Titel für den Feldwebel der Thomas-Mann-Forschung

17. März 2015

Der Fachbereich Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat seinen allerersten Ehrendoktortitel vergeben. Dekan Prof. Dr. Stephan Jolie ehrte damit Stephan Stachorski, einen der Herausgeber der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe der Werke Thomas Manns.

Noch sind die Stuhlreihen im großen Saal des Atrium maximum leer. Vorn am Klavier gehen Florian Küppers und Christian Rohrbach das musikalische Begleitprogramm des Abends durch, als Stephan Stachorski etwas gehetzt den Saal betritt. "Entschuldigen Sie vielmals, ich bin zu spät", meint er. Es sind nur wenige Minuten, aber er nimmt das genau. In einer knappen Stunde wird Stachorski hier die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erhalten. Zuvor bleibt ihm zum Glück ein wenig Zeit zu erzählen.

Ende der 1980er-Jahre kam Stachorski an die JGU. Es begann wenig vielversprechend. "Nach zwei Wochen Chemiestudium war ich todunglücklich", erinnert sich der 47-Jährige. "Dann nahm mich eine Freundin mit zu Professor Kurzke in das berühmte Proseminar 'Einführung in die Literaturwissenschaft'. Da war es um mich geschehen."

"Hochbegabt, blitzgescheit"

Die Chemie sollte eine solide Grundlage bilden für den späteren beruflichen Werdegang des Apothekersohns. Nun aber wechselte er mit fliegenden Fahnen zur Germanistik, zur Philosophie und zur Geschichte. "Am Wochenende würde ich das meinen Eltern verkünden müssen. Ich wusste, dass mir eine Auseinandersetzung bevorstand." Diese Auseinandersetzung überstand er offensichtlich.

"Ich hatte mir vorgenommen, für das Hauptstudium an eine andere Universität zu wechseln. Da kam Kurzke mit der Frage, ob ich mitarbeiten möchte an der sechsbändigen Ausgabe der Essays von Thomas Mann." Stachorski wurde zum gleichberechtigten Mitherausgeber dieses verlegerischen Großunternehmens, das zu einer noch größeren Unternehmung führen sollte: der auf 58 Bände angelegten Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe der Werke Thomas Manns.

"Hochbegabt, blitzgescheit und mit einem eisernen Gedächtnis versehen war er mir eminent nützlich", erinnert sich Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Kurzke gut eine Stunde später in seiner Laudatio auf Stachorski. "Ich griff ihn mir als Mitarbeiter, bevor es jemand anderes tun konnte." Bis zu seiner Emeritierung lehrte Kurzke als Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der JGU. Er gilt als einer der großen Thomas-Mann-Spezialisten.

"Stephan griff ein"

Von 1993 bis 1996 kümmerten sich Kurzke und Stachorski gemeinsam um die Essaybände. "Wir hatten eine klare Arbeitsaufteilung: Ich machte die Langstrecke und Stephan bekam einige schwere Nüsse zu knacken", erinnert sich Kurzke lächelnd.

Dann kam die Große kommentierte Frankfurter Ausgabe des S. Fischer Verlags. Es gab Termindruck: Hundert Jahre nach der Erstausgabe der "Buddenbrooks" sollte im Jahr 2001 pünktlich die kommentierte Ausgabe erscheinen. "Für den Kommentarband lagen damals mehrere Entwürfe vor", erzählt Kurzke. Dieses Sammelsurium sei zur Veröffentlichung kaum geeignet gewesen. "Stephan griff ein."

So blieb es im Kern: Stachorski griff immer wieder ein. "Unter den Herausgebern der Frankfurter Ausgabe waren viele Präsidenten", erzählt Kurzke, "Präsidenten, die mit Aufgaben überhäuft waren, die also jemanden brauchten." Allerdings war der so sehr gebrauchte junge Mitarbeiter nicht immer bequem. "Stephan ist nicht gut im Verschleiern und Übertünchen von Mängeln. Er kann da keine Ruhe geben." Viele Herausgeber hätten unter ihm gestöhnt. "Das Problem war: Er hatte immer recht."

Kurzke skizziert Stachorski als die treibende Kraft hinter dem Jahrhundertprojekt. "Man hat ihn den Feldwebel der Thomas-Mann-Forschung genannt, aber auch hinzugefügt: Ohne einen Feldwebel gewinnt man keinen Krieg." Viele der an die 1.000 Seiten starken Kommentarbände trügen vor allem Stachorskis Handschrift. Über 15 Jahre hinweg habe er Maßstäbe gesetzt.

"Fachbereich ehrt sich auch selbst"

Prof. Dr. Stephan Jolie sieht das ähnlich. Als Dekan des Fachbereichs Philosophie und Philologie der JGU ist es an ihm, die Ehrendoktorwürde zu verleihen. "Es ist der erste Ehrendoktor überhaupt, den unser Fachbereich vergibt." Diese außergewöhnliche Auszeichnung gehe an einen außergewöhnlichen Mann. "Wir ehren hier einen Wissenschaftler, dem die Philologie eine Vielzahl wegweisender Innovationen verdankt." Das sei aber nicht alles: "Der Fachbereich ehrt sich auch selbst, indem er darauf hinweist, dass Stephan Stachorski einer von uns ist."

Die feierliche Verleihung gerät zu einer sehr persönlichen Ehrung. Nichts ist hier zufällig. Natürlich sind viele Freunde, gute Bekannte und Weggefährten gekommen. Aber auch die beiden Musiker, die vorab schon probten, sind nicht einfach klingendes Beiwerk, Stachorski wünschte sie sich. "Ich habe Florian Küppers voriges Jahr in der Christuskirche in Mendelssohns 'Elias' gehört. Das war wunderbar."

Mit dem Vortrag "Teuflischer Verführer oder guter Arzt und Nachbar. Neues zum Fitelberg-Kapitel in Thomas Manns Roman 'Doktor Faustus'", bedankt sich Stachorski für die Ehrung. Er sondiert das vielschichtige Verhältnis des Dichters zum Judentum – und präsentiert in wenigen Minuten wie nebenher ein paar Schichten, die so noch niemand sondierte.

"Ich bin zutiefst dankbar und gerührt", schließt Dr. h.c. Stephan Stachorski seinen Dank. "Diese ganz, ganz große Auszeichnung wird dazu beitragen, dass Mainz immer meine akademische Heimat bleibt."