Fluglärm macht die Menschen krank

3. Dezember 2012

Ein Kardiologe geht gegen den Fluglärm auf die Barrikaden: Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz, kritisiert scharf den Expansionsdrang der Frankfurter Flughafens. In einer wissenschaftlichen Studie weist er nach, wie gefährlich die dröhnenden Flieger für die Gesundheit sind.

Das Jaulen der Turbinen ist nicht zu überhören, selbst im geschäftigen Nachmittagsverkehr auf dem Gelände der Mainzer Universitätsmedizin. Im Minutentakt fliegen die Maschinen den Frankfurter Flughafen an. Nie ist der Himmel leer über den Klinikgebäuden.

"Hören Sie das? So geht das schon morgens um fünf Uhr los." Prof. Dr. Thomas Münzel regt sich auf. In seinem badischen Akzent klingt das zwar etwas entspannter als auf Rheinhessisch, aber das täuscht. Der Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz ist verärgert, seit Jahren schon. Das Thema Fluglärm treibt ihn um. Er engagiert sich in Initiativen, redet auf Demonstrationen – und gerade hat er eine medizinische Studie beendet, die belegt: Fluglärm schadet der Gesundheit. Demnächst steht die Veröffentlichung an.

Flugzeuge über der Universitätsmedizin

"Die einzige Universitätsklinik in Rheinland-Pfalz wird von Flugzeugen überflogen, das muss man sich mal vorstellen." Münzel findet schon das skandalös. Aber er fügt noch ein Detail an: "Vor einem Jahr legte die Deutsche Flugsicherung die Flüge 300 Meter tiefer. Nun heißt es, das sei nicht nötig gewesen. Man gefährdet damit Patienten. Und nachdem man zugegeben hat, dass die Änderungen gar nicht notwendig waren, legt man die Flugzeuge nicht wieder höher. Sie fliegen nach wie vor unglaublich niedrig über die Universitätsmedizin. Das sagt uns ganz klar: Der Deutschen Flugsicherung kann man nicht trauen und man muss dafür sorgen, dass sie eine Kontrollbehörde bekommt."

Auf Münzels Schreibtisch steht das Modell eines menschlichen Herzens. Für das Büro eines Kardiologen ist das wohl beinahe Pflicht. Die Kür thront vor dem Arbeitsplatz: Eine fast lebensgroße Frauenskulptur der Künstlerin Rosi Röhm strahlt Ruhe und Wärme aus. "Gefällt sie Ihnen?", fragt der Mediziner lächelnd.

75 Probanden nahmen an Münzels aktueller Studie teil. "Sie bekamen einen MP3-Player mit nach Hause." Der gab ihnen Nachtfluglärm auf die Ohren. 30 bis 60 Überflüge pro Stunde wurden simuliert, bei einer mittleren Lautstärke von 48 dBa. "Wir untersuchten Blutdruck, Herzfrequenz, Stresshormone und die Endothelfunktion – das ist die Fähigkeit der Gefäße, Nitroglyzerin zu bilden."

Fluglärm führt zu höherem Blutdruck

Längst ist durch zahlreiche Studien bekannt, dass die Störung der Nachtruhe zur Ausschüttung von Stresshormonen führt. Dadurch beschleunigt sich der Herzschlag, der Blutdruck steigt, die Blutgerinnung wird aktiviert. Das sind drei Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall.

Stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender des Flughafenbetreibers Fraport AG meint, bis zu 70 Prozent der Fluglärmbelästigung seien eine subjektive Wahrnehmung. Es käme also auf die Einstellung an. "Das ist Blödsinn", sagt Münzel. "Sie können Fluglärm nicht ausblenden. Wer behauptet, sich an Fluglärm gewöhnt zu haben, bezahlt das automatisch mit einem höheren Blutdruck."

Das belegt auch die aktuelle Studie: "Es ist egal, ob ein Mensch vom Lärm aufwacht oder nicht, der Blutdruck steigt. Das haben wir und andere Forschungsgruppen eindeutig festgestellt." Hinzu kommt ein weiterer Effekt des Lärms, der so bisher noch nicht beobachtet wurde. "Wir konnten gut messen, wie viel körpereigenes Nitroglyzerin die Probanden herstellen." Das Nitroglyzerin hält die Gefäße weich und weit, zwei lebenswichtige Funktionen. "Wir haben nachgewiesen, dass Lärmgestresste viel weniger Nitroglyzerin produzieren." Das führe zu Gefäßschäden. "Erhöhtes Cholesterin bräuchte Monate für das, was Fluglärm in zwei Tagen anrichtet."

450.000 Flugbewegungen im Jahr

Durchs geöffnete Fenster sind weiter die Jets im Landeanflug zu hören. "Unsere Patienten hier in der Klinik müssen nach ihrem Herzinfarkt oder ihrem Schlaganfall Ruhe haben." Dennoch werde das Nachtflugverbot ausgehöhlt, in den Randstunden von 5 bis 6 Uhr und von 22 bis 23 Uhr seien 132 Flugbewegungen zugelassen. "Zurzeit zählen wir insgesamt 450.000 Flugbewegungen im Jahr, bis 2020 sollen es 750.000 werden."

Angesichts all dieser Fakten fordert Münzel wie viele andere Fluglärmkritiker: "Krankenhäuser dürfen nicht überflogen werden. Laute Maschinen sollten nicht landen dürfen." Außerdem plädiert der Arzt für einen kontinuierlichen Sinkflug, wie er etwa im englischen Heathrow praktiziert wird. "Aber die Deutsche Flugsicherung sagt, dadurch würde die Kapazität der Flugzeuge nach unten gehen. Ich frage mich allerdings, warum sich die Flugsicherung um Rentabilitätsfragen schert. Das ist nicht ihre Aufgabe. Wie gesagt, es muss eine unabhängige Kontrollinstanz für Fraport und die Flugsicherung her."

Rhein-Main-Gebiet ächzt unter Belastungen

Der Kardiologe hat nicht nur den Fluglärm im Blick. "Wir sind im Rhein-Main-Gebiet sowieso schon am Ächzen. Wir haben hohe Ozonwerte und hohe Feinstaubkonzentrationen. Gerade der Feinstaub macht mir Angst. Die Partikel werden inhaliert, gehen ins Blut und dann in die Gefäße und verursachen dort Entzündungen. Und was überhaupt noch nicht berücksichtigt wurde, sind die Abgase der Flugzeuge, die Stickoxidbelastung. Das Ganze ist ein hochreaktiver Cocktail, der gerade im Rhein-Main-Gebiet gemixt wird, und der irgendwann explodiert."

"Ich habe schon neben Autobahnen und an einer ICE-Trasse gewohnt. Aber Auto- und Zugverkehr sind deutlich weniger belastend als Flugverkehr." Auch dazu gibt es Studien, der Arzt muss sich da nicht auf sein subjektives Empfinden verlassen. Heute lebt er in der Mainzer Oberstadt, wo der Fluglärm ein ständiges Thema ist.

"Es gibt Lärmgrenzwerte für Bereiche wie Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Die liegen im Mittel bei 45 Dezibel. Aber da ist interessanterweise der Fluglärm ausgenommen." Das ist für Münzel ein unhaltbarer Zustand. "Die Situation hat sich schließlich geändert: Vor sieben, acht Jahren war nur die Rede von Lärmbelästigung. Heute wissen wir, dass es definitiv eine Gesundheitsgefährdung ist."

Plädoyer für die Unversehrtheit des Menschen

Berechnungen gehen allein im Rhein-Main-Raum von 500 bis 700 Millionen Euro Folgekosten angesichts der Schädigungen durch Fluglärm aus, von 1.500 Toten zusätzlich ist die Rede. Das regt Münzel auf: "Deutsche Flugsicherung und Fraport dürfen nicht entscheiden, wer in Zukunft einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt kriegt. Dabei geht es nicht mal ums Fliegen oder Nicht-Fliegen. Es geht um die Frage, ob ein Betrieb wie Fraport im Rhein-Main-Gebiet derart expandieren darf. Was bewertet man höher: Die Unversehrtheit des Menschen oder die Wirtschaft?"

Die Maschinen fliegen derweil weiter im Minutentakt über die Mainzer Universitätsmedizin. Schon dröhnt die nächste heran. "Hören Sie das?", fragt Münzel noch einmal.