Kirche in der Kritik

26. Februar 2013

Die katholische Kirche kommt nicht aus den Schlagzeilen, die noch dazu überwiegend negativ sind: Die Debatten um die "Pille danach", um Missbrauch und um das Arbeitsrecht im Kirchendienst schlagen hohe Wogen, die Stimmung ist aufgeladen, radikale Positionen drängen sich in den Vordergrund. Prof. Dr. Stephan Goertz, Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), bezieht Stellung.

Eben war noch der Südwestrundfunk zu Besuch. "Im Moment gibt es viele Anfragen der Medien", erzählt Prof. Dr. Stephan Goertz. Gerade erst tagten die deutschen Bischöfe in Trier. Es ging darum, dass die "Pille danach" vergewaltigten Frauen an katholischen Krankenhäusern verweigert wurde, aber auch um den überraschenden Rücktritt des Papstes.

Die Medien stürzen sich auf solche Themen und der Professor für Moraltheologie ist bereit, Rede und Antwort zu stehen. "Auch wenn das ein zwiespältiges Gefühl ist", räumt er ein. "Von so einem Gespräch werden vielleicht zehn Sekunden gesendet und man weiß nicht, welche zehn Sekunden. Da muss man genau formulieren."

"Fluchtpunkt Fundamentalismus?"

Auf dem Tisch in seinem Büro liegt ein Buch, das auch die aktuellen Fragen rund um die katholische Kirche berührt: "Fluchtpunkt Fundamentalismus?" steht auf dem Einband des 560 Seiten schweren theologischen Sammelbands, den Goertz mit herausgegeben hat. Das Werk ist dem Münsteraner Moraltheologen Prof. DDr. Antonio Autiero gewidmet, an dessen Seminar für Moraltheologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Goertz einst arbeitete. Als Autor des Buchs konnte unter vielen anderen auch der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann gewonnen werden.

Keine Frage: In der katholischen Kirche gibt es fundamentalistische Strömungen. Besonders in der Diskussion um die "Pille danach" verschaffen sie sich in den Medien gewaltig Gehör. "Als Theologe steht man davor und ist schon ziemlich verärgert", meint Goertz, während er in einer Büroecke die Kaffeemaschine anwirft, um wenig später zwei dampfende Tassen neben das neue Buch zu stellen.

"Radikale Lebensschützerinnen sind in katholische Krankenhäuser gegangen, gaben vor, ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben und haben getestet: Bekommen wir ein Rezept für die 'Pille danach'? Dann haben sie die Krankenhäuser bei der Kirche denunziert, die die Pille herausgaben." Dieser Druck aus einem fundamentalistischen Sektor der Kirche macht dem Mainzer Moraltheologen Sorgen. "Es wäre fatal, wenn sich der Katholizismus von solchen Kräften in eine bestimmte Ecke drängen lassen würde."

Streit um die "Pille danach"

"Moral funktioniert nicht nach dem Schwarz-Weiß-Schema. Wir müssen die Grauzonen des Lebens in Rechnung stellen." Genau da sieht Goertz das Problem. Gewisse katholische Kreise ziehen sich angesichts einer pluralistischen Gesellschaft und ihren sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen in ein Schneckenhaus zurück. Diese antimoderne Haltung, geboren aus Verunsicherung, führt zur Verhärtung in moralischen Fragen, die nicht mehr der Lebenswirklichkeit gerecht wird.

So hätte für Goertz im viel diskutierten Fall der vergewaltigten Frauen, denen die "Pille danach" verweigert wurde, unbedingt die konkrete Situation der Frauen im Mittelpunkt stehen müssen. "Wir müssen ihnen helfen, müssen aufklären: Was kann man tun? Wie wirkt die 'Pille danach'? Es gibt keinen vernünftigen Grund, die 'Pille danach' als Verhütungsmittel zu verweigern. Eine ablehnende Haltung, die sich nur noch an Normen festklammert, nicht mehr das Schicksal der Menschen im Blick hat, ist nicht vertretbar."

Ökumene des Fundamentalismus

Fundamentalismus: Der Begriff führt zurück ins 19. Jahrhundert. Ursprünglich war er auf protestantische Strömungen in Amerika gemünzt, die sich strikt an die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift klammerten. "In den letzten 30 Jahren wird auch von Fundamentalismus in der katholischen Kirche geredet. Gemeint ist eine antimoderne Haltung, die sich vor allem gegen drei Aspekte wendet: die Gewissensfreiheit des Subjekts, die freie Reflexion der theologischen Wissenschaft und das moderne Geschlechterverhältnis." Dieser Fundamentalismus finde sich nicht nur in der katholischen Kirche, auch der Islam sei nicht frei davon. "Es gibt eine Ökumene des Fundamentalismus, eine Tendenz, antimodern zudenken."

Gegen diese Tendenz wendet sich Goertz entschieden. "Es muss eine Weiterentwicklung stattfinden. Es geht nicht darum, irgendeine Ordnung zu bewahren. Das alte Bild von der Schöpfung ist ein statisches. Aber Gott hat eine Welt geschaffen, in der Geschichte, in der Entwicklung stattfindet. Es ist die Aufgabe der Theologie, darüber nachzudenken, wie man die Botschaft der Evangelien in die jeweilige Gesellschaft transportiert."

Kirche und moderne Kultur

Der Moraltheologe gibt ein Beispiel: die Stellung der katholischen Kirche zur Homosexualität. Einst wurde Homosexualität als Sünde verdammt, im nächsten Schritt dann als Krankheit denunziert. Goertz fordert einen weiteren Schritt weg von der Abwertung und hin zur Homosexualität als Normvariante. "Diesen Schritt müssen wir gehen. Das gibt die Theologie her, aber noch ist die katholische Kirche nicht dazu bereit."

Die Auseinandersetzung in der katholischen Kirche voranzutreiben, darin sieht Goertz die Aufgabe der Theologen. Eine zentrale Frage müsse dabei immer wieder gestellt werden: "Wie verhält sich der Katholizismus zu den Werten einer modernen Kultur?" Wenn es etwa um die Rechte der Kinder oder um die Gleichberechtigung der Frau gehe, seien große Werte geschaffen worden. "Diese Dinge sind aber nicht durch die Kirche auf die Agenda gekommen. Gleichberechtigung, das ist immer noch eine Herausforderung für uns – übrigens auch für den Islam."

Dem Erbe der Aufklärung könne sich die Kirche längst nicht mehr entziehen. "Auch Religion hat sich der Kritik zu unterwerfen, wenn sie glaubwürdig sein will. In der heutigen Gesellschaft gibt es Standards, die für alle gelten. Die Menschen akzeptieren nicht mehr, wenn die Kirche da eine Ausnahmeregelung will. Zum Thema sexuelle Gewalt kann sie nicht mehr sagen: Wir regeln das intern."

Gegen eine menschenverachtende Moral

Die katholische Kirche müsse sich der modernen Welt weiter öffnen. "Die Herausforderung besteht darin, in einer pluralen Welt mit guten Gründen den eigenen Glauben zu leben." Die rückwärtsgewandten Kräfte seien da auf einem falschen Weg. "Gegen die menschenverachtende rigorose Moral ihres Fundamentalismus stellen wir den Freiheitsbegriff, die Autonomie des Menschen – und vor allem die Nächstenliebe: Dieses Prinzip steht über allem."

"Fundamentalismus braucht letztlich keine Theologen, keine Universitäten. Theologie produziert immer Fragen. Und wenn wir Theologen nicht mehr die Erlaubnis haben, Fragen zu stellen, wird es kritisch." Aber Goertz ist optimistisch: "Es gibt in der deutschen Kirche ein starkes Bekenntnis zur Universitätstheologie."

Jetzt wartet er darauf, wie die Kirche auf das neue Buch reagiert. "Da sind wir selbst gespannt", beschließt der Moraltheologe ein spannendes Gespräch.