Auf Neutrino-Jagd in der Antarktis

14. Februar 2014

Das Neutrino-Observatorium IceCube am Südpol hat in den letzten drei Jahren extrem hochenergetische Neutrinos aus den Tiefen des Alls entdeckt. Selbst Fachleute bezweifelten lange, ob so etwas gelingen könnte, doch 2013 kam die Erfolgsmeldung. Prof. Dr. Lutz Köpke vom Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist mit seiner Arbeitsgruppe an dem internationalen Forschungsprojekt beteiligt.

Sein Besuch am Südpol ist schon ein Weile her, doch dass die Erinnerung daran sehr lebendig geblieben ist, wird schnell klar, wenn Prof. Dr. Lutz Köpke erzählt. "Unsere Station liegt auf dem flachen Antarktis-Plateau in ungefähr 3.000 Metern Höhe. Sie sehen nichts als Schnee und Eis. Alles ist weiß. Sie arbeiten zwar sehr viel, wenn Sie dort sind. Aber irgendwann gehen Sie doch raus, stellen sich hin und fragen sich: Wo bin ich hier eigentlich? Es ist vollkommen still dort. Sie hören das Blut in den Adern. Das ist schon ein Erlebnis!"

Nach sechs Jahren Bauzeit wurde der Neutrino-Detektor IceCube am 18. Dezember 2010 fertiggestellt. Seitdem suchen seine Sensoren nach hochenergetischen Neutrinos. "Neutrinos sind elektrisch neutrale, fast masselose Teilchen. Anders als das Licht gehen sie durch alles hindurch, auch durch die Erde", erklärt Köpke. "300 Billionen von ihnen sausen pro Sekunde durch den menschlichen Körper." Nur sehr selten wird eines dieser Teilchen aufgehalten. "Vielleicht einmal in Ihrem Leben reagiert so ein Neutrino in Ihrem Körper. Aber davon merken Sie natürlich nichts." Einzig solche Neutrinos, die mit einem Medium reagieren, sind aufzuspüren. Die Suche gestaltet sich also schwer.

Teilchenbeschleuniger im Weltall

Zudem ist Neutrino nicht gleich Neutrino. Die meisten dieser Teilchen entstehen in der Sonne oder der Erdatmosphäre. Doch manche kommen von weiter her – und für diese Reisenden interessieren sich die Wissenschaftler des IceCube-Projekts. Es sind Neutrinos mit besonders hoher Energie.

"Es gibt im Weltraum Beschleuniger, die Neutrinos auf hohe Energien bringen." So können hochenergetische Neutrinos beispielsweise in der Umgebung schwarzer Löcher entstehen. "Je mehr Energie nun ein Neutrino hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass es auf seinem Weg durch die Erde aufgehalten wird."

Von Mai 2010 bis Mai 2012 fand IceCube 28 solcher Neutrinos mit Energien höher als 50 Terraelektronenvolt. "Zum Vergleich: Einige von ihnen sind tausendfach energiereicher als Neutrinos, die wir in unseren Teilchenbeschleunigern auf der Erde erzeugen können."

Klare Sicht im ewigen Eis

Die Neutrinos erlauben einen Blick auf kosmische Prozesse, wie er bisher nicht möglich war. "Jedes Mal, wenn Sie ein neues astronomisches Gerät haben, entdecken Sie auch etwas Neues. Galilei entdeckte die Jupitermonde, die modernen Radioteleskope zeigten uns feine Details aus dem Inneren ferner Galaxien. Mit den Neutrinos können wir noch weiter in das Zentrum kosmischer Explosionen hineinschauen." Ihre Entdeckung gilt als Meilenstein.

Aber warum sucht IceCube ausgerechnet am unwirtlichen Südpol nach Neutrinos? Gäbe es da keine zugänglicheren Orte? "Für ein Neutrino-Observatorium braucht man ein transparentes, klares Medium. Die Russen nutzten in den 1990er-Jahren dazu den Baikalsee. Wir hätten es aber lieber noch klarer."

Also gingen die Wissenschaftler und ihre Helfer für IceCube und schon das Vorgängerprojekt AMANDA an den Südpol auf ein 3.000 Meter hohes zentrales Plateau. Per Heißwasserbohrer trieben sie 60 Zentimeter durchmessende Kanäle senkrecht ins Eis. "In einer Tiefe von mehr als 1.000 Metern ist das Eis sehr klar, es gibt keine Luftbläschen mehr."

5.160 Sensoren in der Tiefe

Auf einer Fläche von einem Quadratkilometer ließen die Arbeiter Kabelstränge ins Eis hinab. Wie Perlen reihen sich insgesamt 5.160 Sensoren an diese Kabel. "Ich habe hier einen solchen Sensor", meint Köpke und hievt eine Glaskugel mit einem Durchmesser von 35 Zentimeter auf seinen Schreibtisch. "Im Inneren sehen Sie das Auge, unser Messinstrument."

Solche Augen suchen bis heute eingefroren in einer Tiefe von 1.450 bis 2.450 Metern nach den Neutrinos. IceCube ist buchstäblich ein Würfel im Eis, ein unterirdisches Riesengebilde mit einem Kilometer Kantenlänge, von dem an der Oberfläche nur eine eher bescheidene kleine Station zeugt.

Wie fast alle Projekte dieser Art ist das Observatorium ein internationales Vorhaben. Finanziert wurde es vor allem von der amerikanischen National Science Foundation (NSF), aber auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) flossen Mittel. Insgesamt arbeiten rund 250 Physikerinnen und Physiker an dem Großexperiment. Sie kommen unter anderem aus Japan, der Schweiz, den USA, Korea und aus Deutschland.

Eine raffinierte Idee zur Analyse

Köpke war bereits beim Vorgängerprojekt AMANDA mit von der Partie. Seine Arbeitsgruppe ist Teil des Exzellenzclusters "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter" (PRISMA) an der JGU. "IceCube ist eines der Projekte, an dem bis heute viele Wissenschaftler sehr aktiv beteiligt sind", berichtet Köpke. "Wir tauschen uns regelmäßig in Telefonkonferenzen aus und treffen uns zweimal im Jahr. Gerade ist auch wieder einer meiner Doktoranden auf der Station."

Damit ist Köpke bei einem Thema, das ihm besonders wichtig ist: Sicher, das Observatorium ist bemerkenswert und die Technik der Neutrino-Beobachtung hat große Fortschritte gemacht. "Aber unsere Entdeckungen haben wir auch einer Gruppe von sehr guten Postdoktoranden und Doktoranden zu verdanken. Sie entwickelten eine extrem raffinierte Analyse-Idee. Im Prinzip haben sie einen Teil des Observatoriums dazu genutzt, einen anderen Teil für ihre Messungen abzuschirmen."

Mittlerweile wurden acht weitere hochenergetische Neutrinos ausgemacht. "Eines davon weist doppelt so hohe Energien auf wie das bisher energiereichste", sagt Köpke. Damit ist die bahnbrechende Entdeckung nochmals bestätigt worden. "Es gab nicht wenige – inklusive meiner Person –, die daran schon nicht mehr geglaubt haben."

Köpke hebt die Glaskugel mit dem Auge wieder von seinem Tisch und verfrachtet sie auf einen nahe stehenden Papierkorb. "So rollt sie nicht weg", meint er lächelnd. Die 5.160 Augen im Eis werden in den nächsten Jahren weiter beobachten und tiefe Einblicke ermöglichen – da ist sich nicht nur der Professor sicher.