Zweites Semester in Zeiten der Pandemie

2. November 2020

Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat die erste Herausforderung gemeistert: Das Sommersemester mit überwiegend digitalen Lehr- und Lernangeboten verlief deutlich besser als erwartet. Nun steht ein Wintersemester unter ähnlichen Vorzeichen an, denn die Corona-Pandemie erreicht einen neuen Höhepunkt. JGU-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch und der Vizepräsident für Studium und Lehre, Prof. Dr. Stephan Jolie, ziehen Bilanz und richten den Blick nach vorn.

Der Präsident der JGU stellt klar: "Man kann nicht einfach sagen, die Infektionszahlen steigen aktuell stark an, also müssen wir wieder schließen. Eine vollständige Schließung wie im März und April ist nicht erforderlich." Weder Prof. Dr. Georg Krausch noch die Leitungsgremien der JGU wurden von der jüngsten Entwicklung überrascht. "Eine zweite Infektionswelle ist von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern prognostiziert worden. Wir haben im Moment nur leider das Problem, dass viele Leute der Wissenschaft misstrauen und die Zahlen erst wieder steigen müssen, bevor der breiten Öffentlichkeit klar wird, was vorgeht. An der JGU reagierten wir bereits vor Wochen: Anfang September beschloss unser Senat unter anderem, die Abstandsregeln weiter bestehen zu lassen, und sobald die Infektionsrate 35 pro 100.000 Menschen in sieben Tagen überschreitet, gilt Maskenpflicht für alle Veranstaltungen auf dem Campus."

Anders sah das im März dieses Jahres aus: Kurz vor Beginn des Sommersemesters kam COVID-19 sehr plötzlich. "Wir hatten wenig Zeit, uns darauf einzustellen", meint Krausch. "Aber wir erkannten schnell, dass unsere Raumkapazitäten nicht ausreichen würden, wenn die Studierenden 1,5 Meter Abstand halten sollten. Unser größter Hörsaal fasst unter solchen Bedingungen gerade Mal 120 Personen. Zudem gab es kaum Atemmasken und kaum Desinfektionsmittel. Das bewog uns noch im selben Monat zum Notbetrieb."

Unerwartet hohe Zufriedenheit bei Lehrenden und Studierenden

Die JGU stellte auf digitale Lehrformate um – und das innerhalb weniger Wochen. "Wir versuchten gleich von Beginn an, unsere Lehrenden bei der Entwicklung solcher Formate zu unterstützen", erzählt Prof. Dr. Stephan Jolie, JGU-Vizepräsident für Studium und Lehre. Er rief das Kompetenzteam Digitale Lehre ins Leben, eine Gruppe von 14 Fachleuten aus den verschiedensten Bereichen der Universität, die nicht nur in Sachen Soft- und Hardware beraten, sondern vor allem in anwendungsorientierten und didaktischen Fragen Hilfestellung leisten können.

"Wir waren sehr erleichtert, dass der größte Teil der rund 7.000 Lehrangebote digital realisiert werden konnte", sagt Krausch. "Das war eine enorme Leistung, auch weil viel improvisiert werden musste. Gemessen an all diesen Umständen hat es verhältnismäßig gut funktioniert, selbst wenn unsere digitalen Angebote keinen vollständigen Ersatz für einen regulären Betrieb bieten konnten. Sowohl die Lehrenden als auch die Studierenden hätten sich natürlich Präsenz gewünscht. Gerade den Studierenden fehlte das Campusleben sehr." Doch erst nach Wochen konnten einzelne Säle, Seminarräume oder Labors wieder öffnen, denn zuvor mussten detaillierte Hygienekonzepte erstellt werden.

Das Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) befragte die Lehrenden und Studierenden der JGU nach ihren Einschätzungen zu diesem außergewöhnlichen Sommersemester. "Der Rücklauf war sehr gut", berichtet Jolie, "und die Lehrenden zeigten sich viel zufriedener, als wir gedacht hätten." 44,1 % gaben an, zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. Bei den unter 40-Jährigen lag die Quote sogar noch höher. "Die Studierenden waren kritischer, aber dennoch zufriedener als vermutet." Nahezu ein Drittel war zufrieden oder sehr zufrieden.

Distanz wahren, Distanz abbauen: Potenziale digitaler Lehre

"Die Befragung zeigt auch deutlich, dass viele Lehrende und Studierende vor diesem Semester keine Erfahrung mit digitaler Lehre sammeln konnten – wenn man ausnimmt, dass sie vielleicht PDFs hochgeladen oder Mails verschickt haben", stellt Jolie fest. "Für die Zukunft zeigen die Lehrenden eine Präferenz für Präsenzlehre, während die Studierenden für eine kluge Durchmischung von digitalen und Präsenzformaten plädieren."

Beide Gruppen bedauern, dass angesichts überwiegend digitaler Angebote weniger Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden stattfand. Gerade in den Lehrveranstaltungen selbst war es schwierig, direktes Feedback zu geben und wahrzunehmen. "Hier steuern wir soweit möglich gegen: Mit verstärktem Ideenaustausch – etwa im Rahmen des Ideeathlons – und mit weiterhin starker hochschuldidaktischer Beratung zu Aktivierung, Feedback und Beteiligung. Natürlich rüsten wir auch technisch nach, etwa indem wir 20 Räume mit Videokonferenztechnik ausstatten und mit einem Sonderprogramm für Institute, mit denen mehr mobile Geräte angeschafft werden können", erklärt Jolie. Die Umstellung war in dem meisten Fällen mit einem höheren Zeitaufwand verbunden: Lehrende saßen länger an der Konzeption von Veranstaltungen, Studierende betrieben mehr Aufwand bei der Vor- und Nachbereitung.

"Positiv gewendet birgt die digitale Lehre ein ungeheures Potenzial, das wir weiter ausschöpfen werden", kündigt Jolie an. "Sie bietet uns zum Beispiel in den Bereichen der Individualisierung der Lehre, der Inklusion, aber auch der Internationalisierung große Chancen." Dominik Schuh vom Kompetenzteam Digitale Lehre ergänzt: "Im Moment verwenden wir digitale Lehre, um Distanz zu wahren. In Zukunft wollen wir mit digitaler Lehre Distanz abbauen." Die Lernkurve sei bei allen Beteiligten steil gewesen: "Was sonst Jahre gedauert hätte, geschah in wenigen Monaten."

Mit Blick auf das Wintersemester 2020/2021 startete am 20. August der erste "Gutenberg Ideeathlon", zu dem alle Studierenden und Lehrenden, aber auch Expertinnen und Experten der Verwaltung der JGU eingeladen waren. "Sie konnten Challenges formulieren", erklärt Jolie. "Wo liegen die unterschiedlichen Herausforderungen im Lehren und Lernen und wie lassen sie sich bewältigen?" Dazu machten sich an die hundert Interessierte in zehn Arbeitsgruppen zwei Monate lang Gedanken. "Am Dies Legendi unseres Gutenberg Lehrkollegs präsentierten sie ihre Überlegungen." Eine Gruppe fragte: "Wie kann man unter den gegebenen Beschränkungen Möglichkeiten der Präsenz sinnvoll in der Lehre des kommenden Wintersemesters nutzen?" Eine andere stellte ein "Digitales Planspiel um Studienangebote, Hürden und Hilfen im online-Szenario" vor. Es ging um Datensicherheit, Erstsemester, Selbstmanagement und einiges mehr. Vieles davon wird in künftige Planungen einfließen.

Wintersemester zum Großteil online

Das Wintersemester 2020/2021 sollte hybrid werden – wenn auch im bescheidenen Umfang: Wo es möglich ist, sollten je nach den verschiedenen Bedürfnissen der Fächer flexible Mischformen im Lehren und Lernen eingesetzt werden. "Die Präsenz wird allerdings doch sehr gering sein", dämpft Krausch die Erwartungen. "Ein Großteil der Veranstaltungen wird online stattfinden." Wo Präsenz realisierbar ist, sollte ein Schwerpunkt bei den Erstsemestern liegen. Sie sollen zudem Hilfen im Umgang mit den Tools der JGU bekommen und alle Informationen zu ihren Fächern problemlos online finden. Leider hat das Infektionsgeschehen diese Pläne kurzfristig durchkreuzt: in den ersten vier Semesterwochen werden nur die Veranstaltungen in Präsenz durchgeführt, die praktische Anteile haben und nicht digital ersetzbar sind. "Wir haben uns das anders gewünscht", sagt Krausch, "aber wir sehen es als unsere Verantwortung an unseren Teil dazu beizutragen, die Anzahl der persönlichen Kontakte auf unserem Campus zu minimieren und damit an einer Eindämmung des Infektionsgeschehens mitzuwirken."

"Ich persönlich halte es so, dass ich sobald die Bedingungen es wieder zulassen, die Erstis meines Faches jeden Montag in Kleingruppen einlade, während ich meine Vorlesung online halte", kündigt Jolie an. "Präsenz ist aktuell ein besonders kostbares und seltenes Gut. Schon deshalb begreifen wir sie ganz stark als Quality Time mit den Studierenden und die Hybridität erlaubt uns eine breite Palette an Formen. Hier agiert die Universität, wie sie agieren soll: nämlich in ihrer Vielfalt."

"Die Corona-Bekämpfungsverordnung gilt bei uns selbstverständlich", betont Krausch. "Aber wir befinden uns heute an einem ganz anderen Punkt als im März oder April. Wir haben Masken, Desinfektionsmittel und Hygienekonzepte." Zudem sei die digitale Lehre ein gewaltiges Stück vorangekommen und der Umgang mit den knappen Raumressourcen eingeübt. "Wir verstehen uns weiter als Präsenzuniversität und dort wollen wir irgendwann auch wieder hin", sagt der JGU-Präsident. In Zeiten der Pandemie allerdings wird dies erst mal kaum möglich sein.