmologische Versorgung? Gehen die Menschen zum Augenarzt?" Schuster sucht Antworten auf all diese Fragen. "Es gibt dazu bisher keine umfassenden belastbaren Angaben." Das soll sich ändern.

Um die Verbreitung von Augenerkrankungen und den augenärztlichen Bedarf systematisch zu erfassen, beschlossen die Stiftung Auge mit der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und dem Berufsverband der Augenärzte (BVA), eine eigene Stiftungsprofessur einzurichten. "Die Pläne dafür reichen einige Jahre zurück", erzählt Schuster. 2016 erhielt dann die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) den Zuschlag: Hier sollte die Professur angesiedelt werden. "Ein wichtiger Faktor war, dass wir mit der Gutenberg-Gesundheitsstudie eine der größten lokalen Gesundheitsstudien der Welt unterhalten." Rund 15.000 Personen nehmen daran teil. "Dort geht es zwar in erster Linie um kardiovaskuläre Aspekte, doch wir beziehen auch augenheilkundliche Fragen ein."

Schuster bewarb sich auf die neue Professur. "Und ich wurde genommen", meint er lakonisch. Am 1. Dezember 2017 begann er mit seiner Arbeit. Zuvor hatte er medizinische Physik und Medizin in Heidelberg, Mannheim und San Diego studiert. Nach einem Jahr als Assistenzarzt in Mannheim wechselte er 2014 an die Augenklinik der Universitätsmedizin Mainz. Nun arbeitet er die Hälfte seiner Zeit als Arzt, die andere Hälfte widmet er seinen Aufgaben als Stiftungsprofessor. "Ich schwankte nach der Schule lange zwischen Physik und Medizin. Ich entschied mich dann für das Zweite. Jetzt ist ein bisschen das Erste zurückgekehrt: Ich befasse mich viel mit Statistik und anderen Feldern, die ich aus der Mathematik und der Physik kenne."

Gravierende Mängel in Seniorenheimen

Rund 18 Millionen Deutsche leiden unter Augenkrankheiten, allein am Grauen Star sind vermutlich zehn Millionen erkrankt – vermutlich – das ist das Problem. Im Fall des Grauen Stars wird die geschädigte Linse des Auges durch eine künstliche ersetzt. "Wie oft Patientinnen und Patienten am Grauen Star operiert werden, können wir nur indirekt schätzen. Uns liegt lediglich die Zahl der gekauften künstlichen Linsen vor. Doch wir wissen noch nicht einmal, ob sie tatsächlich eingesetzt wurden oder ob sie in irgendeinem Schrank als Reserve lagern."

Unbestritten ist die Behandlung des Grauen Stars eine Erfolgsgeschichte der Ophthalmologie. Die Operation ist einfach und fast immer erfolgreich. Die Betroffenen spüren prompt die Besserung, Nachwirkungen sind selten. Aber wie muss diese Geschichte im Einzelnen geschrieben werden? "Gibt es zum Beispiel Fälle, wo eine augenheilkundliche Versorgung doch nicht gewährleistet ist?" Zurzeit bemüht sich Schuster um die Daten der Krankenkassen, die jede Operation abrechnen. Damit könnte er eine verlässlichere Basis schaffen, von der aus sich weiter recherchieren ließe.

Dass nicht alles perfekt läuft, belegt die zwei Jahre alte OVIS-Studie der Stiftung Auge, die sich mit der ophthalmologischen Versorgung in Seniorenheimen beschäftigt. "Sobald Personen stationär in Pflege- oder Seniorenheimen versorgt werden, fällt die Facharztversorgung zum Großteil hinten runter", fasst Schuster die Erkenntnisse knapp zusammen. Nun sind es aber gerade die älteren Menschen, die unter Augenerkrankungen leiden. Und wenn etwa ein Senior unter Demenz leidet, kann die Diagnose stark erschwert werden.

"Es gibt mehrere Vorschläge, wie die Lage zu verbessern wäre", sagt Schuster. Arztbesuche in den Heimen wären eine Möglichkeit, doch die nötigen medizinischen Geräte lassen sich kaum transportieren. Also doch besser ein Gruppenbesuch in der Praxis? "Dass etwas getan werden muss, ist klar, aber es sind viele verschiedene Instanzen beteiligt, die wiederum unterschiedliche Vorstellungen und Interessen haben."

Wenn Therapien wirkungslos verpuffen

Das Glaukom, der Grüne Star, lässt sich unter Kontrolle halten, wenn er rechtzeitig erkannt wird. Dann können Augentropfen den Verlauf der Erkrankung stoppen. Allerdings ist es schwierig, ihn früh zu diagnostizieren, denn spürbare Beeinträchtigungen treten spät ein. Beim Grünen Star wird der Sehnerv fortlaufend geschädigt. "Viele Patienten kommen leider erst, wenn das bereits zu 95 Prozent der Fall ist." Solche und andere Probleme soll Schuster aufzeigen. Wäre hier eventuell ein flächendeckendes Screening älterer Menschen sinnvoll?

"Selbst, wenn eine Erkrankung behandelt wird, gibt es noch Schwierigkeiten", fährt Schuster fort. Ein großes Thema ist die Therapie-Adhärenz: "Nehmen die Betroffenen wirklich die Medikamente ein, oder kommen sie zur Behandlung? Wenn wir zum Beispiel feststellen, dass jemand seine verschriebenen Augentropfen nur für ein halbes statt für ein ganzes Jahr bei der Apotheke abholt, wissen wir: Er hält sich nicht an die ärztlichen Anweisungen." Schätzungen zufolge betrifft das etwa ein Drittel der Patientinnen und Patienten.

"Im Fall der feuchten Makuladegeneration, der AMD, geht es darum, dass die Netzhaut an der Stelle des schärfsten Sehens vernarbt. Dagegen wirkt eine Spritze ins Auge, die alle vier Wochen gegeben werden muss. Doch manch ein Betroffener kommt einfach nicht mehr zum nächsten Termin." All diese Therapien sind teuer, deswegen ist es noch mal ärgerlicher, wenn sie auf diese Weise wirkungslos verpuffen.

Schuster hat ein weites Feld zu beackern. Er soll Grundlegendes schaffen. Unter anderem forscht er gerade gemeinsam mit einer Doktorandin, woran genau Menschen in der Bundesrepublik erblinden. Auch hier fehlen zuverlässige Daten, dabei wären sie wichtig, um präventiv tätig zu werden.

Eine Arbeit für Jahrzehnte

"2012 gab es bereits ein erstes Weißbuch zur ophthalmologischen Versorgung in Deutschland. Es hat bereits erste Schwachstellen im System aufgezeigt. Doch wir wollen noch umfassender arbeiten." Die Datenbasis soll breit sein und aktuelle Forschung noch mehr einbezogen werden. Dafür sucht Schuster den Kontakt mit Krankenkassen und diversen anderen Institutionen und er schaut, was aktuelle Studien, allen voran die große Gutenberg-Gesundheitsstudie, ans Licht bringen.

Die Stiftungsprofessur ist fürs Erste auf fünf Jahre bewilligt, dann kommt es zu einer Evaluation. Wenn alles glatt läuft, soll die Stelle verstetigt werden. "Diese Arbeit wird Jahrzehnte dauern", stellt Schuster klar. Doch das scheint ihn nicht zu entmutigen. Er setzt sich an den PC und geht das nächste Kapitel an: Wie steht es um die augenärztliche Versorgung etwa in ländlichen Regionen? Gibt es Probleme, Praxen neu zu besetzen? Auch dafür müssen Daten her.