Transplantationsgesetz in der Diskussion

25. März 2019

Rund 10.000 Menschen warten in Deutschland jedes Jahr auf ein lebenserhaltendes Organ – doch die meisten warten vergeblich. Es fehlt an Spenderinnen und Spendern. Das Bundesgesundheitsministerium brachte nun ein Gesetz für die "Verbesserung der Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende" auf den Weg. Die Diskussion um eine zentrale Frage allerdings wird weiter geführt: Soll es bei der Zustimmungslösung zur Organentnahme bleiben, oder wäre eine Widerspruchslösung die bessere Alternative? Drei Professoren der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) beleuchten dieses Thema aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln.

"Wir haben in Deutschland deutlich zu wenig Organspenden", sagt Prof. Dr. Hauke Lang. "Die Widerspruchslösung allein wird nicht ausreichen, um dies zu verbessern. Sie ist nicht so ohne weiteres einzuführen." Der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Universitätsmedizin Mainz meint: "Wichtig ist in jedem Fall, dass eine Organspende etwas Freiwilliges, am besten sogar eine bewusste Entscheidung bleibt, die einer bestimmten Situation geschuldet ist. Das Gute an der aktuellen Situation ist, dass sich jetzt viel mehr Menschen mit dem Thema Organspende auseinander setzen."

Die Lage sei sehr komplex, so Lang. Es scheint ihm wenig sinnvoll, sich nur darauf zu konzentrieren, ob die Widerspruchslösung nun eingeführt werden soll, ob die Menschen sich also dezidiert gegen eine Organentnahme entscheiden müssen, wenn sie nicht als Organspender in Frage kommen wollen. "In Österreich und Spanien, wo die Widerspruchslösung existiert, gibt es zwar drei- bis viermal so viele Organspender wie in Deutschland. Aber auch in Kroatien sind es etwa viermal so viel – und das ohne Widerspruchslösung. Dort setzt sich die Bevölkerung viel intensiver mit dem Thema auseinander." Diese Auseinandersetzung wünscht sich der Chirurg auch hierzulande.

Stärkung bestehender Strukturen

"Das Nadelöhr ist nicht unbedingt die zu geringe Anzahl der potenziellen Spenderinnen und Spender, sondern die zu geringe Anzahl an realisierten Spenden. Das vorhandene Potenzial wird nicht genügend ausgeschöpft. Der wichtigste Grund hierfür ist, dass Krankenhäuser zu wenig geschultes Personal für die sehr aufwendige Betreuung eines Organspenders auf der Intensivstation haben. Ein Spender belegt mindestens ein bis zwei Tage ein Bett dort. Hinzu kommen oft sehr umfangreiche apparative Untersuchungen. Dies alles stellt große Anforderungen und einen hohen Aufwand dar, der finanziell nicht ausreichend vergolten wird. Das ist sicher kein Anreiz. Außerdem hat zwar jede Klinik eine/-n Transplantationsbeauftragte/-n, diese Person wird aber oft nicht im ausreichenden Maß freigestellt." Die Vorstöße von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für bessere Strukturen und zur Verbesserung der Zusammenarbeit bei der Organspende weisen hier für Lang in die richtige Richtung.

In der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie mit ihrem Exzellenzzentrum für Lebererkrankungen wurden im vorigen Jahr 53 Lebertransplantationen erfolgreich vorgenommen. "Ohne Spenderleber wären all diese Patientinnen und Patienten verstorben.“ 53 gerettete Leben: Dies ist die Bilanz, die für Lang am schwersten wiegt. Dass die Behandlungen, gerade wenn sie ohne Komplikationen verlaufen, häufig finanziell ein Minusgeschäft darstellen, ärgert ihn.

"Dies ist der einzige Bereich in der Medizin, in dem eine Ressource derart begrenzt ist. Wir könnten zwei- bis dreimal so viele Transplantationen vornehmen. Um die Operationen selbst durchzuführen, um die oft jahrelange Vor- und Nachsorge zu gewährleisten, ist ein riesiges Netzwerk erforderlich. Das halten wir an der Universitätsmedizin Mainz vor. Nun macht es organisatorisch wenig Unterschied, ob wir 50 oder 100 Lebern verpflanzen." Lang wünscht sich einen Ausbau dieses Bereichs mit einer adäquaten Vergütung. Es sei medizinisch sehr wünschenswert und sinnvoll, dass mehr Transplantationen den Ärztinnen und Ärzten eine größere Sachkenntnis und mehr Erfahrung verschaffen.

Emotionale Debatte versachlichen

"Es ist wenig bekannt, aber 1994 hatte der rheinland-pfälzische Landtag bereits die Widerspruchslösung beschlossen", erzählt Prof. Dr. Friedhelm Hufen. "Ich erinnere mich an eine Tagung im Erbacher Hof. Dort trat der damalige Bischof und spätere Kardinal Karl Lehmann klar dafür ein." Dann jedoch kam die Bundesgesetzgebung zum Tragen, und in ganz Deutschland galt die Zustimmungslösung. Hufen setzt allerdings dagegen: "Heute haben 16 Länder in der Europäischen Union die Widerspruchslösung."

Der mittlerweile emeritierte Professor für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht an der JGU bedauert, dass die Diskussion um die Einführung einer Widerspruchslösung in Deutschland derart emotional geführt wird. "Ein wahnsinniger Störfaktor waren die so genannten Organspende-Skandale. Aber es gibt auch überraschend starke esoterische Positionen gegen die Widerspruchslösung. Und nicht zuletzt herrscht in gewissen Kreisen ein Misstrauen gegen die Ärzteschaft." Hufen hat sich mehrfach deutlich für eine Widerspruchslösung ausgesprochen. Einer seiner Beiträge dazu erschien in der Allgemeinen Zeitung Mainz. "Da gab es Leserbriefe, sage ich Ihnen: 'Der Mensch würde zum Ersatzteillager', hieß es unter anderem."

"In solchen Diskussionen fallen die lauten Töne und die Zuspitzungen leider ganz besonders auf", beklagt Prof. Dr. Gerhard Kruip, Sozialethiker an der Katholisch-Theologischen Fakultät der JGU. "Außerdem ist Deutschland aus historischen Gründen in allen bioethischen Fragen belastet, ob es nun um die Integrität des Körpers oder die Euthanasie geht." Dass diese historischen Aspekte zu einer erhöhten Sensibilität führen, begrüßt Kruip durchaus, dennoch ist auch er ein Verfechter der Widerspruchslösung.

Kruip und Hufen kennen sich seit Jahrzehnten. Unter anderem war ihre Expertise in der rheinland-pfälzischen Bioethik-Kommission gefragt. Genau wie Lang begrüßen sie die Initiative von Spahn. "Es geht um ganz erhebliche Verbesserungen", sagt Kruip. "Unter anderem wird die Stellung des Transplantationsbeauftragten gestärkt." Die Diskussion um die Widerspruchslösung bleibt jedoch virulent. Ist die Einführung einer solchen Regelung sozial und menschlich zumutbar?

Pflicht zur Hilfeleistung

Hufen dekliniert alle juristischen Ebenen durch und kommt zu dem Ergebnis: "Alle Rechte sind gewahrt, wenn zuverlässig gewährleistet ist, dass ein Widerspruch tatsächlich greift." Das Recht auf Selbstbestimmung etwa bleibe in Kraft, da die Widerspruchslösung die Betroffenen ja gerade auffordere, dieses Recht auszuüben. Die Menschenwürde verbiete Schmähungen und Erniedrigungen, sie sei aber so lange nicht bedroht, wie Vorkehrungen gegen eine Ausbeutung oder Kommerzialisierung getroffen sind. "Zweck der Organtransplantation ist die Rettung menschlichen Lebens und damit auch die Menschenwürde eines Anderen", gibt Hufen zu bedenken.

Manch einer sehe ein Problem darin, dass ein Ausbleiben des Widerspruchs als stillschweigende Zustimmung gewertet wird. "Dies ist aber in der Rechtsprechung durchaus üblich", sagt Hufen. "Wenn jemand zum Beispiel kein Testament erstellt, dann gilt eben die gesetzliche Erbfolge, wenn er gegen eine anstehende Zwangsvollstreckung keinen Einspruch erhebt, gilt das als Zustimmung, und dann sind womöglich ganz schnell Haus und Hof weg." Das Recht auf Verdrängung der Entscheidung könnte angesichts der Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben der Organempfänger eingeschränkt werden. Unabhängig von der politischen Durchsetzbarkeit kommt Hufen zu dem Ergebnis: "Aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre die Widerspruchslösung machbar."

Kruip stellt einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt: "Es gibt eine Pflicht zur Hilfeleistung", sagt der Theologe. "Wir sind anderen Menschen gegenüber, die sich in einer Notlage befinden, zur Hilfe verpflichtet, so lange die damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Kosten zumutbar sind." Nach dem eigenen Tod einem vom Tode bedrohten Menschen ein Organ zu spenden, sei solch eine zumutbare Hilfeleistung. "Man kann aber aus Rücksicht auf eventuelle weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen nicht generell jeden zur Organspende heranziehen. Deswegen ist die Widerspruchslösung ein sinnvoller Kompromiss zwischen grundsätzlicher moralischer Verpflichtung und Berücksichtigung individueller Vorbehalte."

In der katholischen Kirche ist diese Position umstritten, es gibt starke Strömungen dagegen, dass hat Kruip selbst erfahren. "Aber Gott sei Dank ist in unserer Kirche zurzeit ganz viel in Bewegung", meint er. Hufen nimmt dieses Stichwort auf: "In letzter Zeit steigt die Spendenbereitschaft in Deutschland wieder an, und es gibt in unserer Gesellschaft eine breite Mehrheit für die Widerspruchslösung." Kruip und Hufen sehen die bisherige Regelung als gescheitert an. Tausende Menschen warten in Deutschland auf Spenderorgane. Ihnen muss geholfen werden.

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