Finnische Bäume erzählen 2.000 Jahre Klimageschichte

22. August 2012

Das Klima in Nordeuropa ist in den letzten 2.000 Jahren stärker abgekühlt als bisher angenommen: Das hat eine internationale Forschungsgruppe durch die Untersuchung von Jahresringen fossiler Kiefern aus dem finnischen Lappland festgestellt. Auch Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) waren an diesem Großprojekt beteiligt, allen voran Klimageograf Prof. Dr. Jan Esper.

Auf Prof. Dr. Jan Espers Tisch liegt die Baumscheibe einer Kiefer. "1350 ist sie in einen See gefallen", erzählt der Professor für Klimageografie am Geographischen Institut der JGU. "Dort blieb sie hervorragend erhalten." Dieses Schicksal ereilt recht viele Bäume im finnischen Lappland – und dieser Umstand ermöglichte es einer internationalen Forschergruppe, den Abkühlungstrend der letzten beiden Jahrtausende so präzise zu berechnen wie nie zuvor.

Das Ergebnis überraschte die Wissenschaftler: Die Abkühlung ist höher als angenommen. Ging der Internationale Klimarat IPCC bisher von 0,2 Grad Celsius pro Jahrtausend aus, so sprechen Esper und seine Kollegen aus Finnland, Schottland und der Schweiz nun von 0,3 Grad Celsius. "Und diese Zahl ist noch konservativ", stellt Esper klar. Nach unten ist also kein Spielraum, nach oben hingegen sehr wohl. "Wer weiß, was da noch herauskommt."

Rege Diskussion um neue Forschungsergebnisse

Die Veröffentlichung der Messungen in der Zeitschrift Nature Climate Change hat sofort Diskussionen ausgelöst. "Dabei ist unsere regionale Rekonstruktion des Klimas kaum umstritten", sagt Esper. Etwas mehr Zweifel gebe es schon an der These, dass es nicht so sehr auf die Breite der Jahresringe bei den untersuchten Bäumen ankomme, sondern auf die Dichte des Holzes.

Und in einem dritten Schritt haben die Wissenschaftler aus ihren Ergebnissen Schlüsse auf das Klima der gesamten nördlichen Hemisphäre in den letzten 2.000 Jahren gezogen. "Darüber wird nun am heftigsten diskutiert", erzählt Esper lächelnd. "Aber das ist ja völlig normal und auch gut so."

Die Dendrochronologie ermöglicht es, weit in die Vergangenheit zu schauen, den Verlauf des Klimas zu rekonstruieren und Funde sehr genau zu datieren. Wo immer Holz erhalten ist, können Forscher die Jahresringe lesen. Im Laufe von knapp 100 Jahren ist so über den Vergleich unzähliger Funde eine Art Referenzbibliothek entstanden. Allerdings ging es bisher darum, die Breite der Jahresringe zu lesen. Esper und seine Kollegen gingen einen anderen Weg, der erst seit Anfang der 90er-Jahre bekannt ist.

Aufwändige Methode misst Zellwandstärke

"Wir messen die Zellwandstärke im Holz. Sie ist ein besserer Indikator." Dabei geht es speziell um das Spätholz am Ende eines Jahresrings. Dessen Zellwandstärke gibt Auskunft über die Temperaturen im Juni, Juli und August.

"Sie zu messen ist leider viel aufwändiger als die bisherige Methode", sagt Esper. Ein Dichtemessgerät muss her und am besten ein Ingenieur, der auf die Arbeit spezialisiert ist. Dabei klingt das Prinzip gar nicht so kompliziert: Je dicker die Zellwände im Holz, desto dichter ist das Material. Also gilt es, aus jedem Jahresring eine Probe zu nehmen und per Röntgenstrahl die Lichtdurchlässigkeit zu messen.

"Wir haben unser Projekt 2006 begonnen." Aus gut erhaltenen Kiefern, die im Laufe der letzten 2.000 Jahren in finnische Seen fielen, nahmen die Wissenschaftler Proben, die im Grunde genauso aussehen wie die Holzscheibe auf Espers Schreibtisch.

Vom Luxus des Langzeitprojekts

"Es ist ein Luxus, ein so langfristiges Vorhaben neben unseren regulären Projekten stemmen zu können", erzählt Esper. "Wir haben auch keine Drittmittel bekommen." Die gebe es eher für kurzfristigere Projekte. "Da will man meist schon nach einem Jahr Ergebnisse sehen." Dabei hält Esper langfristige Kampagnen gerade auf dem vorliegenden Feld für wichtig. "Hätten wir die Zeit und das Geld, könnten wir unseren Untersuchungszeitraum auf 7.000 Jahre ausdehnen."

Die jetzt vorliegenden Ergebnisse reichen immerhin bis ins Jahr 138 vor Christus. Sie lassen darauf schließen, dass es etwa zur Zeit der Römer entschieden wärmer war als bisher angenommen. Da es Wechselwirkungen zwischen Kultur und Klima gibt, liefern die neuen Untersuchungen einen wichtigen Baustein.

Klimaentwicklung besser verstehen

Darüber hinaus ermöglichen sie, den Wandel des Klimas genauer zu verstehen und Prognosen für die Zukunft zu erstellen. Warum variiert das Klima? Welche Faktoren spielen da eine Rolle? Diese Fragen lassen sich immer genauer beantworten.

Vor rund 8.000 Jahren war die Erde in ihrer elliptischen Umlaufbahn ihrer Sonne im Sommer am nächsten. Doch dieser Sonnennahpunkt verschiebt sich ständig. "Heute liegt er im Januar." Das ist der zentrale Faktor im Abkühlungstrend.

Nun klingt 0,3 Grad Celsius pro 1.000 Jahre nicht nach allzu viel. "Im Vergleich zur globalen Erwärmung durch Treibhausgase, die bis heute bei weniger als einem Grad liegt, ist das aber nicht zu vernachlässigen." Und es ist ein wichtiger Baustein, wenn es darum geht, das zukünftige Klima zu prognostizieren.

Vulkanausbruch verdunkelte die Welt

Esper ist längst mit Folgeprojekten beschäftigt. Unter anderem geht es ihm darum, den Einfluss von Vulkanausbrüchen aufs Klima zu analysieren. Auch hier spielt die Dichtemessung eine wichtige Rolle.

1815 brach der Tambora auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien aus. 1816 folgte das "Jahr ohne Sommer". Messungen zur Breite der Jahresringe weisen darauf hin, dass es auch in den nächsten Jahren sehr kühle Sommer gab.

"Nun ist es aber so, dass die Jahresringbreite eine gewisse 'memory' hat", sagt Esper. Der Einschnitt von 1816 wirke im Baum nach und beeinflusst die Breite der Jahresringe. "Nicht aber die Dichte." Die Zellwandstärke des Spätholzes reagiert direkter und weist auf wärmere Sommer: Vielleicht also verdunkelte der Tambora-Ausbruch die Welt gar nicht so lange wie bisher angenommen.

Neues Messgerät für die JGU

Die Dichtemessungen werfen ein neues Licht auf die Entwicklung des Klimas. Ältere Analysen zur Jahresringbreite müssen hinterfragt werden. "Leider können wir solche Messungen hier an der Universität noch nicht vornehmen", sagt Esper. Bisher übernahmen das die Schweizer Kollegen. In ihrem Land werden die Präzisionsinstrumente auch hergestellt. Eine einzige kleine Firma liefert sie.

"Aber jetzt hat die DFG Mittel bewilligt. Wir konnten auch ein Dichtemessgerät bestellen", freut sich Esper. Mit Diplomingenieur Markus Kochbeck steht im dendrochronologischen Labor auch schon ein Mann bereit, der damit umzugehen weiß.

"Wir müssen allerdings noch warten. Es gibt noch zwei Bestellungen vor uns. Raten Sie mal, von wem… Na? Genau: den Chinesen." Aber Ende 2013 wird es so weit sein. Dann wird so ein 270.000 Euro teures Gerät auch in Mainz stehen und helfen, die Geschichte des Klimas zu erzählen.