Hinab in den Keller zur Musik Afrikas

7. November 2012

Am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) lagern mehr als 10.000 Tonträger. Das Archiv für die Musik Afrikas beherbergt eine einzigartige Sammlung. Hier finden sich alte Schellackplatten aus Tansania, LPs aus Mali und frische CDs aus dem Senegal. Archivleiter Dr. Hauke Dorsch lädt zur Führung durch vielgestaltige Klangwelten.

Unter der niedrigen Decke strecken sich oberschenkeldicke Rohre, Stahltüren verschließen kleine Räume, die Luft schmeckt staubig. Im Forum universitatis, unter dem Institut für Ethnologie und Afrikastudien der JGU, liegt Musik. Yandé Codou Sènes Stimme dringt kräftig aus einem Lautsprecher, erst solo, dann fällt Youssou N‘Dour ein paar Töne tiefer ein. A-cappella-Gesang erfüllt den Keller.

"Nur damit Sie einen Eindruck kriegen, was wir hier so haben", sagt Dr. Hauke Dorsch, während er am Regler dreht. In der Stereoanlage liegt einer von rund 10.000 Tonträgern des Archivs für die Musik Afrikas, des AMA, einer in Deutschland einzigartigen Sammlung.

Preislied für einen Präsidenten

"Yandé Codou Sène ist eine Griotte, eine höfische Preissängerin aus dem Senegal." Die Tradition ihres Gesangs führt weit zurück, bis ins alte Ghana vor gut 1000 Jahren – und mit diesem Ghana ist mitnichten der heutige Staat gemeint. "Das alte Ghana lag in der Sahara." Griots besingen Fürsten und Geschäftsleute. So preist Sène unter anderem Léopold Sédar Senghor, den Dichterpräsidenten, eine der prägenden Gestalten des unabhängigen, modernen Senegal.

Das AMA öffnet eine fremde Welt, ein kundiger Führer ist da unerlässlich. Dr. Hauke Dorsch, seit 2010 Leiter der Sammlung, übernimmt diese Rolle. In seinem Reich findet sich moderne afrikanische Popmusik verschiedenster Couleur – und das ist ein ungewöhnlich weites Feld. "Es gibt in Afrika keine klare Abgrenzung zwischen E- und U-Musik, zwischen traditioneller Musik und Popmusik", erklärt der Ethnologe. Sène ist ein gutes Beispiel. Als Griotte ist sie auch ein Popstar in ihrer Heimat.

Die Griots und die Kora

In der Ecke lehnt ein Instrument, das die Griots gern benutzen, eine Kora. "Die Experten streiten sich, ob es zu den Stegharfen oder den Harfenlauten gehört", sagt Dorsch lächelnd. Er streitet da nicht mit, ihm ist das eher gleichgültig. Über eine Kalebasse spannt sich Kuhleder. Der Hals des Instruments mit seinen 21 Saiten ist von zwei kürzeren Griffen flankiert. Diese greift der Musiker, dann zupft er die Saiten mit Zeigefinger und Daumen. "Die Kora hier ist für Touristen produziert worden. Spielen können Sie darauf nicht." Einen Eindruck gewinnen schon.

Das AMA ist in mehreren Kellerräumen untergebracht. Einer enthält bergeweise Artikel, etwa über den Singer-Songwriter Salif Keiita aus Mali oder über Mbalax, eine in Gambia und im Senegal populäre Musikrichtung, in der sich Regionales mit Rhythm and Blues oder Latino-Klängen mischt. "Wir sind noch am Katalogisieren", sagt Dorsch und zeigt auf einen Stapel Zeitungen.

Das Erbe eines großen Sammlers

Er und seine studentischen Mitarbeiter haben kräftig zu tun mit dem Erbe von Dr. Wolfgang Bender, der das AMA 1991 an der JGU gründete und bis zu seinem Weggang 2008 leitete. Bender war vor allem ein großer Sammler, das minuziöse Ausfüllen von Karteikarten gehörte nicht zu seinen Stärken.

Der Ethnologie-Professor brachte 800 Schellackplatten aus Ghana, Tansania und Kenia nach Mainz. Die Ältesten stammen aus den 1940er Jahren. Auf den meisten ist Highlife zu hören, ein Musikstil, der in Ghana die Unabhängigkeitsbewegung vor gut 50 Jahren begleitete. Am Rande einer Ethnologen-Konferenz legte Dorsch letztens Beispiele dieser Musik auf. "Was ist denn das?", wunderten sich die Kollegen. "Das klingt ja alles Lateinamerikanisch."

Wenn Schellack schimmelt

"The Stargazers of Kumasi" klingen tatsächlich nicht nach dem, was der Laie bei afrikanischer Musik erwartet. Dorsch spielt das Stück "Obra" an. Lateinamerikanischer geht es kaum. Wer glaubt, afrikanische Musik ließe sich in eine Schublade pressen, irrt eben. Selbst ein gemeinsamer Nenner lässt sich kaum finden. "Das beginnt schon damit, dass die Trommel nicht überall dieselbe Rolle spielt", deutet Dorsch Differenzen an. "Und Westafrika steht für rhythmische Komplexität, Südafrika überhaupt nicht."

Vorsichtig nimmt der Ethnologe die Schellackplatte der "Stargazers" hoch. Sie bricht leicht – und wenn es ganz schlimm kommt, könnte sie sogar schimmeln. Das passierte vor zwei Jahren. Dem Bestand drohte die Zerstörung. Dorsch und hilfreiche Studierende reinigten jeden Tonträger sorgfältig mit Wasser und einem Hauch Spülmittel.

Forschung und Lehre in der Unterwelt

Rund 800 Schellack- und 100 Azetatplatten, 7.000 Tonträger aus Vinyl, 1.500 Musikkassetten, 1.000 CD, 1.300 VHS und der Berg aus Zeitungsartikeln stehen im Archiv zur Forschung bereit. "Es gibt allenfalls noch private Sammlungen, die damit vergleichbar wären", sagt Dorsch. Die allerdings sind nicht immer zugänglich.

Deswegen kommen auch Wissenschaftler von auswärts, um sich im AMA umzuhören. Vor allem aber nutzen die Studierenden der JGU den Keller, um Material für ihre Arbeiten zu finden und gegebenenfalls zu kopieren. "Sie müssen unterschreiben, dass sie sämtliches Material tatsächlich nur für die wissenschaftliche Arbeit nutzen."

Der Ethnologe selbst bietet Lehrveranstaltungen rund um die afrikanische Musik an. Mit zwei studentischen Mitarbeitern kann er das AMA an drei Tagen öffnen. Wenn möglich, ergänzt er die Bestände. Bisher gab es für all das ein Jahresbudget von 7.000 Euro. Dieses Jahr fiel der Etat Sparmaßnahmen zum Opfer. Daran hat Dorsch sichtlich zu knabbern. Für kleine Konzerte und Ausstellungen warb er in der Vergangenheit zwar immer wieder Drittmittel ein, aber das ist ein mühsames Geschäft.

Das Geld ist knapp

Forschungsfelder finden sich reichlich im Archiv, Herausforderungen gibt es auch: Die Katalogisierung ist noch nicht abgeschlossen, eine Digitalisierung steht an. Das Internet bietet neue Möglichkeiten und Herausforderung. Wie wird sich das Archiv zu Downloads aus dem Netz stellen?

Aber das alles rückt für kurze Zeit in den Hintergrund, wenn Yandé Codou Sènes Stimme den Keller durchdringt, wenn Youssou N‘Dour nach wenigen Takten einstimmt. Afrika klingt selbst unter schenkeldicken Rohren und hinter Stahltüren sehr lebendig.