Mut zum Experiment

29.03.2021

Das Kreative Medienlabor der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Hochschule Mainz versteht sich als großes Experiment, das Studierende zusammenbringt, die sich mit Medien, mit Film, Theater oder Journalismus befassen. In kleinen Teams entwickeln sie ihre eigenen Projekte, produzieren Podcasts, drehen Filme oder laden zum Austausch auf multimediale Plattformen. Aktuell sind all diese Arbeiten in einer digitalen Ausstellung zu sehen.

Die Botschaft scheint eindeutig: "Hier gibt es nichts zu sehen" steht in großen Lettern auf der Fensterfront zu lesen. Gleich daneben allerdings prangt als subtile Verführung ein gigantischer QR-Code. Er ist das Tor zur digitalen Ausstellung des Kreativen Medienlabors: zu einer spannenden Rätseljagd durch Mainz oder zu einer außergewöhnlichen Corona-Bar, zu einem interaktiven Kinderbuch oder zu den Brennenden BHs. In Zeiten des Lockdowns sind neue Wege der Präsentation gefragt – auch in der Schule des Sehens auf dem Campus der JGU. Dort gibt es im Moment tatsächlich nicht viel zu sehen, dafür aber online umso mehr zu entdecken.

Das Kreative Medienlabor ist ein recht junges Projekt. Es entstand 2019. "Die ursprüngliche Idee war eigentlich sehr einfach und zugleich unmittelbar einleuchtend", meint Philipp Neuweiler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Journalistischen Seminar der JGU. "An unserem Medienhaus in der Wallstraße gehen fünf verschiedene Studiengänge ein und aus, die alle auf irgendeine Weise etwas mit Medien zu tun haben, aber kaum etwas gemeinsam machen. Es gibt praktisch keine Berührungspunkte zwischen den Studierenden der einzelnen Fächer."

Fünf Studiengänge vereint

Prof. Olaf Hirschberg und Prof. Dr. Thomas Meder von der Hochschule Mainz, Prof. Dr. Katja Schupp, Prof. Dr. Alexandra Schneider und Dr. Roman Mauer von der JGU wollten das ändern. Sie initiierten einen besonderen Kurs, der die Studiengänge Filmwissenschaft und Mediendramaturgie am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft sowie Audiovisuelles Publizieren und Journalismus am Journalistischen Seminar der JGU mit dem Studienangebot Zeitbasierte Medien der Hochschule Mainz vereint: Im Kreativen Medienlabor sollten die Studierenden zusammenkommen, sich austauschen und eigene Projekte entwickeln.

"Der gesamte Kurs ist ein Experiment", meint Neuweiler, der als Lehrbeauftragter gemeinsam mit Jens Hartmann von der Hochschule das Medienlabor leitet, betreut und laufend fortentwickelt. "Bei uns ist alles möglich. Wir haben einen Projekt-Kurs geschaffen, der nicht nur die fünf Studiengänge koppelt, sondern zugleich einen Freiraum bietet, gemeinsam kreativ herum zu spinnen."

Die digitale Ausstellung zeigt alle 14 Projekte, die die Studierenden bisher umgesetzt haben. "Jens Hartmann entwickelte die Gestaltung der Fassade an der Schule des Sehens als Aufhänger für unsere Ausstellung", erzählt Philipp Neuweiler. "Ich habe die Website gestaltet, die den Rahmen für die Präsentationen bietet." Zum Einsatz kommt so ziemlich alles, was die moderne Medienwelt hergibt: Eine Foto-Website zeigt Menschen in ihrer coronabedingten häuslichen Isolation, eine Rauminstallation beschäftigt sich mit Konzepten der Werbung, und der interaktive Kurzfilm "Overload" ändert je nach Wunsch seinen Verlauf.

Bereits im Sommer vorigen Jahres trafen sich drei Studierende mit Hartmann und Neuweiler im Garten der Domus Universitatis, dem alten Stammhaus der Mainzer Universität, in dem das Journalistische Seminar zu Hause ist. Sie berichteten von ihrer Arbeit mit dem Medienlabor und von ihrem Ergebnis, dem Projekt "Brennende BHs". Diese Zusammenkunft unter freiem Himmel wurde möglich, da die Kontaktbeschränkungen vorübergehend gelockert worden waren, auch wenn die Lehrangebote von Universität und Hochschule weiterhin fast ausschließlich über digitale Kanäle stattfanden.

Frischer Blick auf Feminismus

Ronja Marie Lauderbach und Jakob Hans Villhauer studieren Audiovisuelles Publizieren, Fabian Kling Filmwissenschaft. Gemeinsam mit Katja Neitemeier und Chiara Patricia Scherz entwickelten sie die Idee für einen Podcast mit ergänzendem Instagram-Kanal. "Wir haben zuerst im Plenum die verschiedenen Themen für unsere Projekte ausgearbeitet", berichtet Kling. "Katja wollte etwas zu Feminismus machen. Das ist für viele ein Begriff mit einem verstaubten Charakter, aber wir wollten ihn von einer sehr speziellen Seite angehen. Katja plante zum Beispiel, die Landfrauenbewegung unter die Lupe nehmen, die man so erst mal nicht unbedingt mit dem Feminismus verbindet. Wir wollen eine Ordensschwester porträtieren und einen alleinerziehenden Vater. Beide fühlen sich auf die ein oder andere Weise als Feministin oder Feminist, selbst wenn sie sich vielleicht nicht ausdrücklich so nennen würden und nicht in die überkommenen Rollenklischees passen."

Büstenhalter brannten in jener Zeit, als der Feminismus leidenschaftlich diskutiert und vorangetrieben wurde, der brennende BH sollte nun das Emblem für eine neue Sicht auf den Feminismus werden. "Wir überlegten uns, das Thema in einem Podcast aufzuarbeiten", sagt Villhauer. "Ergänzend dazu bauten wir noch eine Instagram-Seite auf." – "Jeder brachte seinen Horizont mit ein, das Know-how aus seinem Fach", fährt Lauderbach fort. "Es gab unheimlich viele Details zu entscheiden. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass wir wochenlang über das Design unseres Projekts grübeln, dass wir uns mit Farbschemata herumschlagen. Philipp stellte sogar den Kontakt zu einer Künstlerin her, die uns bei den Illustrationen unterstützte."

Es war viel Aufwand – mehr, als im Rahmen eines solchen Kurses zu erwarten gewesen wäre. "Aber wir hatten ein lohnendes Ziel vor Augen, das uns motiviert hat", sagt Kling. "Wir bekamen viel konstruktives Feedback für unsere Arbeit. Das ist eine besondere Qualität des Medienlabors und ein Aspekt, der mir sonst manchmal in meinem Studium fehlt. Außerdem wurden wir von der Film und Medien Nachwuchsförderung Rheinland-Pfalz unterstützt, der wir unser Projekt vorstellten." Das Sommersemester, in dem die fünf ihren Kurs im Kreativen Medienlabor belegten, ist längst vorbei, aber die Gruppe bleibt wie viele der Teilnehmerinnern und Teilnehmer am Ball.

"Alle Ideen, die im Medienlabor entwickelt werden, stammen ausschließlich von den Studierenden", betont Hartmann. "Wir als Lehrende versuchen, den Rahmen zu geben. Wir stehen als Ansprechpartner zur Verfügung, wenn es Probleme gibt. Allerdings legen wir schon Wert darauf, dass uns die Teams Zieldefinitionen vorlegen. Sie sollen sich Gedanken machen, welche Zielgruppe Sie erreichen und wie sie diese Gruppe ansprechen wollen. Zum Semesterende muss das Projekt nicht perfekt und abgeschlossen sein, aber wir möchten wenigstens einen Prototypen sehen. Zuerst hatten wir die Idee, einen klaren Schlusspunkt zu setzen, doch davon sind wir abgekommen. Heute ist unsere Botschaft: Entwickelt das Projekt auch nach dem Kurs weiter, wenn ihr wollt."

Formatforum bietet professionelles Feedback

Von diesem Weitermachen zeugt die aktuelle Ausstellung. "Wir haben sie auch genutzt, um eine ganze Reihe Medienvertreter zu einem eigenen digitalen Formatforum einzuladen", erzählt Neuweiler. "Unter anderem waren Vertreterinnen und Vertreter von SR, WDR, ZDF und Arte dabei. Die Studierenden bekamen die Gelegenheit, ihre Projekte in je fünf Minuten zu pitchen, danach konnten sie sich in 14 Video-Chaträumen austauschen. Ich denke, es war eine wichtige Erfahrung, auf solch einem Weg ein professionelles Feedback zu bekommen."

In den ersten beiden Jahren seines Bestehens wurde das Kreative Medienlabor als innovatives Lehrprojekt vom Gutenberg Lehrkolleg (GLK) der JGU gefördert. Die Verantwortlichen erreichten anschließend, dass es darüber hinaus weiter bestehen konnte. "Auf jeden Fall werden wir im kommenden Sommersemester wieder stattfinden", kündigt Neuweiler an. "Was danach passiert, ist allerdings nicht klar. Wir haben Förderanträge gestellt, aber es ist noch nichts spruchreif." Immerhin legt die Ausstellung Zeugnis ab von der Arbeit der letzten Jahre: Es gibt viel zu sehen – nur eben nicht vor Ort in der Schule des Sehens.