Der Schnappschuss vom Universum

9. Mai 2014

Der 15. Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur wendet sich am zweiten Abend seiner Vorlesungsreihe "Vom Urknall zur Dunklen Materie – Eine Zeitreise durch das Universum" der kosmischen Hintergrundstrahlung zu. Dafür schaut Prof. Dr. Christof Wetterich auf die äußere Kugelschale des sichtbaren Kosmos und erklärt die Strukturen, aus denen Sonnen, Galaxien und vieles mehr entstanden.

"Und es werde Licht." Stiftungsprofessor Christof Wetterich zitiert die Bibel und blickt als Astrophysiker auf den berühmten Satz. "So falsch ist er gar nicht. Es gab wirklich im Universum einen Zeitpunkt, da wurde es Licht. In fast allen Schöpfungsmythen geht es um die Erschaffung des Lichts. Nun schauen wir uns mal an, wie das Licht wirklich entstanden ist."

Auch zum zweiten Abend mit dem Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessor ist der größte Hörsaal der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wieder übervoll. Das Thema des Heidelberger Physikers interessiert offensichtlich sehr: "Vom Urknall zur Dunklen Energie – Eine Zeitreise durch das Universum" steht auf dem Programm im Sommersemester 2014 und viele wollen mitreisen.

"Und es werde Licht: die kosmische Hintergrundstrahlung" betitelt Wetterich sein zweites Kapitel. Im Grunde geht es ihm diesmal nur um ein einziges Bild, das aber einiges – wenn nicht alles – erklärt. "Es ist ein Schnappschuss vom Universum 400.000 Jahre nach dem Urknall. Die Kameras, die das aufgenommen haben, waren unsere Satelliten."

Eine Karte des Kosmos

Die Aufnahme erinnert sehr an eine grobkörnige Karte der Welt. Viel Blau ist zu sehen. Hier und da konzentrieren sich Gelbtöne, die schon mal ins Rote hinüberfließen. Eine Struktur sieht von den Umrissen her ein wenig aus wie Amerika, eine andere wirkt wie eine Inselgruppe im Meer.

So also sah das Universum 400.000 Jahre nach dem Urknall und rund 13,8 Milliarden Jahre vor unserer Zeitrechnung aus. Weiter zurückzuschauen ist schwierig, da gab es noch kein Licht, dass es ermöglicht hätte, sich ein Bild zu machen.

"Was ist Licht?", fragt Wetterich. Lange Zeit tobte der Streit: Ist es eine Welle? Besteht es aus kleinen Teilchen? "Es stimmt beides. Es ist eine Frage der Sichtweise." Der Physiker schaut auf die Teilchen: Photonen bewegen sich auf geraden Bahnen und ergeben so für das Auge ein Bild. "Sie können aber auch gestreut werden, etwa durch eine Wolke. Die Wassertröpfchen lenken sie ab. Dadurch wird die Wolke undurchsichtig." Dann kommt kein Bild an.

Photonen-Pingpong

Ähnlich war es in den ersten 400.000 Jahren nach dem Urknall. Das Universum bestand aus heißem Plasma. "Elektronen und Atomkerne waren getrennt. Da waren viele Ladungen unterwegs." Diese Ladungen spielten gewissermaßen Pingpong mit den Photonen. Das Plasma blieb undurchsichtig. Erst als das Universum abkühlte, verbanden sich Atomkerne und Elektronen. Nun wurde das Licht nicht mehr abgelenkt, die Photonen flogen einen geraden Weg: Es wurde Licht. Der erste Schnappschuss des Universums war möglich.

"Wozu ist das Licht so wichtig?", fragt Wetterich und liefert gleich die Antwort: "Es ist eine ganz zentrale Beobachtung für unser Verständnis des Universums. Die Einstein'schen Gleichungen haben vorhergesagt, dass es im frühen Universum ein heißes Plasma gegeben haben muss." Diese Formeln ergaben auch, dass sich das Universum ausdehnt. "Einstein ging das gegen den Strich." Der große Physiker wollte am überkommenen Bild eines statischen Universums festhalten, musste sich aber letztendlich eines Besseren belehren lassen. Weil es eben ein Bild gibt, vom Licht möglich gemacht.

Nun allerding räumt Wetterich ein: "Es ist gar nicht so sicher, dass das Universum sich ausdehnt. Es könnte auch sein, dass die Atome im Laufe der Zeit größer geworden sind." Mit dieser Theorie hat er einiges Aufsehen erregt. Für die Vorlesung aber wiegelt er vorerst ab. "Was bleibt: Wir wissen, dass sich der Abstand der Galaxien gemessen am Atomdurchmesser vergrößert." Ein wenig ist es wie mit der Frage, ob Licht Welle oder Teilchen ist: Es kommt auf den Blickwinkel an.

Gravitation und Kapitalismus

Der Blickwinkel des Menschen auf das Universum ist klar: Er schaut hinaus ins All und damit in die Vergangenheit. Sein äußerster Horizont ist eine Kugelschale, die kosmische Hintergrundstrahlung. Genau die zeigt der Schnappschuss der Satelliten. "Weiter kann der Mensch nicht in die Vergangenheit blicken. Alles, was innerhalb dieser Kugel ist, ist jünger."

Nun wendet sich Wetterich den Fluktuationen auf dem Schnappschuss zu, jenem Areal etwa, das ein wenig wie Amerika aussieht. "Was wir sehen, ist eine Temperaturkarte. Wo wir blau sehen, ist es kühler, im gelben Bereich ist es ein wenig wärmer. Es sind ganz kleine Unterschiede, aber sie sind da. Warum ist das so wichtig? Das sind die Keime, aus denen alle Strukturen im Universum geworden sind." Aus ihnen entstanden Sterne und Galaxien.

"Das Gesetz dahinter ist die Gravitation. Manchmal vergleiche ich das mit dem idealen Kapitalismus: Wenn Sie ein bisschen haben, kriegen sie ein bisschen mehr. Wenn Sie viel haben, kriegen Sie viel mehr. Wenn genug Masse da ist, wird alles eingesackt." Die etwas wärmeren Bereiche auf dem Schnappschuss zeigen eine höhere Energiedichte. Sie ziehen mehr Energie an, Ballungen entstehen, das Universum nimmt Gestalt an.

Messung statt Mythos

Die Astrophysiker schauen sich Winkel für Winkel in der Kugelschale an. "Wir bekommen so ein Winkelspektrum der Hintergrundstrahlung, die uns Details des Universums zeigt." Wetterich vergleicht das mit dem Frequenzspektrum eines Musikinstrument: Es gibt genau Auskunft über die Beschaffenheit des Instruments, ob Cello oder Flöte.

"Wir reden also nicht über Spekulationen, sondern über Dinge, die wir genau nachmessen können." Aus der Hintergrundstrahlung lassen sich viele Details zu den Eigenschaften des Universum ableiten: Etwa die grundlegende Tatsache, dass dieses Universum nur zu fünf Prozent aus Atomen, aber zu 25 Prozent aus Dunkler Materie und zu 70 Prozent aus Dunkler Energie besteht.

Darauf wird der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessor an den nächsten Abenden seiner Reihe eingehen. Er hat zudem prominente Gäste wie den Nobelpreisträger Prof. Frank Wilczek eingeladen, der über "Dark Matter" sprechen wird. Und Wetterich selbst wendet sich nach dem Licht einer ganz anderen Seite des Universums zu: "Dunkle Energie: ein kosmisches Rätsel" lautet der Titel seines nächsten Vortrags.