Per Flugzeug dem Klima auf der Spur

3. September 2015

Mit seiner Arbeitsgruppe "Flugzeugmessungen und Transportprozesse" erforscht Prof. Dr. Peter Hoor vom Institut für Physik der Atmosphäre an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) die Vorgänge in der Tropopause. In dieser Region zwischen Stratosphäre und Troposphäre spielen sich Prozesse ab, die der Wissenschaft bis heute Rätsel aufgeben, die aber großen Einfluss auf das Klimageschehen haben.

Eine Weltkarte schmückt das Büro von Prof. Dr. Peter Hoor. Er weist auf einen Bilderrahmen neben der Karte. Ein buntes Sammelsurium an Fotos findet sich hier, Schnappschüsse von Messkampagnen und Flugzeugen vergangener Jahre. "Mit dem Learjet haben wir achtmal innerhalb von zwei Jahren die Atmosphäre über Europa von den Kapverden bis nach Spitzbergen vermessen", erzählt der Atmosphärenphysiker. Davor steht das Modell eines weiteren Düsenjets, aus dessen Nase eine Art Antenne ragt. 2012 etwa umflog HALO, das neue deutsche Forschungsflugzeug, den afrikanischen Kontinent. "Das war ein sehr aufwendiges Projekt", erinnert sich Hoor. Im Winter 2015 soll der Flieger wieder starten. Dann geht es für drei Monate gen Norden nach Kiruna in Nordschweden.

HALO steht für High Altitude and Long Range Research Aircraft. Mit dem Jet lassen sich Messungen in bis zu 15 Kilometern Höhe und über weite Distanzen durchführen. Genau darauf ist die Arbeitsgruppe "Flugzeugmessungen und Transportprozesse" am Institut für Physik der Atmosphäre dr JGU spezialisiert. Hoor und sein Team widmen sich einer wichtigen Schnittstelle in der Erdatmosphäre: die Tropopause.

Hochkomplexes System

In einer Höhe von 6 bis 18 Kilometern Höhe endet die Troposphäre. "Das ist die Region, in der – vereinfacht gesagt – das Wetter passiert, wo Gewitterwolken aufziehen, wo Stürme entstehen. Hier geht's turbulent zu." Darüber beginnt die Stratosphäre mit ihrer Ozonschicht. "Die Stratosphäre ist sehr stabil." Denn je weiter es in ihr nach oben geht, desto wärmer wird die Luft. Strömungen in der Vertikalen sind unter diesen Bedingungen kaum zu erwarten.

Doch es gibt einen Austausch zwischen den beiden Schichten und der findet in der Region dazwischen statt, der Tropopausenregion. Ozon, Wolken und Wasserdampf in dieser Region beeinflussen besonders effizient das Klima. "Das ist ein hochkomplexes System", sagt Hoor. "Wir wissen zwar, dass dort Austausch stattfindet und Stoffe transportiert werden. Aber die Prozesse selbst sind uns oft noch unbekannt. Wir betreten ein Stück Terra incognita."

Mit dem Betreten ist das allerdings so eine Sache. Um in solchen Höhen Messungen durchführen zu können, bedarf es besonderer Flugzeuge und besonderer Instrumente. Jede Kampagne ist kostspielig, deswegen schließen sich mehrere Institute zusammen, wenn es mit einem Stratosphärenjet in die Luft geht. Hoor's Arbeitsgruppe arbeitet auch mit kanadischen und amerikanischen Gruppen zusammen. "Die Kooperation ist eng", betont Hoor. "Jede Gruppe liefert ein anderes Puzzleteil."

Rätselhafte Tropopause

Hoor sucht nach Bildern, um zu verdeutlichen, wie die Tropopause funktioniert. "Ein Deckel wie auf einem Kochtopf trifft es nicht wirklich, das ist zu statisch. Er müsste viele Löcher haben." Vielleicht eine Membran? "Nein, dafür ist die Tropopause zu durchlässig und zu variabel. Eher eine Membran mit unterschiedlich großen Öffnungen. Die Lage der Tropopause ist nicht konstant, weder zeitlich noch räumlich. Stellen Sie sich zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlicher Dichte vor: Wenn Sie versuchen, die zu vermischen, dann entstehen ähnliche Strukturen und Bewegungen wie an der Tropopause."

Die Arbeitsgruppe um Hoor misst Spurengase, um diese Bewegungen zu erforschen. Vier Geräte stehen zur Verfügung. "Es sind alles Prototypen." Sie suchen nach Lachgas, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Methan. "Daraus, wie hoch die Konzentration der Gase an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ist, können wir Schlüsse auf die Transportprozesse speziell an der Tropopause ziehen. Wir benutzen die Atmosphäre als unser Labor."

Die Messungen sind sehr genau. "Wir arbeiten zum Beispiel mit Lasern, die Moleküle in einer bestimmten Wellenlänge absorbieren." Wieder begibt sich Hoor auf die Suche nach einem Bild, einem Vergleich. Diesmal ist es leichter: "Wenn wir die gesamte Weltbevölkerung beobachten würden, könnten wir eine Person mit bestimmten Eigenschaften herauspicken. So genau sind wir."

Genaue Messungen

Die Messflugzeuge seien wie Igel, nur mit Röhren statt Stacheln. Die Luftproben werden durch diese Röhren in die Messgeräte im Flugzeuginneren gebracht und dort direkt gemessen, etwa auf ihren Lachgasgehalt: "Unser Gerät misst dreimal in der Sekunde. Das sind kleine Momentaufnahmen der Atmosphäre in jeweils 70 Metern Abstand." Bei einem Flug von zehn Stunden sind das mehr als 100.000 Messpunkte. Eine detaillierte Karte entsteht.

"Satellitenbilder sind schön und gut. Sie sind auch nützlich für uns, aber sie sind einfach nicht genau genug. Per Satellit sehe ich, was passiert. Aber wir wollen wissen, wie es passiert. Deswegen müssen wir genauer hinschauen."

Den Effekt des Monsuns im Spätsommer über Asien untersuchte die Arbeitsgruppe genauer. Auf 18 Kilometer ragt hier die Troposphäre in die Höhe und beult die Tropopause aus bis tief in die Stratosphäre. "Einer unserer Mitarbeiter konnte in seiner Doktorarbeit nachweisen, dass diese Vorgänge Einfluss haben auf die Zusammensetzung der Tropopausenregion über Europa."

Einfluss ist das Stichwort: Hoor und sein Team betreiben Grundlagenforschung, ihnen geht es um die Gesetzmäßigkeiten der Transportprozesse zwischen Troposphäre und Stratosphäre. Diese Gesetzmäßigkeiten können helfen, Antworten auf brennende Fragen zu finden. Wie wird sich das Ozonloch über der Arktis entwickeln? Wie sieht es mit der Verschmutzung der Arktis aus, wo der Klimawandel besonders deutlich wird? Und wie wirkt sich der immer dichter werdende Smog über asiatischen Metropolen weltweit aus?

Aushängeschild für Mainzer Atmosphärenphysik

Hoor würde am liebsten über dem gesamten Globus und am besten zu jeder Jahreszeit messen. Schließlich ist die Troposphäre an den Polen mit rund acht Kilometern viel dünner als am Äquator, wo sie mit dem Monsun bis zu 18 Kilometer in die Höhe reicht. Ganz unterschiedliche Prozesse spielen sich ab und auch im Laufe der Jahreszeiten ändert sich viel.

Mit Begeisterung wirbt der Professor für seine Forschung: "Die Flugzeugmessung ist ein Aushängeschild für unser Institut. Auf diesem Niveau machen das weltweit nur ganz wenige. Wir bewegen uns auf einem vielschichtigen Feld. Unsere Leute müssen sich nicht nur auf Gebieten wie der Atmosphärenphysik und Atmosphärenchemie auskennen, man lernt auch einiges an Elektronik, Optik und Ingenieurstechnik." Zudem arbeiten sowohl die experimentellen als auch die theoretischen Gruppen im Mainzer Institut für Physik der Atmosphäre eng zusammen, um Fragestellungen zur Tropopause gemeinsam zu untersuchen. Diese Kombination aus Experiment und Theorie innerhalb eines Instituts macht Mainz zu einem international führenden Standort auf diesem Gebiet.

Schon die Studierenden sollen möglichst viel mitbekommen. "Wir versuchen zu ermöglichen, dass alle, die eine Masterarbeit bei uns schreiben, an einer Kampagne teilnehmen oder mit Glück sogar mitfliegen können. Wer bietet das sonst noch? Wir forschen an vorderster Front."

Hoor schaut aus seinem Büro in den blauen Sommerhimmel. "Da, sehen Sie die Wolken, diese wellenförmige Struktur? Das dürfte in etwa 12 Kilometern Höhe sein. Das wird jetzt eine Viertelstunde zu sehen sein, dann ist es wieder weg." Gern würde er messen, was da gerade passiert.