Universitätsgeschichte im Twitteraccount

31. Mai 2021

Ein eigener Twitteraccount begleitet das Jubiläumsjahr der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Er beleuchtet verschiedenste Facetten der 75-jährigen Universitätsgeschichte: Fünf Studierende skizzieren grundlegende Entwicklungen und beschreiben kuriose Kleinigkeiten, sie schauen auf gefüllte Mensateller und prominente Persönlichkeiten, berichten von Skandalen und bahnbrechenden Forschungen.

280 Zeichen: Länger darf eine Nachricht – ein Tweet – bei Twitter nicht sein. Was lässt sich anstellen mit solchen Sprachhäppchen? Lässt sich damit Geschichte erzählen, lassen sich 75 Jahre JGU nachzeichnen? Das wird man sehen, denn genau dies versuchen Studierende des Historischen Seminars anlässlich des Jubiläums der Wiedereröffnung. Viel Platz haben sie tatsächlich nicht: Bereits dieser Absatz endet mit stolzen 405 Zeichen.

"Universitätsgeschichte interessiert mich schon länger", erzählt Karsten Welcher. "Ich studiere Geschichte an der JGU und arbeite als wissenschaftliche Hilfskraft im Universitätsarchiv. Mit Twitter dagegen hatte ich vorher überhaupt noch nichts zu tun. Deswegen reizte mich das Projekt: Ich wollte wissen, was herauskommt, wenn wir diese beiden Dinge zusammenbringen."

Offiziell begann es am 21. Mai 2021, einen Tag vor dem Jahrestag der feierlichen Wiedereröffnung der JGU. Auf dem Twitter-Kanal @JGU_75 war zu lesen: "Die @uni_mainz wird 75! Aus diesem Anlass freuen wir uns, Sie und euch in den kommenden 12 Monaten auf eine #Zeitreise durch die Mainzer #Unigeschichte mitzunehmen. Morgen starten wir unter #22Mai46 mit einem #Liveticker zum Tag der feierlichen Eröffnung #enjoytheride".

Reentweetment zur JGU-Eröffnung

Die Idee zu @JGU_75 kam von Frank Hüther, Doktorand der Neuesten Geschichte und Mitarbeiter im Universitätsarchiv der JGU. Ihm schwebte eine Lehrveranstaltung vor, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren eigenen Twitteraccount bespielen sollten. Hüther überzeugte Dr. Christian George, den Leiter des Universitätsarchivs, von seinem Plan. Der wiederum trat mit dem Projekt an Dr. Andreas Frings, Studienmanager am Historischen Seminar, heran. Frings erinnert sich mit leisem Schmunzeln: "Es war gar nicht so leicht, Herrn George bei uns lehren zu lassen. Er ist zwar Wissenschaftler, doch ich kann ihm nicht einfach einen Lehrauftrag geben. Was wir realisieren konnten, war eine Kooperation zwischen dem Archiv und unserem Seminar."

"Am Ende waren wir drei Dozenten und fünf Studierende", so George. "Die Gruppengröße schien mir ideal – nicht zuletzt, weil wir in diesen Zeiten der Kontaktbeschränkungen viel über digitale Kanäle diskutieren mussten. Das wäre in einem größeren Kreis schwieriger geworden."

Zum Tag der Wiedereröffnung entfesselten die Acht ein veritables Twitter-Gewitter, ein so genanntes Reentweetment. "Wir wollten es so aussehen lassen, als würden wir direkt von den Feierlichkeiten berichten, und das im Stundentakt", erzählt George. Das Reentweetment war wie eine Live-Schaltung ins Jahr 1946 inszeniert. "Unsere Quellenlage für diese Veranstaltung ist recht gut, wir konnten also ins Detail gehen." Und auch wenn jeweils nur wenig Text erlaubt ist: Fotos, Abbildungen von allerlei Dokumenten und Links zu weiteren Informationen lassen sich zusätzlich unterbringen. Sie verleihen den Tweets eine zusätzliche Dimension.

Vom Kernreaktor zur Studentenzeitschrift

Dennoch bleibt es natürlich schwierig, komplexe Zusammenhänge darzustellen. "Neben der Arbeit im Archiv, die leider wegen Corona nicht so stattfinden konnte, wie ich mir das gewünscht hätte, war es für mich so eine Art Lernziel, historische Sachverhalte auf die begrenzte Zeichenzahl von Twitter herunterzubrechen", sagt George. "Wie kann man auf diese Weise Kommunikation betreiben, ohne zu viele Abstriche zu machen? Dabei half uns natürlich, dass unser Twitteraccount nicht allein dasteht. Es ist eines von vielen Projekten zum Jubiläum, auf die wir verweisen können. Unsere jüngst erschienene umfangreiche Festschrift etwa diente uns als ein Ausgangspunkt für unsere Arbeit. Sie war die Grundlektüre für unsere Studierenden. Von dort aus konnten sie sich in einzelne Themenfelder einarbeiten."

"Ich habe mich viel mit den 1980er-Jahren beschäftigt und dort vorwiegend mit Naturwissenschaft und Technik", erzählt Welcher. "Der Kernreaktor unserer Universität, aber auch internationale Beziehungen waren interessant. Darüber hinaus stieß ich allerdings auch auf Aspekte, die in der Jubiläumsschrift nicht zur Sprache kommen, die dort auch nicht unbedingt hineinpassen, aber für unser Publikum sicher spannend sind."

Hüther nimmt den Faden auf: "Die Mensa muss natürlich vorkommen. Das Essen dort sorgt traditionell für Diskussionen unter Studierenden. Das ist ein wichtiger Teil des Uni-Lebens, der allerdings gar nicht so leicht zu recherchieren ist. Überhaupt interessiert uns die Perspektive der Studierenden: Wir schauten uns unter anderem studentische Zeitschriften an, die zum Glück mittlerweile digital archiviert sind. Dort fanden wir allerlei Kuriositäten."

Twittern gegen Musealisierung

"Ich entdeckte Bereiche, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte", fährt Welcher fort. "Ich las von einer Kooperation der Universität mit der ESA: In Mainz fand Astronautentraining statt. Und ich stieß auf eine Graffiti-Aktion im Philosophicum." All das wird in den Tweets zu erfahren sein.

"Oft erleben wir eine Musealisierung der Geschichte", meint Frings. "Dem wollen wir entgegenarbeiten. Wir wollen in unserem Account Brüche darstellen und Wandel zeigen. Wir wollen vielgestaltig sein. Wir werden uns mit der alten Flakkaserne als baulicher Keimzelle der Universität genauso beschäftigen wie mit den Forschungen von BioNTech. Wir sprechen kontroverse Themen an. Wir wollen zur Diskussion anregen."

Im Durchschnitt gibt es einen Tweet pro Tag. "Ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen", sagt Hüther. "Denn auch davon lebt so ein Twitterkanal." Natalja Böhm, eine der Studierenden, wird den Account über das Jahr hinweg betreuen. "Vielleicht erzählt uns jemand aus eigener Erfahrung, wie es war, damals an der JGU zu studieren, oder jemand berichtet, wie das Mensaessen tatsächlich schmeckte", meint George. "Solche Erinnerungen und Kommentare nehmen wir gern mit. Wir sind gespannt."

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