Eine Frage des Geldes

20. März 2015

Mit ihrem zweijährigen Modellprojekt "Ohne Geld geht gar nix…Jugendliche in der Konsumgesellschaft" beschritten Nataša Kranz-Kuljic, Nele Sieker und Dr. Andrea Braun vom Schuldnerfachberatungszentrum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ganz eigene Wege. Sie wandten sich an die Jugendlichen selbst, fragten nach deren Bedürfnissen und ließen sie von ihren Alltagserfahrungen erzählen.

Jugendliche können nicht mit Geld umgehen. Die Mobilfunkrechnung wächst ihnen über den Kopf. Das neue Smartphone können sie sich nicht leisten, aber sie müssen es haben, unbedingt. Und die Markenklamotten, klar, die müssen sein. Kein Wunder also, dass immer mehr Jugendliche in die Schuldenfalle tappen. Den wohlkalkulierten Reizen der Konsumgesellschaft haben sie nichts entgegenzusetzen.

"Das sind die Klischees, denen wir immer wieder begegnen, gerade in den Medien", berichtet Dr. Andrea Braun vom Arbeitsbereich Jugend und Schulden des Schuldnerfachberatungszentrums (SFZ) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Jugendliche konsumieren zu viel – und vor allem das Handy ist ein Problem.“ Aber stimmt das? "Es gibt nur wenige Untersuchungen zur Jugendverschuldung", betont Braun. "Da wurde bisher kaum geforscht."

Jugendliche im Blick

Also startete sie zusammen mit Nataša Kranz-Kuljic und Nele Sieker vom Arbeitsbereich Jugend und Schulden des am Institut für Erziehungswissenschaft der JGU angedockten SFZ das Projekt "Ohne Geld geht gar nix…Jugendliche in der Konsumgesellschaft", das nun nach zwei Jahren kurz vor dem Abschluss steht.

"Viele haben schon ihre eigenen Ideen, wenn sie sich mit Jugendverschuldung oder mit dem Thema Jugend und Geld beschäftigen", meint Kranz-Kuljic. "Sie haben einen vorgefertigten Themenkatalog parat." Die drei Pädagoginnen wählten einen anderen Ansatz. "Wir sind von den Jugendlichen selbst ausgegangen. Wir haben sie gefragt: Welche Bedeutung hat Geld für euch im Alltag? Welche Fragen habt ihr dazu?"

Sieker, Kranz-Kuljic und Braun arbeiteten mit drei Schulen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland zusammen: der internationalen Gesamtschule Heidelberg, der Berufsbildenden Schule Ingelheim und der Friedrich-Schiller-Schule Heusweiler. Gefördert wurde ihr Projekt von Herzenssache e.V., einer Kinderhilfsaktion des Südwestrundfunks, des Südfunks und der Sparda-Bank.

"Insgesamt nahmen 13 Klassen teil", erzählt Braun, "rund 260 Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 20 Jahren. In einem ersten Schritt wollten wir das Thema enttabuisieren: Über Geld spricht man nicht, über Schulden schon gar nicht. Aber genau darüber wollten wir mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen."

Viele Fragen zum Geld

Zum Einstieg brachten die Pädagoginnen die Fotoausstellung "Zwischen Mut und Verzweiflung" an die Schulen. Sie zeigt Porträts von Menschen, die aus der Anonymität heraustreten und sich als überschuldet outen. "Die Jugendlichen sollten sich Geschichten zu den Fotos überlegen", erzählt Sieker. Schnell waren Begriffe wie "alkoholabhängig" oder "spielsüchtig" zur Hand. Klar: Wer Schulden macht, muss einen Makel haben, eine Macke.

"Wir konfrontierten die Schüler dann mit den wahren Geschichten dieser Leute", erzählt Kranz-Kuljic. "Es war ein Aha-Erlebnis für sie, mit den eigenen Vorurteilen konfrontiert zu werden." Denn es braucht mitnichten eine Sucht oder Abhängigkeit, um in den Strudel der Überschuldung zu geraten.

"In unseren Gesprächen wurde klar, dass die Jugendlichen viele Fragen zum Thema Schulden und Geld haben", erzählt Braun. "Sie wollten zum Beispiel wissen, wie eine Bank funktioniert, oder welche Kosten auf sie zukommen, wenn sie aus dem Elternhaus ausziehen. Im Schulunterricht kommen solche Themen kaum vor." Über das Projekt konnten Aspekte wie diese nun bearbeitet werden.

Die Schüler erzählten von ihrem Alltag, von ihrem Umgang mit Geld. "Es stellte sich heraus, dass der Handykonsum gar keine herausragende Rolle spielt", sagt Kranz-Kuljic. Auch der pauschale und immer wieder gern tradierte Vorwurf, dass Jugendliche einfach zu viel kommunizieren, bestätigte sich nicht.

Freizeit und Entwicklung

"Sie brauchen Geld vor allem, um an jugendkulturellen Aktivitäten teilzunehmen, um Kontakte aufrechtzuerhalten", ergänzt Sieker. Das kann die Konzertkarte sein oder die Cola beim abendlichen Treffen. "Sie brauchen Geld für die Ablösung vom Elternhaus und für die soziale Teilhabe. Eine große Rolle spielt die Mobilität. Jugendliche sind viel unterwegs und müssen an Treffpunkte gelangen."

"Wir hatten den Eindruck, dass sich vieles in der Freizeitgestaltung nach außen verlagert", erklärt Kranz-Kuljic. "Jugendliche geben zum Beispiel an, Geld für Lebensmittel zu brauchen." Die Mahlzeit zu Hause ist out, das Essen mit Freunden – vielleicht im Fast-Food-Restaurant – ist in.

"Die Jugendlichen brauchen Geld, um grundsätzliche Entwicklungsaufgaben zu lösen, um sich etwa vom Elternhaus zu lösen, um neue Beziehungen zu knüpfen", sagt Braun. "Uns überraschte, dass wir bei vielen Jungs die sehr traditionelle Meinung hörten: Mädchen kosten Geld. Ich muss sie einladen, mit ihnen ausgehen." Ein Nebenjob sei für viele die Chance, sich hier die Handlungsmöglichkeiten zu verschaffen, die sie brauchen und möchten.

Die Pädagoginnen stießen nicht nur Diskussionen, sondern auch Aktionen an. So gründeten Heidelberger Jugendliche in einer schulischen Aktivwoche ihr eigenes Meinungsforschungsinstitut und befragten Mitschülerinnen und Mitschüler zum Thema Geld und Schulden. Außerdem entwarfen sie einen Stadtführer mit Tipps zu Aktivitäten, die mit wenig oder ganz ohne Geld möglich sind.

Folgeprojekt beantragt

In einem eigenen Handbuch stellen die drei Mainzer Pädagoginnen ihre praxiserprobten Methoden und Ansätze dar. Dieses im Netz frei verfügbare Methodenhandbuch soll nun helfen, mit Jugendlichen das Thema Geld und Schulden differenziert zu erkunden.

Zum Projektfinale luden Braun, Kranz-Kuljic und Sieker zu drei Veranstaltung ins Schuldnerfachberatungszentrum ein: Ein wissenschaftliches Expertengespräch gab Fachleuten
die Gelegenheit zum Austausch. Bei einem Fachtag stellten die drei ihre Grundgedanken und ihre Materialien einer Gruppe von Schuldnerberaterinnen und -beratern vor. Und beim Fachtag "Jugend, Geld und Schulden – Herausforderungen für die Praxis" kamen pädagogische Fachkräfte zu Wort. "Sie bestätigten unser komplexes Bild", sagt Braun. "Es gibt nicht den einen Faktor, der zur Verschuldung führen kann. Wir müssen auf viele Komponenten schauen."

Nun würden Sieker, Kranz-Kuljic und Braun ihr Projekt gern fortsetzen. "Wir wollen aus dem Schulbereich hinaus in die Jugendarbeit gehen, dabei aber unsere Kerngedanken beibehalten", so Sieker. Sie wollen also weiter mit den Jugendlichen sprechen und nicht so sehr über Jugendliche reden. "Das Folgeprojekt ist beantragt", erzählt Kranz-Kuljic. Nun heißt es warten. Ob die drei weitermachen können, ist vor allem eine Frage des Geldes. Aber das kennen sie ja schon – von den Jugendlichen.