Translation im Wandel

19. Dezember 2022

Der Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen gefeiert. Eine Reihe verschiedenster Veranstaltungen beschäftigte sich zum Jubiläum mit den vielfältigen Formen und Tätigkeitsfeldern der beiden großen Aspekte der Translation: dem Übersetzen und dem Dolmetschen. Zum Abschluss vermittelt nun die Ausstellung "Translationsmomente" ein lebendiges Bild von der Forschung und Arbeit in Germersheim. Sie gastiert noch bis zum 8. Januar 2023 in der Schule des Sehens auf dem Gutenberg-Campus.

"Wir freuen uns ganz besonders, dass wir uns mit unserer Ausstellung als Fachbereich präsentieren können", betont Prof. Dr. Silvia Hansen-Schirra. "Damit wird Germersheim auf dem Mainzer Campus sichtbar und wir wachsen noch mehr zusammen. Wir sind ja nicht immer so präsent in der Landeshauptstadt", räumt die Prodekanin des FTSK ein.

Die Jubiläumsausstellung "Translationsmomente" macht deutlich, welchen Herausforderungen sich der FTSK seit seiner Gründung im Jahr 1947 stellt. Dabei ist der Blick nicht in die Vergangenheit, sondern maßgeblich auf die Gegenwart und die nächste Zukunft gerichtet: Zehn Banner umreißen in Wort und Bild das weite Aufgabenfeld, auf das der Fachbereich seine Studierenden vorbereitet. Sie erzählen von Lehre und Forschung. Sie führen zu Akteurinnen und Akteuren der Translation in Konferenzsäle, an Computerterminals und zu Theaterpremieren. Sie berichten vom Engagement für ukrainische Flüchtlinge, von Literaturübersetzungen, von Translation in der Medienproduktion oder vom Dolmetschen in Zeiten von Corona.

"Wir sehen uns immer neuen Herausforderungen gegenüber", berichtet Hansen-Schirra. "In den letzten Jahren haben Automatisierung und die Fortschritte auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz die Berufsbilder in unserem Bereich stark beeinflusst. Manch einer prognostiziert gar, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher bald von Computern abgelöst werden. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Wir bekommen durch politische und ökonomische Entwicklungen immer mehr zu tun und arbeiten verstärkt mit modernster Technik. Wir reagieren auf den Wandel, indem wir unsere Studiengänge reformieren. Ab dem Sommersemester 2023 werden wir sogar einen neuen Bachelorstudiengang anbieten, der sich insbesondere damit beschäftigt, welche KI-basierten Computerprogramme für die Translation nutzbar sind."

Multimediales Übersetzen

Anke Tardel untersucht den Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Sprach- und Bilderkennung zum Beispiel in der Untertitelung. Dabei spielen auch maschinelle Übersetzungssysteme eine Rolle. Ihr Fachgebiet ist das multimediale Übersetzen, die audiovisuelle Translation, etwa für den Film oder das Fernsehen, aber auch für Computerspiele und andere digitale Produkte. Am FTSK forscht sie dazu: "Der Bedarf für Translation wächst in diesem Bereich besonders stark", erzählt sie. Das habe unter anderem mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen zu tun. Die Konvention fordert eine Teilhabe aller Menschen am "normalen" Leben ein. "Die wenigsten wissen es, aber im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist deswegen mittlerweile ein Großteil der Sendungen untertitelt." Und nicht nur das: Audiodeskription vermittelt, was auf dem Bildschirm zu sehen ist.

"Die Branche ist so schnelllebig geworden, dass wir auf maschinelle Unterstützung gar nicht mehr verzichten können", konstatiert Tardel, "auch wenn am Ende immer noch die Qualitätskontrolle durch den Menschen steht." Einst war für die Untertitelung eines Films ein Monat eingeplant. "Heute sind es vielleicht noch einige Tage und wir müssen mit dieser zeitlichen Verdichtung klarkommen. Produzentinnen und Produzenten sehen in der Synchronisation oder den Untertiteln lediglich ein Anhängsel. Es wird im Budget häufig nicht mit dem gleichen Stellenwert eingeplant wie andere Aspekte der Produktion."

Der Aufwand bleibt allerdings riesig. "Für fünf Minuten einer ZDF-Dokumentation muss ich eine halbe, vielleicht sogar eine Stunde für die Untertitel einplanen – und hier bewegen wir uns im intralingualen Bereich. Eine Übersetzung in eine andere Sprache ist nochmal aufwendiger, nimmt nochmal mehr Zeit in Anspruch, ebenso wie eine Synchronisation. Die Lokalisierung in einer anderen Sprache und damit in einer anderen Kultur ist eine zusätzliche Herausforderung." In ihrer Dissertation untersucht Tardel die Abläufe bei audiovisueller Translation am Beispiel der Untertitelung. "Mit den Ergebnissen wollen wir auch an die Filmindustrie herantreten, um anschaulich zu erklären, was geht und was nicht."

Konferenzdolmetschen online

Thomas Baumgart bringt am FTSK seine Expertise als Konferenzdolmetscher für Deutsch und Polnisch ein. In seiner freiberuflichen Tätigkeit arbeitet er darüber hinaus auch mit der spanischen Sprache. "Ich muss ins selbe Horn blasen wie Anke Tardel", meint er. "Auch bei uns spielt die Technik eine immer größere Rolle. Gerade während der Corona-Pandemie war das deutlich spürbar. Digitale Lösungen wurden favorisiert. Tagungen fanden online statt. Das wirkte sich auf die Struktur unserer Dolmetschkabinen aus." Dort ging sein Blick nicht mehr direkt in den Saal, die zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren allenfalls auf einem Bildschirm zu sehen. "Konferenzdolmetschen hieß nicht mehr, dass man an einen Veranstaltungsort kommt, sich umsieht, unterhält und auch abseits des offiziellen Veranstaltungsprogramms mit der Kundin oder dem Kunden, den Kolleginnen und Kollegen Kontakt hat. Auch der Beratungsbedarf hat sich verändert: Bei Onlineveranstaltungen klären wir beispielsweise, welche Videokonferenzplattformen sich für das Simultandolmetschen eignen und welche technische Grundausstattung benötigt wird."

Dolmetsch-Hubs schossen aus dem Boden, Zentren, die mit jedem beliebigen Ort verbunden werden können und geballte Translationskompetenz bieten. "Damit wird das Dolmetschen ausgelagert", stellt Baumgart klar. "Es kann zwar von Vorteil sein, nicht vor Ort arbeiten zu müssen. Doch dafür werde ich nicht mehr so wahrgenommen. Dann stellt es zum Beispiel ein größeres Problem dar, wenn Menschen durcheinanderreden. Ich kann nur schwer intervenieren. Insgesamt verengt die Onlinesituation den Kommunikationskanal. Man vermisst zum Beispiel die Pausen, das informelle Gespräch, die persönliche Note fällt weg. Unsere Kundschaft hat das bemerkt: Nun finden die meisten Veranstaltungen wieder analog statt und viele Dolmetsch-Hubs mussten schließen. Aber die Form der digitalen Konferenz bleibt sicher über Corona weg erhalten. Sie bietet uns zusätzliche Möglichkeiten."

Eines allerdings hat sich über die Jahre nicht geändert: "Über einen Mangel an Aufträgen kann ich mich kaum beklagen. Maschinelle Übersetzungen kommen für Konferenzen, in denen es oft um wichtige Themen und Entscheidungen geht, nicht infrage. Auch unsere kulturelle Kompetenz ist gefragt. Wenn ich etwa aus dem Polnischen übersetze, dann ist der Ton im Original schon mal recht kräftig und ausdrucksstark. Für die deutsche Kundschaft muss ich das etwas dämpfen, sonst kommt es zu Missverständnissen."

Einfache Sprache, moderne Technik

An dieser Stelle ergänzt Hansen-Schirra: "Maschinelle Übersetzungen funktionieren wunderbar bei vielen Fachtexten oder bei Gebrauchsanweisungen, obwohl auch dort eine Qualitätskontrolle wichtig ist. Aber wenn es um literarische Formen geht, wenn etwa ein Arztgespräch ansteht oder ein Gerichtstermin, dann bleibt die Translation unser Hoheitsgebiet."

Übersetzung und Dolmetschen sind also mitnichten auf dem Rückzug. "Die Nachfrage nach Translation steigt sogar in vielen Bereichen", stellt Hansen-Schirra fest. Sie erinnert an die von Tardel erwähnte Behindertenrechtskonvention: "In deren Sinne wollen wir Menschen mit besonderen Kommunikationsbedürfnissen helfen, Zugang zu Informationen zu erhalten." Hier kommt ein Forschungsschwerpunkt Hansen-Schirras zum Tragen: die Leichte Sprache, die auf lange, verschachtelte Sätze, Fachbegriffe oder passive Formulierungen verzichtet. "Die Konvention zwingt Behörden, ihre Websites auch in leichter Sprache anzubieten. So lassen sich Information und gesellschaftliche Teilhabe gewährleisten." Dafür aber braucht es Übersetzerinnen und Übersetzer.

Hansen-Schirra sieht den FTSK gut aufgestellt für die Herausforderungen der Zukunft. Sie betont: "Moderne Technik wird ein immer wichtigerer Faktor, auch in unserer Forschung. Wir haben das Glück, in Germersheim gut ausgestattet zu sein." Sie selbst konnte als Fellow des Gutenberg Forschungskollegs (GFK) ein Eye-Tracking-Labor einrichten. Damit lässt sich die Aufmerksamkeit beim Lesen von Texten genauestens messen. "Wenn uns internationale Kolleginnen und Kollegen besuchen, staunen sie schon mal: 'Toll, dass ihr so etwas habt.'" Gewissermaßen als kleine Fußnote erwähnt sie ein Eye-Tracking-Projekt von Studierenden, in dem zum Thema gendergerechte Sprache untersucht wurde, was am besten aufgenommen wird: die Aufzählung von weiblicher und männlicher Form, das Gendersternchen oder der Doppelpunkt. "Das Sternchen schnitt am besten ab", gibt Hansen-Schirra noch schnell mit auf den Weg.