Antike hautnah erleben als #explorer4aday

21. Februar 2020

Das Institut für Altertumswissenschaften und das Historische Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) laden ein zu ihren "Kleine Fächer-Wochen". Gefördert von der Hochschulrektorenkonferenz und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung geben sie unter dem Titel #explorer4aday / #explorer4aweek einen tiefen Einblick in die Vielfalt der Kleinen Fächer – und das mit einem mindestens ebenso vielfältigen Programm.

Wie liegt es sich auf einer antiken Kline? Das sollen Schülerinnen und Schüler des Andernacher Kurfürst-Salentin-Gymnasiums am eigenen Leib erfahren. Zugegeben, es stehen keine echten Liegen bereit, aber Dr. Patrick Schollmeyer vom Institut für Altertumswissenschaften der JGU improvisiert: Kissen auf einem Tisch müssten ausreichen, um einen ersten Eindruck zu vermitteln.

"Soll ich mich auf den Rücken legen?", fragt ein Schüler. Schollmeyer gibt Hilfestellung: Der linke Ellenbogen gehört auf das Kissen, ein Bein bleibt ausgestreckt, das andere soll angewinkelt werden. So also ruht der 16-Jährige sehr griechisch mit halb aufgerichtetem Oberkörper auf der modernen Tischplatte. "Und, finden Sie es bequem?" – "Geht so", kommt etwas zögerlich die Antwort. "Ich bin nun Ihr Mundschenk und gebe Ihnen eine Schale in die Hand." Der Zehntklässler bekommt ein echtes, jahrtausendealtes Stück aus der Original-Sammlung der Klassischen Archäologie der JGU gereicht.

"Jetzt versuchen Sie mal, manierlich daraus zu trinken", fordert Schollmeyer auf. Um das hinzubekommen, muss der Schüler das flache Behältnis beinahe in die Senkrechte kippen. Nun verdeckt die Keramik sein Gesicht und ihre Unterseite kommt zum Vorschein: Die Zuschauer blicken in zwei große aufgemalte Augen. Darunter wirkt der Gefäßstiel wie ein skurriler Rüssel in einem Fantasiegesicht, während die seitlich angebrachten Henkel als ulkige Ohren herhalten. Das Trinkgefäß wird zur karikierenden Maske. "Dies ist wohl auch der Sinn solcher Augenschalen gewesen", kommentiert Schollmeyer trocken.

Die breite Öffentlichkeit für Kleine Fächer gewinnen

Mit dem Workshop "Alltag im Alten Griechenland: Tafeln wie die griechischen Helden" bekommen zwei Griechisch-Klassen aus Andernach einen lebendigen Eindruck davon, wie es war, im antiken Hellas zu leben – und wie die Wissenschaft versucht, diesem Leben auf die Spur zu kommen. Der Workshop ist Teil des Projekts #explorer4aday / #explorer4aweek, das einer breiteren Öffentlichkeit die Kleinen Fächer der Altertums- und Geschichtswissenschaften an der JGU näherbringen möchte. Möglich wurde diese Initiative durch das Engagement der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF): Sie förderten im Zuge ihrer "Kleine Fächer-Wochen" bundesweit 17 Projekte, darunter auch die #explorer-Reihe der JGU, für die sie 45.000 Euro zur Verfügung stellten.

So konnten Studierende und Lehrende der JGU für das Wintersemester 2019/2020 eine Vielfalt an Formaten entwickeln: Einzelne Thementage der Altertumswissenschaften führten in die Hauptstadt des Römischen Reichs oder zur frühen Geschichte der Menschheit. Bei den Historikern war es gleich eine ganze Woche, in der Interessierte materielle Quellen wie Münzen, Inschriften und Karten in Sammlungen, Museen oder Archiven in Histosprints anfassen und erfassen durften. "Tatort Wissenschaft" bot Geschichtskrimis und im Knowledge Café berichteten Alumni nicht nur, wie es ist, ein Kleines Fach zu studieren, sondern auch, wie der anschließende Karriereweg aussehen kann. Bandbreite und Relevanz der Kleinen Fächer wurden mit #explorer4aday / #explorer4aweek unter verschiedensten Perspektiven beleuchtet.

"Ich habe Ägyptologie studiert, kenne mich also ein bisschen aus mit unseren Kleinen Fächern", erzählt Rebecca Marhöfer, Koordinatorin der "Kleinen Fächer-Wochen" an der JGU. "Aber diese Veranstaltungen bringen sogar mir neue Einblicke. Es ist sehr interessant, wirklich mal in alle Arbeitsbereiche reinschauen zu können. Dafür fehlt mir sonst die Zeit." Auch den Workshop zum altgriechischen Alltag lässt sie sich nicht entgehen. "Während meines Studiums habe ich in den Seminaren von Dr. Schollmeyer viel gelernt – und viel gelacht", meint sie.

Von Speisen, Gelagen und Lobreden

Das geht den 14 Schülerinnen und Schülern aus Andernach ähnlich: Am Vormittag hatte Dr. Anne Sieverling von der Klassischen Archäologie erläutert, wie es in der Antike um die Ernährung stand. "Wir machten uns erst einmal klar, was alles wegfiel." Es gab keine Kartoffeln, keine Tomaten, keinen Reis. "Und wir haben darüber geredet, wie sich überhaupt erforschen lässt, was es damals zu essen gab." Bilder auf Terrakotten aus der Original-Sammlung halfen, das Thema zu veranschaulichen. Dort ist zum Beispiel zu sehen, wie Jahrhunderte vor Christi Geburt Brot gebacken wurde.

Schollmeyer stellt das Symposion in den Mittelpunkt, eine der wichtigsten Plattformen für den sozialen Austausch im alten Griechenland. Er berichtet von den Homerischen Helden, die noch zu Tisch saßen. "Ab 700 vor Christus brach das um." Der Kontakt zum Orient brachte den Wandel. Die Kline kam in Mode und man lag. "Deswegen heißt es auch Gelage und nicht Gesitze." Wieder geht es um die Trinkschalen: Sie zeigen Motive, die wahrscheinlich dazu dienten, das gesellige Gespräch zu beleben. Athleten sind zu sehen, Soldaten, aber auch erotische Miniaturen. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich die Gefäße näher anschauen. "Dann dürfen Sie erarbeiten, wie Sie die Bilder in eine Unterhaltung einspeisen würden."

Der 15-jährige Finn und seine Arbeitsgruppe lassen sich durch eine kriegerische Szene zu einer "Ode an Opi" inspirieren: Sie komponieren eine Lobrede auf den Großvater, der sich im Peloponnesischen Krieg gegen die "kulturlosen Spartaner" bewährte. "Super, so was wäre sicher bei einem Symposion vorgetragen worden", lobt Schollmeyer. "Sie könnten sich direkt mit der Zeitmaschine dorthin beamen lassen.“

Gräber-Ausstellung zum Abschluss

Zum Finale stehen Schafskäse und Oliven, Koriander, Knoblauch und einiges mehr bereit. Es geht darum, Speisen der Antike herzurichten, wie sie in Originaltexten, diesmal aus der römischen Zeit, beschrieben werden. Der Schriftsteller Lucius Iunius Moderatus Columella etwa empfahl eine "Mixtura cum Nucleis Pineis": "Gallischen Käse oder eine beliebige andere Sorte schneide man fein zusammen und verreibe Pinienkerne ..." Auch daran versuchen sich die Schülerinnen und Schüler. "Das ist doch mal was anderes", meint Finn. "Es ist interessant, auch mal was aus dem Alltag der Leute zu erfahren."

Schollmeyer bietet mehrfach im Jahr ähnliche Workshops an. Durch #explorer4aday / #explorer4aweek allerdings konnte er mehr bieten als zuvor: "Es war uns möglich, die Anreise der beiden Klassen zu bezahlen, und wir kauften Lebensmittel für unseren letzten Programmpunkt ein." Auch ließen sich die verschiedenen Facetten der Klassischen Archäologie besser darstellen: Unter anderem berichteten Studentinnen von ihrem Praktikum in der Original-Sammlung der JGU und der wissenschaftlichen Arbeit mit den Exponaten.

Das Projekt #explorer4aday der Altertumswissenschaften schließt mit der Ausstellung "Vom Tod zum Leben: Bronzezeitliche Gräber in Rheinhessen", die bis Ende März im Landesmuseum Mainz zu sehen ist. Der Arbeitsbereich Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie am Institut für Altertumswissenschaften der JGU realisierte die Ausstellung in Kooperation mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe und der Forschungsstelle Kaiserpfalz Ingelheim. "Darauf bin ich noch mal besonders gespannt", meint Marhöfer. "Das wird einer unserer Höhepunkte."