Flüchtlinge sind eine Chance für Deutschland

28. August 2015

Vor einem Jahr gründeten Studierende des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) am Standort Germersheim den Verein Humanity Life e.V. Hier finden vor allem Flüchtlinge aus der arabischen Welt Hilfe beim Start in Deutschland. Doch das ist erst der Anfang. Die Vereinsmitglieder haben Großes vor.

"Wir müssen mit den Flüchtlingen reden – nicht über sie", sagt Daifallah Gaber. Er sitzt im Foyer des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der JGU-Dependance in Germersheim. Hier will er erzählen, wie er und seine Mitstreiter diesen Gedanken in die Tat umsetzen.

Immer mal wieder grüßt Gaber einen vorbeilaufenden Studierenden, eine Dozentin oder einen Dozenten. Hier kennt quasi jeder jeden. Gaber schreibt im Moment an seiner Masterarbeit, nebenbei jobbt er. Er hat also einiges zu tun. Dennoch nimmt er sich Zeit, wenn es um den Verein Humanity Life e.V. geht, den er 2014 zusammen mit anderen Studierenden des Fachbereichs gegründet hat.

"Wir Dolmetscher und Übersetzer sehen uns verpflichtet, etwas für Flüchtlinge zu tun", betont Gaber. Er selbst kam 2006 aus dem Jemen nach Deutschland. Zusammen mit Armin Deiri, der aus Syrien stammt, entwickelte er die Idee für den Verein.

Barrieren und Chancen

In Syrien ist die Lage der Menschen nach vier Jahren Bürgerkrieg besonders ernst. Aber auch im Irak und in Libyen brodelt es. Leidtragende sind oft die Kinder. Die Flüchtlingslager in den Anrainerstaaten sind überfüllt, die Lebensbedingungen oft katastrophal. Aber selbst die Menschen, die es schaffen, nach Europa zu kommen, stehen vor Problemen, die sie allein kaum bewältigen können. Hier setzt Humanity Life an.

"Die meisten von uns sind schon länger ehrenamtlich als Dolmetscher für Flüchtlinge tätig", erzählt Gaber. "Ich habe Menschen zur Ausländerbehörde begleitet, zur Agentur für Arbeit oder zum Sozialamt." Ohne Übersetzung scheitern viele schon an dieser ersten Hürde: der Sprachbarriere. "Im Grunde sollte der Staat routinemäßig Dolmetscher für Flüchtlinge bestellen."

Gaber ist überzeugt: "Deutschland verbaut sich Chancen. Die Behörden merken oft gar nicht, welches Potenzial in den Menschen steckt, die hierher kommen." Außerdem müssten Flüchtlinge meist ein Jahr warten, bis sie regulär arbeiten oder ihre Kinder in die Schule schicken dürfen. "Das ist verlorene Zeit – für beide Seiten."

Der Fall eines Arztes ist für Gaber typisch. "Er hat in Syrien 10, 15 Jahre praktiziert. Im Grunde hätte er nur einen Crash-Kurs in Deutsch gebraucht, dann hätte er auch hier als Arzt arbeiten können." Doch so einfach ist es nicht.

Aufklärung und Bildung

Humanity Life e.V. informiert Flüchtlinge über die Schwierigkeiten, die sie in Deutschland bewältigen müssen, und über die kulturellen Unterschiede, die ihnen den Weg in die Zukunft erschweren. "Wir erklären zum Beispiel das deutsche Schulsystem, das völlig anders ist als das in der arabischen Welt. Eltern wissen oft nicht, wo sie ihre Kinder hinschicken sollen: In unserer Heimat haben wird nicht die Unterscheidung zwischen Berufsschule, Realschule und Gymnasium." Aufklärungsarbeit ist nötig, damit der Start in der Fremde gelingt.

Doch davor steht der Gang durch die Behörden. "Oft wissen die Sachbearbeiter gar nicht, wer da vor ihnen sitzt. So genau müssen sie es ja auch nicht wissen. Sie haben ihre Gesetze und Verordnungen, nach denen sie handeln." Gaber würde sich wünschen, dass mehr auf das Schicksal der Flüchtlinge, auf die Lage des Einzelnen eingegangen wird.

Humanity Life hilft an vielen Stationen. "Wir übersetzen zum Beispiel Zeugnisse und andere Dokumente, damit sie in Deutschland anerkannt werden." Auch auf die seelische Verfassung der Flüchtlinge haben Gaber, Deiri und ihre Mitstreiter ein Auge. "Oft haben die Menschen, die aus Syrien kommen, Schreckliches erlebt. Es sind Dinge passiert, die sie selbst nicht verarbeiten können. Sie brauchen professionelle Hilfe." Dann bemüht sich der Verein um Kontakt zu Therapeuten oder Psychologen. "Ich habe erlebt, wie gut das den Menschen tut."

Arabisch und Deutsch

Gaber weiß, dass die Kluft zwischen der arabischen und der europäischen Welt weit ist. Die Unterschiede in Kultur und Sprache sind groß. Diese Unterschiede hat er während seines Studiums in all ihren Dimensionen ausloten können. "Wenn Sie als Deutscher zum Beispiel Englisch oder Französisch lernen, ist der Sprung nicht groß. Das Arabische aber ist völlig anders als die europäischen Sprachen. Wenn ich Deutsch lerne, muss ich auch meine Kultur hinter mir lassen, um die Sprache wirklich zu beherrschen."

Einen kleinen Einblick in die Schwierigkeiten, die sich auftun, bietet Gabers Masterarbeit. Sie behandelt die deutschen Modalverben im Fach Übersetzen. Das klingt erst mal nicht aufregend – bis er es erklärt. "Im Arabischen gibt es gar keine Modalverben." Eine Formulierung wie "Die Regierung soll in den nächsten Jahren bestimmte Projekte fördern" ist dem Arabischen fremd.

"Sollen, können, dürfen – wie übersetzt man das? Da werden viele Fehler gemacht. Wenn Sie in den Nachrichten hören: 'Bei einem Unfall mussten drei Menschen sterben', ist deutschen Muttersprachlern der Sachverhalt klar. Aber wenn Sie das 'müssen' wörtlich ins Arabische übertragen, klingt es, als stecke ein Gesetz dahinter, ein Zwang oder eine Notwendigkeit, dass diese Menschen sterben mussten."

Gaber spricht mit Leidenschaft von seiner Masterarbeit und von seinem Studium. "Germersheim war eine große Chance für mich, hier bin ich gewachsen. Der Kontakt mit all den Menschen aus verschiedensten Kulturen hat mich bereichert."

Pläne und Ideen

Diese Bereicherung wünscht er auch den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen – und den Menschen, die hier mit ihnen zu tun haben. "In den Medien ist viel von Islamismus die Rede, von radikalen Moslems, die nach Deutschland kommen. Und sicher gibt es überall schwarze Schafe. Aber ich erlebe als Dolmetscher Menschen, die hier leben wollen, die sich einbringen wollen mit ihren Fähigkeiten, die teilhaben wollen an dieser Gesellschaft."

Im Moment hat der Verein Humanity Life fünfzehn Mitglieder. Die meisten studieren in Germersheim. Sie konzentrieren sich derzeit vor allem auf Bildungsprojekte und Aufklärungsarbeit. Sie helfen sehr individuell. "Wir wollen aber auch größere Informationsveranstaltungen für Flüchtlinge anbieten. Mit dem Germersheimer Bürgermeister werden wir darüber sprechen, ob er uns eine passende Halle zur Verfügung stellen kann."

Humanity Life e.V. soll kein Hobby sein für seine Mitglieder. "Wir möchten unsere Arbeit möglichst professionell betreiben. Wir würden gern bundesweit agieren und wir wollen auch den Flüchtlingen in den Lagern in Jordanien und anderswo helfen." Humanity Life steht erst am Anfang, das macht Gaber sehr deutlich im Gespräch. Das Flüchtlingsproblem ist nicht von heute auf morgen zu lösen, aber Möglichkeiten zu helfen gibt es viele. "Uns geht es darum, Chancen zu eröffnen – und das für alle Beteiligten."