Wie 700 junge Forscherinnen und Forscher Hummeln helfen

23. August 2022

Im Jahr 2021 startete die Arbeitsgruppe Didaktik der Biologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) das Projekt "Hummeln helfen! Rhein-Main". Es wird mit 350.000 Euro im Bundesprogramm "Biologische Vielfalt" unterstützt und hat bereits im zweiten Jahr seines Bestehens mehr als 700 Schülerinnen und Schüler erreicht.

Es ist ein nur wenige Zentimeter durchmessendes Röhrchen aus durchsichtigem Plastik. Ein engmaschiges Gitter verschließt die eine Öffnung, in die andere lässt sich ein Stopfen einführen, gepolstert durch weichen Schaumstoff. "Mit diesem Hilfsmittel können die Schülerinnen und Schüler recht gut eine Hummel fixieren, ohne sie zu verletzen", erklärt Laura Christ. "Dann wird das Tier durch das Gitter mit einem speziellen Stift gekennzeichnet und wieder freigelassen." Zeichenrohr nennt sich dieses einfache Instrument. "Wenn man hiermit eine Hummel fängt, spürt man ihre Vibration durch das Material hindurch. Das ist für die Kinder jedes Mal ein Erlebnis. Wir haben schon erlebt, dass sie zu siebt drumherum standen und fasziniert beobachteten, was passiert. Diese sinnliche Erfahrung, diese originale Begegnung mit der Hummel ist ein wichtiger Baustein unseres Projekts."

Marie Hahn, Dr. Inga Kostrzewa und Laura Christ haben eine Fülle an Material vor sich auf dem Tisch mitten im Botanischen Garten der JGU ausgebreitet. Dies ist ein passendes Ambiente, um das Projekt "Hummeln helfen! Rhein-Main" vorzustellen: Ein Baum bietet Schutz vor der Mittagssonne, darunter laden Gartenmöbel zum Verweilen ein. Nur ein paar Meter weiter macht sich ein rundes Dutzend schwarzglänzender Holzbienen über einige Sträucher mit blassen Blüten her. "So viele Exemplare habe ich noch nie auf einem Fleck gesehen", meint Hahn.

Samenmischungen, Bestimmungsfächer und mehr

Seit einigen Jahren ist viel vom Insektensterben die Rede. Im Jahr 2017 veröffentlichte der Entomologische Verein Krefeld beunruhigende Zahlen für Deutschland: Verglichen mit 1990 war die Masse der Insekten um 76 Prozent zurückgegangen. Weitere Studien bestätigten diesen Befund – auch im Ausland. Ganz besonders trifft es die seltenen Arten. Manche von ihnen könnten verschwinden. Noch allerdings gibt es in der Bundesrepublik allein rund 560 Wildbienenarten, 41 davon Hummeln. Doch viele sind bedroht. Unter anderem spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Bestäubung von Pflanzen. Im Botanischen Garten wurden übrigens an die 200 Arten registriert. Das ist außergewöhnlich für solch ein begrenztes Areal.

Das Projekt "Hummeln helfen!" wendet sich an Schulen im Rhein-Main Gebiet. "Hummeln sind die bekanntesten Vertreter der über 500 Bienenarten, die in Deutschland vorkommen", erklärt Kostrzewa. "Sie ist im Gegensatz zu vielen anderen Arten sehr beliebt. Deswegen haben wir sie für unser Projekt ausgewählt. Grundsätzlich geht es uns um alle Wildbienen. Unser Projekt ist auf Kinder der Jahrgangsstufen fünf bis acht zugeschnitten. Die Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert, ihr Schulgelände aufmerksam zu beobachten: Welche Pflanzen wachsen, welche Wildbienen fliegen?"

"Wir geben ihnen mit unserem Unterrichtsmaterial Grundlagen an die Hand", sagt Christ. "Die Schülerinnen und Schüler erfahren zum Beispiel etwas über Bestäuber und welche Pflanzen diese Insekten besuchen. Wir erklären auch, was man tun kann, um Wildbienen Nahrung zu bieten." Kleine Hochbeete helfen hier bereits. Dafür bietet das Projekt Samenmischungen von Blütenpflanzen aus der Region. "Außerdem stellen die BauHaus Werkstätten Wiesbaden spezielle Nisthilfen für uns her", erzählt Kostrzewa und zeigt ein Exemplar. Einzelne Elemente können vorsichtig herausgezogen werden, um die Wildbienen hinter einem Plexiglas-Schutz bei der Brutarbeit zu beobachten.

Christ zeigt einen Bestimmungsfächer für heimische Hummeln. Er enthält lose gebundene Blätter mit schematisch dargestellten Insektenkörpern, nach Farbmustern geordnet. Weist ein Tier etwa eine weiße Spitze des Hinterleibs auf, kommen nur die Exemplare auf den ersten sechs Seiten infrage. Von dort geht es weiter: Folgt ein schmaler gelber Streifen, dann wird es sich um eine Böhmische Hummel oder eine Kuckuckshummel handeln. Bei einem breiteren schwarzen und dann gelben Streifen wird es eine Helle oder Dunkle Erdhummel oder eine Gartenhummel sein. "Hummeln sind noch recht leicht zu bestimmen", meint Christ. "Bei Wildbienen allgemein wird es allerdings schwieriger." Doch auch dafür hält "Hummeln helfen!" einen Bestimmungsfächer bereit. Hauptverantwortlich für die Layouts und Illustrationen ist Christ – auch für das Design der Projekt-Website. Viviane Feitner, die als wissenschaftliche Hilfskraft in der AG Didaktik arbeitet, unterstützt sie dabei.

Projekt bietet Hilfen, lässt Freiheiten

"Hummeln helfen! Rhein-Main" ist noch jung. Das Projekt startete im Frühjahr 2021. Es konnte sich dabei auf einige Vorarbeit stützen: Die Arbeitsgruppe Didaktik der Biologie am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie (IOME) der JGU hatte unter Leitung von Prof. Dr. Daniel Dreesmann bereits ähnliche schulnahe Forschungs- und Entwicklungsprojekte ins Leben gerufen, darunter auch das von der UN-Dekade für Biologische Vielfalt ausgezeichnete Projekt "Hallo Hummel!". Besonders auf die Erfahrungen mit diesem Vorläufer konnten sich Laura Aporius, Dr. Anne-Kathrin Sieg und Laura Christ stützen, als sie mit der Arbeit an "Hummeln helfen! Rhein-Main" begannen. Hahn und Kostrzewa stießen dann etwas später hinzu.

"Wir werden für drei Jahre im Bundesprogramm 'Biologische Vielfalt' durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz unterstützt", erzählt Hahn. Das Bundesamt stellt die stolze Summe von rund 350.000 Euro zur Verfügung. Hahn hat weitere beeindruckende Zahlen parat: "Im Schuljahr 2021/2022 nehmen 13 Schulen unter anderem aus Mainz, Wiesbaden, Frankfurt, Ingelheim und Bingen an 'Hummeln helfen!' teil. Mit 29 Lerngruppen erreichen wir mehr als 700 Schülerinnen und Schüler."

Das Projekt bietet keine fertigen Unterrichtseinheiten, kein festes Korsett, sondern lässt Freiheiten. "Interessierte Lehrkräfte können sich in einem Workshop orientieren und sie erhalten natürlich unser Material", sagt Christ. "Wir kommen auf Wunsch auch zu einem Monitoring-Termin vorbei. Ansonsten sind die Gruppen auf sich gestellt." Das funktioniert sehr gut. "Meist beginnt es mit einer einzelnen Klasse an einer Schule. Aber wenn andere sehen, was da passiert, ziehen sie schnell nach", erzählt Hahn.

Im Kern geht es darum, den Ist-Zustand auf dem jeweiligen Schulgelände zu erfassen: Ein Begleitheft bietet Raum, um Pläne zu zeichnen, Pflanzenarten zu identifizieren, Wildbienen zu zählen und zu bestimmen. "Die Schülerinnen und Schüler forschen selbst und über uns geben sie die Ergebnisse ihrer Hummelzählung an die lokalen Naturschutzbehörden weiter", erläutert Kostrzewa. "Dies war übrigens die Bedingung, um eine Genehmigung für das Fangen und Kennzeichnen der Tiere zu bekommen." In einem nächsten Schritt überlegen die Klassen, wie sie auf ihrem Schulgelände die Bedingungen für Wildbienen verbessern können. "Hummeln helfen!" endet allerdings nicht am Schultor: All dies lässt sich selbstverständlich auch auf das eigene Zuhause übertragen.

"Hummeln helfen!" soll kräftig wachsen

Mittlerweile hat das Projekt zwei weitere Partner gefunden: Im Wiesbadener Tier- und Pflanzenpark Fasanerie sind im Rahmen eines Insektenlehrpfads ein Wildbienengarten und eine Hummelwiese mit regionalem Saatgut entstanden. "Wir können beides als außerschulischen Lernort nutzen", erzählt Hahn. "Das hilft, wenn zum Beispiel ein Schulhof völlig zubetoniert ist." Der Wiesbadener Umweltladen ist ebenfalls mit im Boot: "Dort wird von Februar bis April 2023 eine Ausstellung zu sehen sein, die unsere Schülerinnen und Schüler selbst gestalten." Auch für Mainz und Darmstadt plant das Projektteam entsprechende Aktivitäten, um die Öffentlichkeit zu informieren.

"Gerade überlegen wir, 'Hummeln helfen!' auch für höhere Jahrgänge anzubieten", ergänzt Kostrzewa. "Dort könnte der wissenschaftliche Aspekt eine noch größere Rolle spielen." – "Ein bisschen träumen wir außerdem davon, Schulen außerhalb des Rhein-Main-Gebiets zu erreichen", fährt Hahn fort. In jedem Fall sollte das Projekt nach Ende des Förderzeitraums weiterbestehen, da sind sich alle Beteiligten einig. Doch nun steht erst einmal ein weiteres Schuljahr an. "Dafür nehmen wir gern noch Bewerbungen entgegen." Es soll brummen auf den Pausenhöfen: vielstimmig, nachhaltig – und selbstverständlich begleitet von forschenden Schülerinnen und Schülern.