Klage gegen Willkür und Wildwuchs

17. Juni 2013

Schon länger gibt es Kritik am Länderfinanzausgleich. Unzeitgemäß sei er, reformbedürftig und rechtswidrig. Das sieht auch der Mainzer Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hanno Kube so. Im Auftrag der Länder Bayern und Hessen hat er an einer Klageschrift mitgearbeitet, die seit März 2013 beim Bundesverfassungsgericht liegt.

In seinem Büro wirkt alles wohlgeordnet. Vor dem Fenster stapeln sich akkurat verschiedenste Unterlagen. „Ich bin ein Freund von Klarsichthüllen“, meint Prof. Dr. Hanno Kube lächelnd. Jedes Thema ist separat eingetütet. Klarheit herrscht vor, auch im anstehenden Gespräch ...

Es geht um die aktuelle Klage gegen den Länderfinanzausgleich. Kube, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht, Finanz- und Steuerrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), hat sie gemeinsam mit dem Tübinger Juristen Prof. Dr. Christian Seiler und dem Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Lars P. Feld, einem der fünf Wirtschaftsweisen, beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Auftraggeber waren Bayern und Hessen, zwei der drei großen Geberländer in einem komplexen System, das über die Jahrzehnte gewachsen, vielleicht sogar gewuchert ist.

"Allein Bayern zahlt mit rund drei Milliarden Euro beinahe die Hälfte des Finanzausgleichs", skizziert Kube die gegenwärtige Lage. "Berlin wiederum bekommt etwa drei Milliarden Euro." Die Geberländer suchten schon lange das Gespräch, doch ihre Position sei schwierig, schließlich befänden sie sich gegenüber den Nehmerländern in der Minderheit – und die zeigten wenig Interesse, etwas zu ändern. Auf politischem Weg sei da also wenig zu machen.

Wahlkampf und Ungeduld

"Die Geberländer haben nun die Geduld verloren", so Kube. "Aber sicher hat der Zeitpunkt der Klage etwas mit Wahlkampf zu tun", räumt er ein. Im Herbst steht nicht nur die Bundestagswahl an, Bayern und Hessen wählen auch einen neuen Landtag. Dass dadurch die Klage mehr Aufmerksamkeit bekommt, ist Kube durchaus recht. Zugleich betont er: "Ich positioniere mich hier als Verfassungsrechtler, nicht als Politiker. Ich will für das Recht eintreten." Und das werde im Moment verletzt.

Die Schrift der drei Professoren zielt vor allem auf den Länderfinanzausgleich im engeren Sinn, der als dritte Stufe eingebettet ist in ein viergliedriges finanzielles Ausgleichssystem zwischen Bund und Ländern, den bundesstaatlichen Finanzausgleich. Es geht auf dieser dritten Stufe um knapp sieben Milliarden Euro im Jahr, die von den wirtschaftlich stärkeren zu den wirtschaftlich schwächeren Ländern fließen sollten.

"Es ist ganz wichtig, auf welcher Grundlage diese Ausgleichszahlungen berechnet werden", steuert Kube gleich auf den zentralen Punkt zu. "Ein Problem dabei ist die Einwohnerveredelung." Die Bevölkerung eines Bundeslandes als Größe in die Berechnung einzubeziehen, sei sinnvoll. Jedoch: "In den Stadtstaatenwertungen wird die Einwohnerzahl derzeit mal 1,35 genommen." So wird sie rechnerisch aufgebläht. Das hat Folgen: Der Stadtstaat steht plötzlich ärmer da.

Privilegien für Stadtstaaten

"Dieses Stadtstaatenprivileg wird mit der Annahme begründet, dass Ballungszentren besonders hohe Ausgaben haben." Doch das sei durchaus zu bezweifeln. "Ein Ballungszentrum wie Hamburg etwa hat ein sehr hohes Bruttosozialprodukt." Dennoch wurde die Hansestadt – durch das Stadtstaatenprivileg "arm gerechnet" – vorübergehend zum Nehmerland.

Kube ist klar, dass Einwohnerzahlen unter Umständen modifiziert werden müssen. "Etwa dann, wenn es in einer Region viele Sozialhilfe- und Rentenempfänger gibt." Aber mit dem Stadtstaatenprivileg hadert er: "Auch andere Bundesländer haben schließlich Ballungsgebiete", nennt er ein weiteres Argument. "Das wird nicht berücksichtigt."

Schon 1999 hatte das Bundesverfassungsgericht angemahnt, dass die Errechnung des Länderfinanzausgleichs durchsichtiger werden müsse. "Gerade weil die Verfassung hier relativ viel Spielraum lässt, müssen die Entscheidungen in diesem Freiraum nachvollziehbar sein." Das sei aber nicht der Fall. Der Faktor 1,35 sei eine mehr oder willkürlich gesetzte Größe. "Die empirische Grundlage dieser Einwohnergewichtung ist nicht zu erkennen."

Zukunft des Finanzausgleichs

Zudem verstoße sie gegen eine weitere Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts: "Die Finanzkraft-Reihenfolge der Länder darf nicht verändert werden." Es sei zwar erlaubt, den Abstand in dieser Rangliste zu modifizieren. "Aber die bestehende Einwohnergewichtung verändert tatsächlich die Reihenfolge. Das führt zu Verzerrungen."

Nun übt Kube nicht nur Kritik an der dritten Stufe im Ausgleichssystem zwischen Bund und Ländern. "Wenn wir an die Zukunft denken, müssen wir alle vier Stufen des Finanzausgleichs überprüfen." Genau das hat er gemeinsam mit dem Wirtschaftsweisen Lars P. Feld in einem Gutachten getan. Bevor Kube zur Erläuterung ausholt, warnt er: "Das wird jetzt etwas technisch."

Vereinfacht zusammengefasst geht es um die Abschaffung des Umsatzsteuervorausgleichs in der zweiten Stufe, um die Kappung merkwürdiger Auswüchse in den Sonderergänzungszuweisungen der vierten Stufe. "Und darum, dass wir bei unseren Berechnungen weniger von den Ist-Ausgaben eines Landes ausgehen, sondern davon, was für Ressourcen ein Land hat." Wenn Berlin sich etwa kostenlose Kita-Plätze leiste, sei das Sache der Hauptstadt, der Bund habe da nicht reinzureden. Entscheidend sei nur, dass die Hauptstadt auch die Verantwortung dafür trage.

Politik und Wissenschaft

Kube stellt klar: "Es geht nicht darum, den Länderfinanzausgleich abzuschaffen. Ich denke, er ist wichtig, gerade auf der dritten Stufe. Dort stärkt er die Gemeinschaft der Länder dem Bund gegenüber.“ Doch eine Neukalibrierung des Systems sei dringend nötig. Darauf ziele die Klage für Karlsruhe.

Themenfelder von politischer Brisanz beackert Kube des Öfteren. So hat er kürzlich für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ein Gutachten über die gerade lebhaft diskutierten Neuerungen zur Vermögenssteuer erarbeitet, das mit den Ideen von SPD und Grünen hart ins Gericht geht.

"Wenn ich ein Gutachten erstelle, setze ich immer auch mein eigenes Renommee aufs Spiel", meint er dazu. "Wenn man also in so ein Gutachten schaut, muss klar erkennbar sein, dass hier der Wissenschaftler schreibt." Es gehe ihm darum, komplexe Sachverhalte mit Gesetzesinhalten abzugleichen, nicht um tönende Slogans für irgendeinen Wahlkampf. "Man darf sich da nicht von der Politik vereinnahmen lassen", stellt Kube klar.