Vom Leben und Sterben der Bäume

2. September 2020

Im Botanischen Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist der Klimawandel längst angekommen. Am deutlichsten macht sich dies im Arboretum bemerkbar: Jahr für Jahr sterben Bäume am Hitze- oder Trockenstress, dafür gedeihen andere, die zum Beispiel aus dem Mittelmeerraum oder Nordamerika stammen.

Es ist ein schwül-heißer Tag mitten im August. Gelbe Schläuche schlängeln sich entlang der Fußwege des Botanischen Gartens, Rasensprenger sind überall im Dauerbetrieb. "Gefühlt gießen wir seit März ununterbrochen", meint Dr. Ralf Omlor, der Kustos des Gartens. Diese Maßnahme hält die meisten Pflanzen grün, auch wenn sie den ausbleibenden Regen kaum ersetzen kann.

Anderswo sind die Wiesen längst vertrocknet, viele Bäume verlieren bereits ihre Blätter. 600 bis knapp 400 Millimeter Niederschlag im Jahr registrierte die Wetterstation des Instituts für Physik der Atmosphäre seit 2009 für den Mainzer Campus, 2020 wurden bisher jedoch nicht mal 200 Millimeter erreicht. "Sollte demnächst ein Aufruf zum Wassersparen kommen, hätten wir ein echtes Problem", sagt Omlor.

Mehr als 1.000 Bäume und Sträucher

Der Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie traf auch den Botanischen Garten der JGU, er war über Wochen für den Publikumsverkehr gesperrt. Am 11. Mai konnte er wieder geöffnet werden, doch wer hinein will, muss am Haupteingang seine Personalien angeben. Außerdem liegt das Limit bei 100 Personen gleichzeitig. Die Gewächshäuser bleiben weiter für die Öffentlichkeit geschlossen.

Für diesen speziellen Termin ist das allerdings nicht weiter relevant: Omlor will zeigen, wie sich der Klimawandel konkret auf die Pflanzen und die Arbeit im Botanischen Garten auswirkt. Dafür eignet sich der Westteil des Gartens, das 1950 angelegte Arboretum, ganz besonders. Hier finden sich auf 30.000 Quadratmetern mehr als 1.000 Bäume und Sträucher aus den gemäßigten Klimazonen der Nordhalbkugel. Sie präsentieren eine Vielfalt, die in Rheinland-Pfalz einmalig ist.

Bereits im Eingangsbereich weist Omlor auf einen Strauch zwischen allerlei Kakteen, die auch ohne künstliche Bewässerung prächtig gedeihen: Der Texanische Rauschopf ist im Süden der USA heimisch, in heißen und trockenen Regionen. "Er entwickelte in diesem Jahr fünf Blütenstände von beachtlichen Ausmaßen, das hatten wir noch nie. Dabei gehört er eigentlich zu den Pflanzen, die wir nur in unseren Gewächshäusern kultivieren." Doch mittlerweile sind die Winter so mild, dass der Rauschopf auch im Freien gut überlebt.

Omlor geht entlang an der systematischen Abteilung des Gartens in Richtung Arboretum. In regelmäßigen Abständen ragen Regenmasten aus den Beeten. "Sie bewässern nachts automatisch." Wie die Sprenger laufen die Masten dann auf Hochtouren. "Im Februar und im März sah es noch ganz gut aus mit dem Niederschlag, danach ist allerdings viel zu wenig gefallen. Bis 22. Juni lagen wir beim absoluten Minimum seit 15 Jahren."

Korkeiche gedeiht angesichts milder Winter

Ein wenige Meter hoher Baum mit recht kleinen, ledrigen Blättern steht noch vor dem eigentlichen Arboretum. Omlor fährt mit der Hand über die runzelige Rinde des Stamms. "Diese Korkeiche kommt aus Portugal. Sie wurde 2007 gepflanzt. Lange galt das als zu risikoreich, weil sie nicht ausreichend winterhart ist. In den 1950er-Jahren, in der Gründungszeit des Arboretums, hätte man sie nie hierhin gesetzt." Doch die zunehmend milden Winter bekommen ihr gut. "Falls dieser Trend anhält, kann die Korkeiche fürs Rhein-Main-Gebiet interessant werden, denn wenn wir unser Stadtgrün erhalten wollen, müssen wir die Bepflanzung anpassen."

Ähnliches gilt für den Wald, wo die trockenen und warmen Jahre besonders den Nadelbäumen schwer zu schaffen machen. "Einige sagen zwar, wir sollen unsere Wälder sich selbst überlassen, sie werden sich schon anpassen. Allerdings ist nicht klar, ob sie das schnell genug schaffen. Deswegen plädieren andere für die Einführung neuer Bäume. Die Douglasie ist zum Beispiel im Gespräch. Insgesamt ist die Debatte davon geprägt, wie stark die Holznutzung im Vordergrund steht." Schließlich schätzt die Industrie das weiche Holz der Nadelbäume.

Auf dem Weg über eine feuchte Wiese und unter einem Rasensprenger her bewegt sich einiges im Gras – Frösche springen beiseite. Auf die Frage, um welche Spezies es sich handelt, muss Omlor passen. "Es ist zwar grün, aber wenn es hüpft, ist es nicht mehr mein Metier", meint der Botaniker.

Neben der Portugiesischen Korkeiche finden sich im Botanischen Garten zunehmend Bäume wie die Schirmkiefer oder die Steineiche, die eigentlich im Mittelmeerraum heimisch sind. "Wir gehen mit unseren Pflanzungen gern an die Grenze des Möglichen. Alle paar Jahre versuchen wir wieder eine Art zu pflanzen, auch wenn sie zuvor eingegangen ist. Durch dieses ständige Ausprobieren hat sich unser Bestand hin zu den wärmeliebenden und trockenresistenten Hölzern verschoben."

Japanische Walnuss erliegt Trockenstress

Bäumen aus China oder Japan hingegen geht es oft nicht so gut. "In ihren Heimatregionen ist der Niederschlag drei- bis viermal so hoch wie bei uns." Dem Asiatischen Schnurbaum allerdings ist erst mal nichts anzusehen. Mächtig ragt er in die Höhe. "Es ist kaum zu glauben, dass er erst 70 Jahr alt ist. Er wurde direkt bei der Gründung unseres Arboretums gepflanzt." Omlor deutet hinauf in die Krone: "Dort haben wir leider viel Totholz und das geht uns mit immer mehr Bäumen so. Es wird zunehmend aufwendig und teuer, ihre Verkehrssicherheit zu gewährleisten." Regelmäßig beurteilen Fachleute, was beseitigt werden muss.

"Es gibt auch Bäume, die es nicht mehr schaffen", sagt Omlor. "In den letzten Jahren haben wir jedes Jahr einen Großbaum verloren." Am Südwestrand des Gartengeländes steht eine Japanische Walnuss: Laub ist nur noch vereinzelt zu sehen, dafür fallen Aststümpfe auf und aus dem Stamm sickert Saft. "70 Jahre ist eigentlich noch kein Alter für solch einen Baum, aber der dauernde Trockenstress macht ihm schwer zu schaffen." Die Walnuss wird womöglich noch dieses Jahr gekappt. Auch die Rasensprenger können daran nichts ändern. "Sie laufen zwar von 7 Uhr bis 16 Uhr nachmittags, doch wir können damit nur einen kleinen Teil des fehlenden Niederschlags ausgleichen."

Der Arizona-Zypresse, die in den 1990er-Jahren in den Garten kam, geht es dagegen prächtig. "Seinerzeit dachte man noch: Wir versuchen es mal mit ihr, aber das wird sowieso nichts. In den 1950er- und 1960er-Jahren galt sie überhaupt nicht als pflanzbar bei uns. Mittlerweile hat die Zahl der Zypressen-Arten im Garten aber deutlich zugenommen."

Auch Botanischer Garten muss sich anpassen

Der Gang durch den Botanischen Garten fühlt sich in mehrfacher Hinsicht an wie ein Wechselbad: Mal knallt die Sonne in brütender Hitze, dann wieder bietet ein Rasensprenger kurze Abkühlung und Frösche hüpfen aus dem Grün. Omlor zeigt Gehölze, die prächtig gedeihen, Bäume, die durchhalten – oder den sechs Meter hohen toten Stumpf eines Urwelt-Mammutbaums.

"Wir lassen ihn wegen der Spechthöhlen stehen und weil dieses Jahr ein Wespenschwarm eingezogen ist." Ursprünglich hielt man den Mammutbaum für ausgestorben, ein lebendes Exemplar wurde erst 1941 in China entdeckt. "Nach Deutschland kam er lediglich in sechs oder sieben Botanische Gärten. Unser Steckling stammt aus Darmstadt. Einer unserer Bäume hat sich sogar ausgesamt, obwohl das selten ist. Diese Pflanzen entwickeln extrem viel Saatgut in einer großen genetischen Vielfalt und irgendwann kann dann ein Exemplar dabei sein, das in die Umwelt passt." Ein einzelner, wenige Meter hoher Urwelt-Mammutbaum steht neben dem Stumpf. Er scheint zu gedeihen.

Veränderungen im Klima sind da, daran zweifelt Omlor keinen Moment. "Gefühlt sind sie sogar dramatisch", meint er. "Panisch bin ich deswegen nicht, aber ich habe ein ungutes Gefühl", fügt der Kustos hinzu, als es vorbei an dem prächtigen Texanischen Rauschopf hinaus aus dem Botanischen Garten geht. "Ich glaube, wir müssen gut vorbereitet sein und uns anpassen."