Eine Revolution auf dem Feld der Immunabwehr

14. Juli 2015

Es geht um einen neu entdeckten Zelltyp, der ein neues Forschungsfeld öffnet: Die ILCs oder "innate lymphoid cells" sind zentraler Baustein des angeborenen menschlichen Immunsystems, dessen genaue Funktion noch viele Fragen aufwirft. Dr. Georg Gasteiger und sein Team begeben sich am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsmedizin Mainz auf die Suche nach Antworten.

Noch steht ein Stapel Umzugskartons in seinem Büro und auch nebenan im Labor türmen sich die Kisten. "Unsere Geräte werden gerade erst geliefert", erzählt Dr. Georg Gasteiger. "Heute kamen unsere Pipetten." Vieles fehlt noch. Das kleinere Zellkulturlabor etwa wirkt noch ein wenig wie eine Baustelle. "Im Moment arbeiten wir ein Stockwerk höher", erklärt der Mediziner.

Im Frühjahr 2015 ist Gasteiger aus New York an die Universitätsmedizin Mainz gekommen. Hier soll er eine Nachwuchsforschergruppe aufbauen, die sich mit einem Zelltyp beschäftigt, der erst vor ein paar Jahren entdeckt wurde: mit den ILCs oder "innate lymphoid cells".

Missing Link im System

"Ihre Entdeckung war schon eine kleine Revolution. Sie sind so eine Art Missing Link in unserem Immunsystem." Gasteiger ist überzeugt von der außerordentlichen Bedeutung dieser Lymphozyten. Viele Vorgänge in der Immunabwehr, die den Fachleuten bisher Rätsel aufgeben, könnten durch das Wirken der ILCs erklärt werden. "In nächster Zeit werden wir wohl manche Dinge in unseren Lehrbüchern umschreiben müssen."

Gasteigers Projekt wird durch das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Rund 1,5 Millionen Euro stehen ihm in den kommenden fünf Jahren zur Verfügung. "Das gibt uns eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit."

Den Standort Mainz hat Gasteiger sehr bewusst gewählt. Seine Nachwuchsforschergruppe ist am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsmedizin Mainz angesiedelt. Zu dessen Leiter, Prof. Dr. Andreas Diefenbach, meint der 38-Jährige: "Er ist eine internationale Koryphäe auf unserem neuen Feld. Es gibt nur drei, vier Gruppen, die derzeit weltweit dominierend sind. Seine gehört dazu."

Mainz in Aufbruchsstimmung

Doch nicht nur das brachte Gasteiger nach Mainz. "Hier gibt es ein hervorragendes wissenschaftliches Umfeld im Bereich der Immunologie und es herrscht Aufbruchsstimmung. In zwei Jahren wird das Paul-Klein-Zentrum für Immunintervention fertig sein. Dort wird ein Großteil der immunologischen Forschung der Universitätsmedizin einziehen." Schon jetzt sei die Arbeit geprägt vom Austausch der einzelnen Gruppen und Institutionen.

Diese Atmosphäre ist Gasteiger wichtig. Er baut auf enge Kontakte zum Forschungszentrum für Immuntherapie und zum Institut für Immunologie, zum Institut für Molekulare Medizin, zum Institut für Translationale Immunologie, zum Zentrum für Thrombose und Hämostase sowie zur Virologie, Dermatologie, zur Neuroimmunologie und zu vielen weiteren Stellen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Meine erste Zeit habe ich vor allem damit verbracht, mich und meine Forschung den Kolleginnen und Kollegen vorzustellen, und dabei viele motivierende Gespräche geführt."

In dieser Forschung geht es um das Wechselspiel von angeborenem und erworbenem Immunsystem. "Das erworbene Immunsystem ist eigentlich jedem ein Begriff. Wir kennen es zum Beispiel von Impfungen her." Mobile Abwehrzellen werden im Körper quasi nach Bedarf produziert. Sie wehren Viren oder Bakterien ab. Jede dieser Zellen wirkt spezifisch auf einen bestimmten Eindringling.

"Neben dieser erworbenen Immunabwehr gibt es aber auch ein angeborenes System. Einen relevanten Teil davon, die ILCs, kannte man bis vor Kurzem nicht. Sie sind nicht Antigen-spezifisch, sondern können verschiedenste Funktionen übernehmen. Wir sehen sowohl Parallelen als auch fundamentale Unterschiede zum erworbenen System." Die ILCs entstehen wahrscheinlich kurz nach der Geburt und verteilen sich über den gesamten Körper. "Dabei können sie im Darm ganz anders aussehen als in der Leber oder in der Haut." Zahlenmäßig sind die ILCs den mobilen Abwehrzellen in manchen Organen weit überlegen.

Gutes erhalten, Schlechtes bekämpfen

Gasteiger holt ein wenig aus. "Unser Immunsystem ist ein riesiges Organ, das alle anderen Organe durchdringt." Die Arbeit dieses Organs ist komplex. "Etwa 90 Prozent der Zellen in unserem Körper sind nicht wirklich wir. Da sind zum Beispiel die Bakterien im Darm, die uns bei der Verdauung helfen. Eine wichtige Aufgabe des Immunsystems ist es, diese Zellen als Symbionten leben zu lassen. Gutes muss erhalten bleiben, Schlechtes muss bekämpft werden." Gefährliche Erreger und nützliche Helfer müssen also unterschieden werden. Das funktioniert nicht immer: Bei einer Allergie etwa werden harmlose Stoffe als gefährlich identifiziert. Und Tumore können Abwehrzellen umprogrammieren, sodass diese sie tolerieren oder sogar unterstützen.

"Wahrscheinlich ergänzen und regulieren sich die Zellen des erworbenen und des angeborenen Immunsystems gegenseitig. Sie kommunizieren miteinander. Wenn das schiefgeht, kann es zu einem echten Teufelskreis führen."

Dieses Wechselspiel wird im Fokus der neuen Mainzer Forschergruppe stehen. Wo können Mediziner eingreifen, um unerwünschte Reaktionen zu unterbinden? Wo können sie erwünschte Effekte stimulieren? Gasteiger hat dazu in den letzten vier Jahren am Memorial Sloan Kettering Cancer Center und am Howard Hughes Medical Institute in New York gearbeitet. "Als ich dort begann, wollte ich mich eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigen", erinnert er sich lächelnd. "Das funktionierte überhaupt nicht. Dann stieß ich auf die ILCs."

Noch viele Fragen offen

Innate lymphoid cells könnten in vielen Bereichen eine Rolle spielen: bei Entzündungen oder Gewebeschäden, bei Tumoren oder Allergien. "Die Zellen sind zwar eben erst entdeckt worden, aber evolutionär sind sie vermutlich schon sehr alt, älter als das erworbene Immunsystem. Eventuell sind sie sogar die Zellen, aus denen später die mobilen Abwehrzellen entstanden."

Manche etablierten Kollegen bezweifeln den hohen Stellenwert der ILCs. "Sie sagen, eben weil die Zellen stammesgeschichtlich relativ alt sind, seien sie überholt. Die mobilen Abwehrzellen hätten ihre Funktion übernommen." Mittlerweile verstummen diese Stimmen jedoch mehr und mehr. "Es gibt zu viele Befunde, die auf die Wirkung der ILCs hinweisen." Diese Befunde will Gasteiger in den nächsten Jahren mehren. "Wir wagen uns auf ein eben erst entstehendes Feld, zu dem es noch viele Fragen gibt. Das ist aufregend und es hat etwas von Pionierarbeit."

In Mainz führt der Mediziner sein erstes eigenes Team. "Drei Leute habe ich schon, aber es kommen noch mehr dazu." Hier will er zumindest die kommenden fünf Jahren bleiben – und gern auch darüber hinaus. "Die Leute hier sind sehr offen und freundlich. Nach New York ist natürlich fast jede Stadt klein, aber die Größe von Mainz, die Stadt und auch das Umland gefallen mir. Außerdem sind so viele wichtige Universitäten in der Nähe. Das war mir vorher gar nicht so klar."

Gasteigers Aufbruchsstimmung ist deutlich zu spüren. Nun müssen nur noch die Geräte kommen, die Kisten müssen ausgepackt werden, dann geht es richtig los.