Inklusion ausgeschlossen?

9. Februar 2015

Zum vierten Mal stellen Studierende des Studiengangs Bachelor of Education der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ihre Forschungsprojekte vor. Am Tag der Bachelorarbeit vermitteln sie Lehrenden und Studierenden, Lehrerinnen und Lehrern einen Eindruck von der Bandbreite an aktuellen Themen, mit denen sich die Bildungswissenschaften beschäftigen. Das JGU Magazin präsentiert eine der Arbeiten ausführlicher: Yolanda Kohl hat untersucht, was Lehrerinnen und Lehrer weltweit von inklusivem Unterricht halten.

Das Thema ihrer Bachelorarbeit treibt sie noch immer um: Die Diskussion um die Integration von Behinderten in den Schulunterricht ist in vollem Gange – und Yolanda Kohl diskutiert kräftig mit. "Wenn Sie sich umhören, wird Ihnen niemand sagen, dass er behinderte Menschen diskriminieren will. Integration ist wichtig, da sind sich alle einig. Aber wenn es darum geht, Behinderte in den regulären Schulunterricht einzubeziehen, sieht das plötzlich ganz anders aus." Auch unter Studierenden hörte Kohl skeptische Töne.

"Viele können sich einfach nicht vorstellen, dass so ein Unterricht funktioniert." Kohl kann das. "Ich beschäftige mich schon länger mit dem Thema. Ich habe unter anderem ein Seminar dazu belegt." Als Prof. Dr. Margarete Imhof dann eine Arbeitsgruppe zum Thema Inklusion einrichtete, war Kohl dabei. Aus dieser AG ging auch ihre Bachelorarbeit zur Fragestellung "Welche Faktoren haben Einfluss auf Einstellungen von Lehrkräften zu Inklusion?" hervor.

Erste Arbeitsgruppe zur Inklusion

Zum vierten Tag der Bachelorarbeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz präsentieren Studierende des Studiengangs Bachelor of Education ihre Arbeiten. Sie stellen ihre Ergebnisse in einer Posterpräsentation vor. Das Gutenberg Lehrkolleg (GLK), das Psychologische Institut, das Zentrum für Bildungs- und Hochschulforschung (ZBH) und das Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) der JGU organisieren den Tag.

Prof. Dr. Margarete Imhof, Sprecherin des ZBH und Professorin für Psychologie in den Bildungswissenschaften, sieht hier eine gute Gelegenheit, auf das hohe Niveau der Bachelorarbeiten aufmerksam zu machen. Jeder kann sich ein Bild davon machen, welche Themen in den Bildungswissenschaften aktuell sind.

"Unsere AG war eine der ersten an der JGU, die zu Inklusion arbeitete", erzählt Kohl. Die Studentin griff sich in ihrer Arbeit einen wichtigen Aspekt heraus: Sie wollte schauen, was Lehrkräfte über Inklusion denken. "Für Deutschland fand ich dazu gar nichts. In diesem Bereich sind wir in der Forschung 20 Jahre hintendran." Kohl durchforstete die Datenbank Web of Knowledge nach entsprechenden Studien weltweit und wurde fündig. "Ich fand Arbeiten aus Schottland und Ägypten, aus Norwegen und Australien." Sieben Studien nahm sie sich vor. "Sogar meine Betreuerin war überrascht, dass es doch so viele gab, die genau zu meinem Thema passen."

UN-Konvention gegen Diskriminierung

Kohl ging es nicht um die Einstellung von Lehrkräften allgemein, sondern speziell um die Ansichten von Lehrerinnen und Lehrern in den weiterbildenden Schulen, also dort, wo den Schülerinnen und Schülern einiges an Stoff zu vermitteln ist und wo Befürchtungen hochkommen, inwieweit das möglich sein wird mit behinderten Schülerinnen und Schülern in der Klasse.

Seit dem Jahr 2013 haben behinderte Kinder und Jugendliche in Deutschland ein Recht darauf, am regulären Unterricht teilzunehmen und in den Schulalltag einbezogen zu werden. Auch hier humpelt die Bundesrepublik dem Trend hinterher. "In Italien wird Inklusion schon seit den 1970ern praktiziert", sagt Kohl. Sie verweist auf die im Jahr 2009 verabschiedete UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen, in der sich die Unterzeichnerstaaten – und damit auch Deutschland – zu einem inklusiven Bildungssystem verpflichteten. "Die UN hob damals den Finger und sagte: Achtung, ihr müsst was unternehmen."

Doch wie stehen die Lehrerinnen und Lehrer zu diesem Fingerzeig? Viele sind mehr als skeptisch, das geht aus Untersuchungen hervor. "Ich denke, das liegt auch daran, dass die Medien vor allem Extremfälle aufgreifen. Viele stellen sich vor, dass sie Unterricht halten müssen in einer Klasse mit fünf, sechs, sieben Behinderten, die womöglich alle noch unterschiedliche, schwere Handicaps haben. Aber so wird die Praxis nicht aussehen. Da wir es eher um ein Kind gehen, das einbezogen werden soll." Schon hier könnten Vorbehalte über rein sachliche Informationen abgebaut werden.

Weiterbildung wirkt gegen Vorbehalte

In diese Richtung geht es weiter: Kohl arbeitete heraus, dass eine adäquate professionelle Fortbildung von Lehrkräften deren Einstellung zur Inklusion positiv beeinflusst. "Natürlich reicht es nicht, dass wir neue Kurse und Inhalte für Lehramtsstudierende anbieten, wir müssen uns auch um die Lehrer kümmern, die unterrichten – zumindest in einer Übergangszeit."

Denn besonders bei jenen, die auf eine lange Berufspraxis zurückschauen, sind die Vorbehalte groß. Auch das konnte Kohl feststellen. Ein Umdenken fällt diesen Pädagogen offensichtlich besonders schwer. Außerdem beeinflussen Erfahrungen mit Behinderten im persönlichen Umfeld und mit inklusivem Unterricht die Einstellung negativ. "Leider kann ich nur vermuten, warum das so ist", räumt Kohl ein. "Ich denke, diese Lehrkräfte haben selbst erfahren, welchen Aufwand es bedeuten kann, mit Behinderten umzugehen. Sie machen sich Sorgen, ob sie mit so einer Zusatzaufgabe das hohe Pensum ihres Lehrplans einhalten können."

Sie brauchen also kompetente Unterstützung, um mit der Situation, mit dem vermuteten Mehraufwand umgehen zu können. "Dafür ist es wichtig, dass sie Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen bekommen, vielleicht von einer Lehrkraft, die Erfahrungen aus einer Sonderschule mitbringt. Sie brauchen einen Ansprechpartner."

Thema bleibt akut

Kohl zieht in ihrer Arbeit ein knappes und sehr deutliches Fazit: "In Zukunft werden gezielte Schulungen beziehungsweise Aufklärungsmaßnahmen für Studierende und Lehrer unverzichtbar sein." Persönlich sieht sie in der Inklusion nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance: "Es heißt doch immer, wir sollen in der Schule soziale Kompetenzen vermitteln." Kinder verschiedenster Couleur sollen lernen, ohne Vorurteile und Diskriminierungen, ohne innere und äußere Barrieren miteinander umzugehen. Genau das könnte über die Inklusion eingeübt werden.

"Auf der einen Seite fordern wir, das wir mit behinderten Menschen genauso umgehen wie mit allen anderen, aber auf der anderen Seite soll das in der Schule keinen Platz haben." Das ist für Kohl absurd.

"Mich hat die Beschäftigung mit diesem Thema persönlich weitergebracht", meint die Studentin. Sie studiert Mathematik und Geografie auf Lehramt. In gar nicht so ferner Zukunft wird sie ihre Master-Arbeit beginnen. "Ich könnte mir vorstellen, eine Unterrichtsreihe zu entwickeln, in die ich Behinderte einbeziehe", so Kohl. Auf jeden Fall wird sie sich weiter mit dem Thema Inklusion beschäftigen, das hat sie vom ersten Satz an klar gemacht.