Fernstudium mit Laborpraxis

23. November 2015

Bis heute ist das Fernstudium "Biologie für Biolaborant/-innen und verwandte Berufe" einmalig in der Biologie. Prof. Dr. Jürgen Markl rief es 1997 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ins Leben. In Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern Bayer und Spektrum Akademischer Verlag entstand ein Studiengang, der sich Jahr für Jahr größerer Beliebtheit erfreut.

Die Studierenden in ihren weißen Kitteln wirken relativ entspannt. Sie hantieren im Labor des Instituts für Zoologie an Messapparaturen. Laborarbeit ist für sie offensichtlich Routine. "Wir analysieren gerade ausgeatmete Luft und bestimmen daraus den Sauerstoffverbrauch und die Kohlendioxidabgabe des Organismus pro Stunde", erklärt Timo Schewe. "Wir werden aus den Messdaten den Energieumsatz des Organismus berechnen und so herausfinden, ob gerade Kohlenhydrate, Fett oder Eiweiß verstoffwechselt wurde."

Der Laborkurs in Mainz ist ein Baustein des sonst überwiegend theoretischen "Fernstudiums Biologie für Biolaborant(inn)en und verwandte Berufe", das der Fachbereich Biologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz seit 1997 anbietet. Für zweimal zwei Wochen kommen die Studierenden zu praktischen Präsenzkursen auf den Gutenberg-Campus, ansonsten arbeiten sie zu Hause neben ihrem Job den anstehenden Stoff durch. Insgesamt dauert der bundesweit einzige Fernstudiengang im Fach Biologie vier Jahre.

Fundierte Weiterbildung für den Job

"Wir bringen die Studierenden zunächst etwa auf das Niveau des früheren Biologie-Vordiploms", erklärt Prof. Dr. Jürgen Markl. "Darauf aufbauend können sie dann den Bachelor of Science in Molekularer Biologie bei uns erwerben." Vor nunmehr 18 Jahren etablierte Markl den Studiengang. Der 2013 emeritierte Professor war damals Geschäftsführender Leiter des Instituts für Zoologie der JGU. Die Firma Bayer und Spektrum Akademischer Verlag, der heute zum Springer-Verlag gehört, waren auf ihn zugekommen. Der Pharmakonzern wünschte sich für seine Laborantinnen und Laboranten eine neuartige Fortbildungsmöglichkeit, die berufsbegleitend bis zum Bachelor of Science führen sollte. Neben ihrer täglichen praktischen Arbeit sollten sie mehr theoretische Kenntnisse erwerben können. "Sie sollten die Forschungsprojekte, an denen sie mitarbeiten, fundierter verstehen."

Markl konzipierte den Fernstudiengang auf Basis des von ihm damals beim Spektrum-Verlag frisch herausgegebenen Lehrbuchs "Campbell Biologie". "Es wurde ein Kooperationsvertrag zwischen der JGU und dem Buchverlag geschlossen. Das war bundesweit ein völliges Novum. Die Universität ist seither für die Ausbildungsinhalte und Prüfungen zuständig, der Verlag für Lehrmaterial und Marketing. Die Organisation erfolgt gemeinsam." Auch die enge Zusammenarbeit mit Industrieunternehmen für Fortbildungszwecke war neu. "Bayer kam zuerst, aber heute unterstützen viele Firmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei diesem Projekt. Inhaltlich redet man uns von dieser Seite überhaupt nicht hinein", stellt Markl klar. "Da lehnt sich das Fernstudium ganz an unseren regulären sechssemestrigen Bachelorstudiengang 'Molekulare Biologie' an."

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fernstudiengangs sind die meiste Zeit nicht immatrikuliert, denn das Fernstudium wird von der JGU als Weiterbildungsmaßnahme angeboten. Erst nach erfolgreichem Abschluss von 15 Modulprüfungen und zwei Präsenzkursen steigen sie ins sechste Semester des regulären Bachelorstudiengangs "Molekulare Biologie" quer ein. Dann arbeiten sie in ihrer jeweiligen Firma an ihrer Bachelorarbeit. Diese wird an der JGU vorgelegt und bewertet.

Timo Schewe ist aus Dreieich angereist. Seit fast zehn Jahren arbeitet der 26-Jährige dort für das Unternehmen Bio-Rad als Biologielaborant. Bereits sein Abitur hat er in Abendkursen absolviert, nun will er weiter nach vorn. "Das Praktische ist nicht so schwer, dafür ist das Theoretische für mich ungewohnt. Die Interpretation der Versuche und die Auswertung ist neu." Für den Präsenzkurs auf dem Gutenberg-Campus nahm er extra zwei Wochen Urlaub. "Das ist es mir auf jeden Fall wert.

Die Arbeitsbedingungen und die Instrumente an der Universität sind anders als in unseren Labors. Außerdem lerne ich Leute aus ganz anderen Bereichen kennen."

"Sie wissen, was sie wollen"

Dazu zählt auch Carolin Spielau, die mit Schewe im Laborkurs ein Zweierteam bildet. Sie kommt vom Universitätsklinikum Würzburg, wo sie als Medizinisch-Technische Assistentin in der Onkologie tätig ist. "Dies hier ist eine gute Möglichkeit, meinen Bachelor zu machen und gleichzeitig finanziell unabhängig zu bleiben, da ich nebenher weiter arbeiten kann", betont die 28-Jährige. Für ihre experimentelle Abschlussarbeit will sie in Würzburg zum Nachweis von Tumorzellen im Blut forschen. "Danach würde ich gern noch meinen Master machen, aber das wird schwierig neben dem Job."

Dr. Frank Depoix vom Institut für Zoologie an der JGU ist einer der Kollegen, die Markl mit ins Boot geholt hat. Er betreut den Versuch mit der Atemluft. "Es macht Spaß, mit derart motivierten Leuten zu arbeiten", meint er mit Überzeugung. "Man merkt ganz klar, dass sie aus dem Beruf kommen. Sie gehen sehr zielgerichtet an die Experimente. Sie wissen genau, was sie wollen."

Depoix hat eine Ergebnismatrix an die Tafel geschrieben. Dort werden nun die gemessenen Werte eingetragen: Volumen Sauerstoffverbrauch, Volumen Kohlendioxidabgabe, erreichter Energieverbrauch. "Dies ist ein Versuch, den man vielfach einsetzt", erklärt er. "In der Sportmedizin beispielsweise spielt er eine große Rolle, wenn man den Energieumsatz eines Probanden ermitteln will."

Viel Praxiserfahrung als Voraussetzung fürs Fernstudium

Insgesamt 38 Studierende aus einem Dutzend verschiedener Firmen sind diesmal zum Präsenzkurs "Molekulare Physiologie" an die JGU gekommen. Sie führen verschiedene Versuche aus dem Bereich der molekularen Physiologie durch. Prof. Dr. Bernhard Lieb vom Zoologischen Institut betreut ein Experiment mit Blutproben. Auch er tut das gern. "Wenn Sie diesen Leuten hier eine Excel-Tabelle geben, dann jonglieren sie geradezu damit. Sie sind da viel routinierter als unsere regulären Studierenden. Aber sie sind ja auch im Schnitt zehn Jahre älter und haben viel Praxiserfahrung. Versuchsplanung und -durchführung ist für sie gar kein Problem, auch wenn sie von der Industrie her andere Arbeitsbedingungen und Instrumente gewohnt sind. Bei ihnen im Betrieb sind die Abläufe eher automatisiert, während bei uns aus Ausbildungsgründen viel mehr mit Auge und Hand erfolgt."

An die 700 Studierende von rund 90 verschiedenen Firmen haben den Fernstudiengang Biologie seit seiner Gründung begonnen. Davon haben bisher 271 den Bachelorabschluss erreicht. 215 sind derzeit eingeschrieben, Tendenz steigend. "Bisher bleibt jeder Zweite die vollen vier Jahre bis zum Bachelorabschluss dabei", bilanziert Markl, bei dem aufgrund seiner Seniorprofessur weiterhin alle Fäden zusammenlaufen. Sein Studiengang ist ein Erfolg, weil die Teilnehmer für ihren Beruf spürbar profitieren. Markl bekommt auch viele Anfragen von Interessenten, die keine Laboranten sind und daher für das Fernstudium nicht infrage kommen. "Biologie ist ein experimentelles Fach. Das können Sie normalerweise nicht nur aus Büchern studieren. Die beiden Präsenzkurse wären da viel zu wenig an Praxis. Aber diese besonderen Studierenden bringen die Praxis ja bereits aus ihrem Beruf mit. Das funktioniert hervorragend. Diese Leute sind außerordentlich gut geeignet."