Ein großer Schatz wird immer kleiner

17. Juni 2014

Die Ausstellung "Sortenvielfalt! Schatzkammer der Kulturpflanzen" im Botanischen Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) widmet sich den Pflanzensorten, die der Mensch gezüchtet hat. Sie zeigt auf, welch lebenswichtige Rolle diese Pflanzen spielen und wodurch ihre Vielfalt bedroht ist.

Die Menschheit braucht Kulturpflanzen. Sie ist angewiesen auf all die verschiedenen Sorten an Getreide, Obst, Gemüse. "Der Mensch hat in den letzten 10.000 Jahren durch Züchtung Sorten hervorgebracht, die viel ertragreicher sind als ihre Vorläufer", erzählt Prof. Joachim W. Kadereit. "Zugleich ist die Weltbevölkerung enorm gewachsen, sodass ihre Ernährung mit den in der Natur vorkommenden Wildpflanzen undenkbar geworden ist."

Mit diesen Worten eröffnete der Direktor des Botanischen Gartens der JGU eine Ausstellung, die all jene Kulturpflanzen in den Mittelpunkt stellt, von denen der Mensch sich ernährt, die er als Schmuck in seine Blumenbeete pflanzt und aus denen er verschiedenste Produkte herstellt. Die Ausstellung "Sortenvielfalt! Schatzkammer der Kulturpflanzen" führt mit insgesamt zehn Stationen und Schautafeln durch den Botanischen Garten und die haben es in sich.

Um drei Aspekte geht es vor allem: Wie findet Züchtung statt? Welche Bedeutung hat die Sortenvielfalt der Nutzpflanzen? Wie sieht der rechtliche Rahmen für Kulturpflanzen aus?

Saatgutverordnung in der Kritik

Mit diesen Fragen beschäftigt sich nicht nur Ausstellung. Eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Vorträgen dreht sich in diesem Jahr um Sortenvielfalt. Auch das Sommerfest des Botanischen Garten, in dessen Rahmen die Ausstellung eröffnet wurde, spiegelte dieses Thema: Diverse Aussteller präsentierten heimische Sträucher, regionale Obstsorten und vieles mehr.

"Erst als wir begannen, uns genauer mit dem Thema zu beschäftigen, merkten wir, wie komplex es doch ist", sagt Dr. Ralf Omlor, der Kustos des Botanischen Gartens, der gemeinsam mit einem Team von Kolleginnen und Kollegen die Ausstellung konzipierte. "Unser Anstoß war die EU-Saatgutverordnung, die gerade reformiert werden soll." Dieses Regelwerk zur Benennung und zum Schutz von Sorten hat zu hitzigen Diskussionen weit über die EU-Gremien hinaus geführt. Züchter und Umweltverbände meldeten sich zu Wort und nach heftiger Kritik wurde ein erster Entwurf zur Neufassung im März 2014 gekippt.

"Gerade kleinere Züchter haben sich beklagt über die bestehenden Regeln und das geplante neue Verfahren. Wir haben den Eindruck, es ist wenig Wissen da." Das soll die Ausstellung ein Stück weit beheben, ohne dabei Partei zu ergreifen.

Sorten sind nicht nur vom Menschen gezüchtet, sie können ohne den Menschen nicht existieren. Sie bilden oft keine Samen und allein gelassen verschwinden sie wieder. "Sorten unterscheiden sich von Arten dadurch, dass sie genetisch viel eingeschränkter sind." Der Mensch hat sie auf bestimmte Eigenschaften hin gezüchtet. "Sie sind einförmiger und einheitlicher als Arten." Der Botaniker kennzeichnet die Sorte jeweils mit einfachen Anführungsstrichen.

Anspruchsvolle Zierpflanzen

Bei den Zierpflanzen werden gern Sorten gezüchtet, die den ganzen Sommer über blühen. Sie verschwenden keine Energie auf Samen und stecken alles in die Blüten. "Sie brauchen Dünger, Wasser, Pflege – und oft ist die Vermehrung aufwendig."

Die Ausstellung nennt als Beispiel Euphorbia hypericifolia 'Inneuphe'. Die Pflanze wurde von der Gensinger Firma Innovaplant gezüchtet. Durch Bestrahlung eines amerikanischen Unkrauts entstanden Mutationen. Unterschiedliche Varianten entwickelten sich, aus denen zuletzt die für Gartenfreunde attraktive 'Inneuphe' wurde, die nun unter dem wohlklingenden Namen "Diamond Frost" vermarktet wird.

"Eine Firma beantragt für solch eine Pflanze Sortenschutz", erklärt Omlor. "Sie hat dann das Recht, diese Pflanze 25 Jahre lang allein zu vermarkten. Das ist ein wichtiges Instrument, Pflanzenzüchten rentabel zu machen."

"Als Endkonsument hat man das Gefühl, man stellt sich blühende Natur hin", wirft Kadereit ein. "Tatsächlich steckt ein industrieller Prozess dahinter – mit großem Ressourcenverbrauch."

Sortenbereinigung in Deutschland

Bei der Züchtung in der Landwirtschaft sieht es im Kern nicht anders aus. Sorten müssen zugelassen werden. In Deutschland begann das in den 1930er-Jahren. "Man wollte damals sicherstellen, dass auf der begrenzten landwirtschaftlichen Fläche die optimalen Sorten gepflanzt werden", sagt Omlor. Die Folge war eine große Sortenbereinigung.

Gerade wenn es um Grundnahrungsmittel geht, ist die Zulassung einer Sorte strengen Kriterien unterworfen. Sie muss in irgendeiner Hinsicht – etwa im Ertrag oder in der Schädlingsresistenz – besser sein als die Konkurrenz. Auch bestehende Sorten werden regelmäßig einer Prüfung unterzogen. Die Kartoffel 'Linda' kullerte so zum Beispiel durch die Schlagzeilen, nachdem das Bundessortenamt ihren Anbau 2007 auslaufen lassen wollte.

Kommerziell angebaut werden darf also nur, was auch zugelassen ist. Dabei muss eine Sorte nach den Kriterien des Sortenschutzes in sich sehr einheitlich sein. "Das ist ein Problem für viele alte Sorten", erklärt Omlor, "denn sie weisen oft eine größere Vielfalt auf." So fallen sie durchs Raster. Das ist neben dem zwangsläufigen Ausscheiden weniger effizienter Sorten einer der Kritikpunkte an der EU-Saatgutverordnung: Vielfalt ist auf mehreren Ebenen gefährdet.

Der 'Mombacher Winter' wächst im Bauerngarten des Freundeskreises des Botanischen Gartens. Einst war er ein Star unter den Salaten. Er wurde im September gepflanzt und konnte bereits im Mai geerntet werden. "Von 1880 an wurde er in großem Stil angebaut", weiß Omlor.

Vielfalt in Gefahr

Die große Kälteresistenz machte den Salat attraktiv. Minus 20 Grad Celsius können die Pflanzen im Frühstadium wegstecken. "Der 'Mombacher Winter' ist kräftig im Geschmack, er hat ein festes Blatt." Und doch musste er weichen, als Salat aus Gewächshäusern, Salat aus Italien oder Spanien ihn vom Markt drängte. Heute ist er nicht mehr zugelassen. Der 'Mombacher Winter' darf nicht mehr gehandelt werden.

"Rund 75 Prozent aller Sorten sind in den letzten 100 Jahren verloren gegangen", ist auf einer der Schautafeln zu lesen. Omlor erklärt: "Zur Züchtung neuer Sorten brauchen wir die Sortenvielfalt. Eine erfolgreiche Züchtung ist nur möglich, wenn das Reservoir, auf das wir zurückgreifen können, groß genug ist."

Diese Zusammenhänge soll die Ausstellung "Sortenvielfalt! Schatzkammer der Kulturpflanzen" verdeutlichen. Sie zeigt dabei auch auf, was in privaten Gärten für die Artenvielfalt getan werden kann. "Den 'Mombacher Winter' etwa dürfen Sie pflanzen", ermutigt er Kustos des Botanischen Gartens. Nur der Handel ist verboten.

"Wir wollen auf komplexe Zusammenhänge aufmerksam machen", betont Omlor – und fordert auf: "Verfolgen Sie die weitere Entwicklung um die EU-Saatgutverordnung, denn diese Verordnung wird weitreichende Folgen für uns alle haben."