Grenzen überwinden, Fächer zusammenbringen

24. Mai 2022

Seit 1988 forscht und lehrt der international renommierte Amerikanist Prof. Dr. Alfred Hornung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Sein Fach hat im Laufe der Jahrzehnte einige Veränderungen erlebt, die 2017 in die Gründung des Obama Institute for Transnational American Studies mündeten. Hornung erzählt davon – und ein wenig auch aus seinem Leben.

In seinem eben erschienenen Buch beschäftigt sich Prof. Dr. Alfred Hornung mit dem wohl berühmtesten Gangsterboss aller Zeiten: Eine druckfrische Ausgabe von "Al Capone – Der amerikanische Traum und das organisierte Verbrechen" liegt vor ihm auf dem Schreibtisch. Dies ist kein Fachbuch, sondern eine Biografie, die sich an ein breites Publikum wendet. "Mir ist es wichtig, dass Wissen nicht an der Universität gehortet wird", meint Hornung. "Wir müssen es in die Gesellschaft tragen. Als wissenschaftliche Veröffentlichung würde der Band nur die erreichen, die sich in der amerikanischen Geschichte schon gut auskennen. Die hohe Nachfrage belegt jedoch das große öffentliche Interesse an der Figur Al Capone."

Hornung zeigt Parallelen auf zwischen der Familie Al Capones und dem Werdegang der Vorfahren des Ex-US-Präsidenten Donald Trump. "Der Großvater von Trump ist zeitgleich mit dem Vater von Capone in die USA eingewandert. Interessanterweise begannen dort beide ihre Geschäftsleben mit der Gründung eines Friseursalons in New York." Trotz aller Parallelen starteten sie unter unterschiedlichen Vorzeichen: "Trump hat einen deutschen Hintergrund, Al Capone dagegen einen süditalienischen – und er wurde damals wegen seiner dunkleren Hautfarbe als Schwarzer bezeichnet." Das habe es Capone schwer gemacht, eine irische Frau zu heiraten und auf legalem Wege Fuß zu fassen in einer Gesellschaft, die Nicht-Weiße misstrauisch beäugte.

In einem Gespräch mit Hornung sind die Themen zwangsläufig weit gefächert. Er schlägt weite Bögen. Tatsächlich würde es den Rahmen dieses Artikels sprengen, seinen Werdegang und sein Wirken vollständig und umfassend darzustellen. Bereits Hornungs Büro im Neubau des Philosophicum II auf dem Gutenberg-Campus dokumentiert die Vielfalt seines Forscherlebens: An der Wand hängt eine alte Urkunde, die ihn als Ehrenbürger von Texas ausweist. "Wahrscheinlich würde ich sie heute nicht mehr annehmen in Anbetracht der aktuellen politischen Ausrichtung des Staates". In einem Regal finden sich zahlreiche Ausgaben der "American Studies", einer Reihe, die er seit den 1990er-Jahren als Herausgeber geprägt hat. "Es sind mittlerweile mehr als 300 Bände erschienen." Und wer hinaus in den Gang tritt, kommt zu einer Glastür, auf der der Schriftzug "Obama Institute" prangt: Hornung stellte die Weichen, um diese Plattform für transnationale, interdisziplinäre und interkulturelle Amerikaforschung an der JGU auf den Weg zu bringen. Er selbst leitet das Institut.

Herausragende Mainzer Amerikanistik

Amerika war bereits früh ein faszinierendes Thema für Hornung. "Als ich im Gymnasium war, lag gegenüber eine amerikanische Kaserne. Wir beobachteten die Soldaten, wir sahen sie American Football spielen und sie luden uns zum Filmeschauen ein. Meine erste Schokolade bekam ich von einem schwarzen GI." 1961, im Alter von 16 Jahren, wollte Hornung unbedingt in die USA. "Ich hatte ein Stipendium, aber ich brauchte die Unterschrift meiner Eltern." Diese zögerten. "Als ich dann in Würzburg studierte, bemühte ich mich sofort um einen Amerika-Aufenthalt." Er kam an die renommierte Wesleyan University in Middletown, Connecticut. "Ich mochte den sehr engen Kontakt zu den Dozierenden, die unfassbar hilfreichen Menschen in der Bibliothek, diese völlig ungeahnten Formen, die akademische Ausbildung in jeder Beziehung zu unterstützen." Hornung kehrte immer wieder in die USA zurück. Insgesamt verbrachte er dort mehr als zehn Jahre, unter anderem als Fellow und Gastprofessor in Harvard, Yale, Columbia, an der University of Texas at Austin, der University of New Mexico und am National Humanities Center in North Carolina.

1988 kam Hornung an die JGU. "Mainz war die dritte Universität in Deutschland, die einen Lehrstuhl für Amerikanistik einrichtete, 1952 wurde er mit Hans Galinsky besetzt, einem international anerkannten Wissenschaftler. Galinsky leistete ungeheure Aufbauarbeit und knüpfte viele Kontakte zu amerikanischen Universitäten. Er sprach nur Englisch, auch mit seiner deutschsprachigen Sekretärin." Hornung hatte die Wahl zwischen Hamburg und Mainz. "Für mich war es keine Frage, auch wegen der Ausstattung. Als Beispiel: In Mainz standen jeder der damals schon drei Amerikanistik-Professuren mehr Ausstattungsmittel zur Verfügung als der einzigen Amerikanistik-Professur in Hamburg. Das waren ganz unterschiedliche Dimensionen in dem eher an England orientierten Hamburg und dem Amerikanistik-Schwerpunkt Mainz." Das Fach gewann über die Jahrzehnte kontinuierlich an Bedeutung. Heute gehört das Obama Institute zu den führenden Amerikanistik-Zentren Europas.

"Ich brachte den Aspekt des Life Writing mit an die JGU", erzählt Hornung. Life Writing umfasst narrative Lebenszeugnisse jeglicher Art: von der Autobiografie über das Tagebuch bis zu den sozialen Medien. Wie sich das in seiner Arbeit niederschlägt, verdeutlicht Hornung an einem seiner Forschungsprojekte: Er untersucht die Rezeption des chinesischen Philosophen Konfuzius in den autobiografischen Werken der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika. "Benjamin Franklin, dessen Autobiografie zur Standardlektüre in amerikanischen Schulen gehört, richtet seinen Lebenswandel an 13 aufgeführten Tugenden aus, um moralische Perfektion zu erreichen. Elf dieser Tugenden stammen von Konfuzius aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., ohne dass Franklin ihn jedoch als Quelle nennt. Der dritte US-Präsident, Thomas Jefferson, zitiert in seiner Antrittsrede mehrfach Konfuzius, auch ohne Quellenangabe." 1934 wurde der Supreme Court der USA gegründet. "Drei Figuren, die für Gesetzmäßigkeit stehen, zieren das Gebäude: Moses, Solon und Konfuzius."

Im Jahr 1999 war Hornung das erste Mal in China. "Ich wurde zu einer Autobiografie-Konferenz eingeladen. Besonders für viele Amerikanistinnen und Amerikanisten war dies damals völlig unverständlich." Hornung knüpfte dort wegweisende Kontakte und gehörte zu den Gründern der in Peking etablierten internationalen Autobiografie-Gesellschaft. 2009 übernahm er eine neunmonatige Gastprofessur an der Peking University. "Sie ist das Harvard Chinas. Angesichts der allgemeinen Popularität des neuen amerikanischen Präsidenten fragte man mich: 'Willst Du einen Vortrag über die Autobiografie von Barack Obama halten?' Mehr als 1.000 Studierende nahmen daran teil, was sich an vielen anderen Universitäten wiederholte." Auch der Präsident der JGU besuchte in diesem Jahr die Peking University und es konnte ein formales Austauschabkommen unterzeichnet werden. Hornung ist seit Ende der 1990er-Jahre regelmäßig in China. Seine letzte Vorlesung erfolgte aufgrund der Pandemie übers Internet. "Mehr als 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich eingewählt. Das Interesse an der Amerikanistik und den USA ist in China groß. Ein Studium in den USA ist für alle chinesischen Studierenden der große Traum."

Vernetzung auf allen Ebenen

Wie seinerzeit Galinsky legt auch Hornung viel Wert auf internationale Kontakte. "Mit 18 Universitäten in den USA und Kanada pflegen wir einen regen Austausch, darunter die Stanford University in Kalifornien. Unsere Austauschprogramme betreffen alle Ebenen: Bachelor, Master sowie Promotion." Auch bi- und trinationale Abschlüsse hat Hornung mitinitiiert: "Seit drei Jahren gibt es zum Beispiel einen Doppelabschluss für Doktorandinnen und Doktoranden mit der State University of Georgia in Atlanta. Diese Programme sind das Ergebnis jahrelanger Arbeit."

Auch in anderen Bereichen der JGU entwickelte sich vieles: Hornung erinnert sich an die Übernahme der USA-Bibliothek der US-Streitkräfte vom Camp Lindsey in Wiesbaden 1993. "Damals gab es hitzige Debatten darüber, ob diese Bibliothek überhaupt übernommen werden sollte. Die Qualität der für Soldaten bestimmten Literatur wurde angezweifelt. Aber gerade die Offiziere genießen eine herausragende Ausbildung." Das spiegelte sich in der Bibliothek wider, die jetzt prominent als USA-Bibliothek im Georg Forster-Gebäude steht. Ihr Wert lag bei rund einer Million Dollar. "Mit ihr kamen die ersten Online-Zeitschriften an die JGU, die wir dann weiterführten."

Aufbauend auf seiner seit den 1980er-Jahren bestehenden Kooperation mit Steven Marcus und seiner Gastprofessur an der Columbia University setzte sich Hornung für die Gründung eines Graduiertenkollegs ein, das Geisteswissenschaften und Medizin verbinden sollte. 2014 entstand dann das interdisziplinäre Forschungsprojekt "Life Sciences – Life Writing". Die Amerikanistik der JGU und die Universitätsmedizin Mainz arbeiten hier eng zusammen. Menschliche Grenzerfahrungen stehen im Mittelpunkt und werden sowohl aus naturwissenschaftlich-medizinischer als auch literarisch-kultureller Perspektive beleuchtet. Als Sprecher fungieren Hornungs Kollegin Prof. Dr. Mita Banerjee sowie Prof. Dr. Norbert W. Paul vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universitätsmedizin Mainz. "Die Amerikanistik war von Haus aus immer sehr offen und kann eine zentrale Rolle bei der Erforschung interdisziplinärer Fragestellungen spielen."

Auf diese Überzeugung stützte sich auch die Gründung des Obama Institute for Transnational American Studies im Jahr 2017. Hier arbeiten Forschergruppen der Literatur-, Kultur-, Geschichts-, Sozial- und Rechtswissenschaften sowie der Geografie zusammen. Eine inter- oder transdisziplinäre Plattform entstand. "Sie ist als Basis der Kooperation der Amerikanistik-Abteilungen an allen rheinland-pfälzischen Universitäten gedacht“, erklärt Hornung.

Forschen im Namen Obamas

Für ihn ist klar: "Amerikanistik endet nicht an den Landesgrenzen der USA." Sie muss weltweit schauen, wie amerikanische Einflüsse wirken, wie sie modifiziert werden und wo Neues daraus entsteht. Es geht dabei nicht darum, ein Loblied auf Amerika zu singen und unkritisch seine führende Rolle in der Welt zu propagieren. "Bereits seit dem Vietnamkrieg hat sich die Amerikanistik kritisch hiermit auseinandergesetzt", meint Hornung. "Das setzte sich fort während der Präsidentschaften von Ronald Reagan, George W. Bush – und besonders von Donald Trump: Während etwa Trump 'America First' propagierte und damit tatsächlich ein Erstarken des 'weißen' Amerika forderte, hat sich die Amerikanistik längst dem Amerika des 21. Jahrhunderts zugewandt. Und dieses ist divers und multikulturell. Mit diesem Amerika beschäftigen sich die meisten Studierenden in ihren Bachelor- und Masterarbeiten. Wenn wir die amerikanische Gesellschaft ansehen, ist sie längst vor allem nicht-weiß. Das ist die Zukunft."

Daher war es naheliegend, die Familie Obamas als Namenspaten für das neue Mainzer Institut zu wählen. Damit ist dezidiert nicht nur der ehemalige 44. Präsident der USA gemeint, sondern die gesamte weit verzweigte Familie mit ihrem vielfältigen Engagement in Europa, Afrika und Asien. "Barack Obama selbst war erfreut über die Namensgebung." Seine ältere Schwester, Dr. Auma Obama, war bereits 2014 zur Konferenz "Obama & Transnational American Studies" an der JGU zu Gast. Hornung zeigt einen Band der "American Studies" in seinem Regal: Hier sind die Beiträge der Konferenz abgedruckt, auch Auma Obamas Keynote.

Sicher könnte noch von Hornungs Auszeichnung mit dem bedeutenden Carl Bode-Norman Holmes Pearson Prize in Washington D.C. für sein akademisches Lebenswerk die Rede sein, von seiner Ernennung als Honorary Chair Professor an der Shandong University in Jenin, seiner Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien sowie der Society for Multi-Ethnic Studies: Europe and the Americas, von seiner Jack-London-Biografie oder von der großen vierwöchigen Harvard Summer School mit 120 internationalen Doktorandinnen und Doktoranden, die im Juli 2022 vom Obama Institute ausgerichtet wird und bedeutende Gastredner wie die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller nach Mainz bringen wird. Hornung käme garantiert auf weitere spannende Themen. Die Amerikanistik ist offen und transdisziplinär kooperativ. Dafür stehen er und das Obama Institute mit all seinen Forscherinnen, Forschern, seinem Stab und seinen Studierenden.