Wenn Schwingungen ins Leere gehen

10. Juli 2014

Wer nimmt sie schon wirklich wahr, die Kunst auf dem Campus? Die meisten gehen achtlos daran vorüber. Dabei würde sich ein Blick lohnen, denn hier haben sich bedeutende Künstler wie Gernot Rumpf, Lisel Metten oder Reinhold Petermann verewigt. Studierende am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wollen diese Werke nun wieder mehr in den Fokus von Studierenden und Lehrenden rücken.

Die Blaue Schwingung hat schon bessere Tage gesehen. Ihre einst strahlende Farbe ist verblasst. Ein Loch gibt den Blick frei in ihr Inneres. Dort liegen die herausgebrochenen Fragmente ihrer ramponierten Kunstharzhülle. Die Blaue Schwingung dient allenfalls noch als Schattenspender für gestresste Studierende – da geht es ihr nicht besser als ihren Geschwistern, der Kleinen und der Großen Roten Schwingung.

"Man kommt hierher, um zu arbeiten und zu studieren", sagt Dr. Klaus T. Weber vom Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft an der JGU. "Dass es Kunst bei uns auf dem Campus gibt, das nehmen die meisten gar nicht mehr wahr."

Petermanns Skulpturen

Deswegen hat Weber als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Kunstgeschichte ein Praxisseminar ins Leben gerufen, das sich genau mit dieser unbeachteten und oft vernachlässigten Kunst beschäftigt. 15 Studierende sind angetreten, um darauf aufmerksam zu machen, welche Schätze auf dem Gelände stehen. Sie wollen die Campus-Kunst nicht nur auf einer Internetseite zeigen, sondern am 14. Juli 2014 mit einem Aktionstag die Blicke auf einige ausgewählte Objekte lenken.

"In der Kunstgeschichte lehren wir, wie man Kunst vermittelt, wie man sie nach außen trägt und präsentiert", erzählt Weber. "Das können wir hier wunderbar einüben. Wie genau die Studierenden das tun wollen, haben sie selbst erarbeitet. Da habe ich ihnen freie Hand gelassen."

Am Anfang stand der Gang über den Campus, die Expedition zur Kunst, zu den Schwingungen etwa: 1975 wurden sie auf der Wiese vor der Muschel aufgestellt. Geschaffen hat sie der renommierte Mainzer Künstler Reinhold Petermann. "Sie wurden schon mehrfach repariert", meint Weber, "das sieht man an der Oberfläche." Dennoch wirken alle drei zurzeit reichlich mitgenommen. "Immerhin haben wir hier eine Beschriftung und das Datum der Errichtung. Das ist nicht bei allen Kunstwerken so."

Auftritt im Internet

Klar ist: Die Campus-Kunst braucht mehr Aufmerksamkeit, egal, von welcher Seite. Da bietet sich das Internet als modernes Medium an. Die Universitätssammlungen der JGU werden bereits auf einer eigenen Website vorgestellt. An dieses Projekt schloss sich das Seminar an und wird hier wird die Campus-Kunst zeigen.

"Wir haben uns in Arbeitsgruppen aufgeteilt", erzählt Lisa Schmid. "Meine Gruppe koordiniert zum Beispiel den Webauftritt." Gemeinsam mit drei weiteren Studierenden schaut sie vor allem, dass zu jedem Objekt ein Text erstellt wird. Das hört sich einfach an – ist es aber nicht. Das Aufspüren manch einer Hintergrundinformation geht schon in Richtung detektivisches Arbeiten.

Elena Haufe etwa forscht nach verschollener Kunst. In den Studierendenwohnheimen Inter I und Inter II waren einst ein Relief und eine besondere Treppenhausgestaltung zu bewundern. Doch nach den regen Um- und Neubautätigkeiten auf dem Campus sind diese beiden Objekte verschwunden. Haufe hat unter anderem beim Studierendenwerk nachgefragt. "Sie waren sehr kooperativ und hilfreich." Doch das Rätsel um die Kunst ließ sich noch nicht klären.

Bewusstsein schaffen

Weber stellt klar: "Wir wollen mit der Arbeit in diesem Seminar niemanden kritisieren. Wir wollen einfach ein Bewusstsein dafür schaffen, was es an Kunst auf dem Campus gibt." Er hofft, dass sich in der Folge auch der Umgang mit den Objekten sensibler gestaltet. "Wir müssen uns einfach fragen, ob wir noch einen Bezug zu dieser Kunst haben. Wenn wir das verneinen, wäre es auch denkbar, etwa Petermanns Skulpturen vor der Muschel zu entfernen. Das wäre vielleicht besser, als sie verrotten zu lassen."

Das Thema Kunst auf dem Campus treibt den Kunsthistoriker schon länger um. So veröffentlichte er im Jahr 2006 mit Studierenden eine Broschüre mit einer kleinen Auswahl zu den rund 40 Objekten auf dem Gutenberg-Campus. Für ihn sind sie auch ein Spiegel von Kunstströmungen über die Jahrzehnte. "Wir haben praktisch keine Kunst aus der Zeit vor den 1960er-Jahren auf dem Campus", bilanziert er. "Eine der wenigen Ausnahmen ist die Gutenbergbüste am Forum. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden aber viele Objekte aufgestellt, dann nochmals in den 1990ern und im letzten Jahrzehnt."

Auch der Kunst, die noch recht neu auf dem Campus ist, geht es nicht immer gut: "Gernot Rumpfs Plastiken am Haus Recht und Wirtschaft werden gern als Litfaßsäulen missbraucht und das Relief von Liesel Metten im Innern des Gebäudes ist teilweise durch eine Pförtnerloge verdeckt."

Aktionstag für die Kunst

Es gibt allerdings auch Lichtblicke – und zugleich einen Kulturwechsel in Sachen Kunstsponsoring. "Es fällt auf, dass in den letzten Jahren vermehrt Kunst für die Universität gestiftet wird, dass sie gar nicht mehr nur wie früher im Rahmen von Kunst am Bau entsteht." Der Botanische Garten mit seinen zahlreichen Skulpturen sei das Paradebeispiel. "Diese Kunst wird gut präsentiert und gepflegt. Zu ihr besteht ein Bezug."

Nun geht es darum, auch den anderen Objekten auf dem Campus wieder mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Was genau am Aktionstag mit der Kunst passiert, wollen die Studierenden noch nicht verraten. Auf jeden Fall aber werden sie an Verkaufsständen kulinarische Kleinigkeiten anbieten und so versuchen, eine gewisse Summe für die Kunst zusammenzubringen.

"Das Geld werden wir der Hochschulleitung übergeben", sagt Weber. "Es soll ein symbolischer Akt sein und einen Anstoß geben, damit darüber nachgedacht wird, wie man zur Kunst auf dem Campus steht. Wir wollen einfach aufmerksam machen."