Misserfolge beflügeln die Wissenschaft

14. Februar 2012

Mit ihrem "Journal of Unsolved Questions" stießen Leonie Mück und Thomas Jagau 2011 in eine Marktlücke. Die beiden Doktoranden der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) waren erstaunt, welch positives Echo sie von verschiedensten Seiten für ihre Zeitschrift bekamen. Doch obwohl das Interesse groß ist, scheint die Zukunft ihres "Journals für ungelöste Fragen" ungewiss.

"Wir sind ganz schön weit gekommen dafür, dass uns am Anfang viele Leute belächelt haben", meint Leonie Mück nicht ohne Stolz. Gemeinsam mit Thomas Jagau rief sie voriges Jahr das "Journal of Unsolved Questions" (JUnQ) ins Leben, eine Zeitschrift, die sich gescheiterten Experimenten und offenen Fragen aus allen Feldern der Wissenschaft widmet. Die Idee entstand aus einer tiefen Überzeugung: Gerade aus Misserfolgen lässt sich viel lernen. Blätter wie Science oder Nature jedoch widmen sich ganz den Erfolgen. "Wenn wir nichts über die gescheiterte Forschung erfahren, laufen wir aber Gefahr, immer wieder dieselben Fehler zu machen", sagt Jagau.

Für ein Gespräch über ihre Zeitschrift haben sich die beiden einen leeren Hörsaal gesucht, denn so was wie ein Redaktionsbüro gibt es nicht. Eigentlich setzen Mück und Jagau gerade zum Endspurt auf ihrem Weg zum Doktor der Theoretischen Chemie an. Kommendes Jahr wollen sie fertig sein. Umso erstaunlicher, dass nebenher dennoch Zeit bleibt für ein Journal, das professionelle Standards erfüllt.

Wissenschaftler brauchen mehr Selbstironie

Auf 28 Seiten finden sich in einer JUnQ-Ausgabe je zwei Artikel, die zuvor von Fachleuten auf ihre Qualität geprüft werden. Hinzu kommen Berichte von Veranstaltungen oder Buchbesprechungen. "Außerdem haben wir die 'Fragen der Woche'", ergänzt Mück. "Unsere Artikel können schon sehr fachspezifisch sei, aber diese Fragen sprechen ein breites Publikum an." Sie beschäftigen sich mit so unterschiedlichen Problemen wie: "Ist es wahr, dass Blähungen bei männlichen Säuglingen häufiger sind?", "Täuschen weibliche Bonobos den Orgasmus vor?" oder "Wie werden Erinnerungen gespeichert und abgerufen?" Humor spielt zwar nicht die erste Geige bei JUnQ, aber Jagaus Credo lässt schon Platz für ein Augenzwinkern: "Wissenschaftler brauchen mehr Selbstironie", meint der 25-Jährige, "aber Wissenschaftler sollten auch ernsthafter bei der Arbeit sein." Dazu passt das Thema der gerade erschienenen dritten Ausgabe: "Honesty in Science." Mück betont: "Wir kamen noch vor Guttenberg darauf."

Den Grundstein zu JUnQ legten die beiden bei einem Workshop der Graduiertenschule "Materials Science in Mainz" (MAINZ). "Es ging darum, Businessideen zu entwickeln", erinnert sich Mück. "Unser Projekt war das einzige, das verwirklicht wurde", betont die 26-Jährige. "Die erste Ausgabe haben wir noch mit Beiträgen von Bekannten bestückt", sagt Jagau. Mittlerweile müssen sie auswählen, welche der eingeschickten Manuskripte sie veröffentlichen. Die Auflage von JUnQ ist klein, 250 Hefte werden mit Mitteln der Graduiertenschule finanziert, doch die Zeitschrift wird vor allem im Internet gelesen.

JUnQ auf Erfolgskurs

"Finanziell hat uns das Journal keine Vorteile gebracht", stellt Mück klar, "aber wir haben unheimlich viele Kontakte geknüpft." So wurde JUnQ Netzwerkpartner der Berliner "Falling Walls Conference" und der Radiosender detektor.fm kooperiert mit dem Blatt. Mück erinnert sich zudem, wie nach einer Podiumsdiskussion Peter Görlitz, Chefredakteur des Fachblatts "Angewandte Chemie", auf die beiden zukam und sich sehr angetan zeigte vom Projekt. Egal von welcher Seite, das Echo blieb durchweg positiv: Mück und Jagau konnten stellvertretend für JUnQ einen Leitartikel in "Nachrichten aus der Chemie" unterbringen und ihre Zeitschrift wurde im April 2011 vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft mit der "Hochschulperle des Monats" ausgezeichnet.

Scheitert die Zeitschrift vom Scheitern?

Dennoch ist die Stimmung nicht ungetrübt. "Die nächste Ausgabe wird auf jeden Fall noch erscheinen", verspricht Jagau. Aber danach? Die beiden werden in absehbarer Zeit ihre Doktorarbeit abschließen; ob sie dann weiterhin Zeit für JUnQ haben werden, ist zweifelhaft. Zwar sind sie dabei, einen Verein zu gründen, aber ob der die Zeitschrift trägt? "Es stimmt schon, das Echo ist sehr positiv. Aber es ist noch mal ein großer Schritt, selbst Arbeit in so ein Journal zu stecken", gibt Jagau zu bedenken. "Vielleicht engagiert sich ja die Graduiertenschule oder die Universität", hofft Mück. Ansonsten könnte womöglich bald Schluss sein mit dem erfrischenden Blick auf die Misserfolge der Wissenschaft, JUnQ könnte selbst scheitern.