Einmal durchs Universum reisen

1. Juni 2016

Die Veranstaltungsreihe "Physik am Samstag" feierte in diesem Frühjahr ihren 18. Geburtstag. Die Institute für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) bieten Schülerinnen und Schülern der Oberstufe in dieser Reihe die Gelegenheit, moderne Physik hautnah zu erleben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten von der neuesten Forschung und geben Einblick in ihre Arbeit.

Um 4 Uhr morgens ist er aufgestanden, um dabei zu sein: Johannes ist extra aus Kassel angereist. "Physik interessiert mich sehr", erzählt der 14-jährige Gymnasiast, "und dieses Angebot hier hat mich ganz besonders gereizt." Die Frage, ob er bis jetzt alles verstanden hat, interpretiert er als Hilferuf und setzt zur Erklärung an. Der Schüler fasst noch mal kurz zusammen, was er in den vergangenen Stunden gehört hat. Fachbegriffe kommen ihm locker über die Lippen – und dann schiebt er auch noch einen Exkurs über die String-Theorie nach.

"Genau solche Leute suchen wir", sagt Karl Heinz Geib. Der Maschinenbaukonstrukteur von der Arbeitsgruppe Experimentelle Teichen und Astroteilchen Physik (ETAP) am Institut für Physik der JGU begleitete von Beginn an die Veranstaltungsreihe "Physik am Samstag", die in diesem Jahr ihren 18. Geburtstag feiert. "Ich bin hier so eine Art Mädchen für alles", meint er.

Zeitreise durch die Physik

An fünf Frühlingsvormittagen luden die Institute der Physik der JGU in diesem Jahr zu umfangreichen Fachvorträgen in den Hörsaal des Instituts für Molekularbiologie (IMB) ein. Mit ihrer Reihe wollen sie vor allem Schülerinnen und Schüler der Oberstufe erreichen, aber auch andere Physikinteressierte sind willkommen. "Unser ältester Stammhörer ist 94", erklärt Geib, "der jüngste war ein hochbegabter Junge aus einer ersten Klasse."

Neben den Vorträgen gab es drei Nachmittagsveranstaltungen, die einen tieferen Einblick in die Arbeitswelt der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler boten. Sie führten in den Mainzer Teilchenbeschleuniger MAMI und in das Labor der Meteorologen. Ein Workshop des Mainzer Fraunhofer-Instituts beschäftigte sich zudem mit der digitalen Simulation von Flüssigkeitsströmungen.

Zum Finale der Saison, die unter dem Motto "Eine Zeitreise durch die Physik" stand, hält Prof. Dr. Stefan Tapprogge von ETAP einen Vortrag. "Ich werde einen weiten Bogen vom Makrokosmos zum Mikrokosmos schlagen", verspricht er, "und ich werde versuchen, so zu formulieren, dass es die Schülerinnen und Schüler verstehen. Sie sollen merken: Auch wir kochen nur mit Wasser."

Das Thema Tapprogges klingt umfassend: "Gestern, heute, morgen – unser Universum: Was lernen wir aus Experimenten der Teilchenphysik?" Er hat zweieinhalb Stunden Zeit für seine Ausführungen.
"Woher kommen wir? Woraus sind wir aufgebaut?", fragt Tapprogge in den Saal hinein. "Darauf gibt es keine finale Antwort. Aber immerhin haben wir sehr gute Theorien, die recht vollständig sind."

Unvorstellbare Größen

Der Professor richtet die Aufmerksamkeit der Zuhörer zunächst hinaus ins Weltall, in den Makrokosmos. Er macht klar, mit welchen Größenordnungen hier zu rechnen ist: Die Erde hat einen Durchmesser von rund 12.700 Kilometer, sie kreist in einem mittleren Abstand von 150.000.000 Kilometern um die Sonne. "Das sind Größen, die für uns – und das sage ich als Physiker – nicht mehr wirklich vorstellbar sind." Dabei ist das erst der Beginn. Es geht weiter hinaus ins Universum.

Tapprogge erklärt, wie sich Entfernungen und Geschwindigkeiten im Makrokosmos berechnen lassen. Er zeigt Aufnahmen, Grafiken und kurze Filme. Zu alledem hat der institutseigene Vorlesungsingenieur Peter Motzko einen Reigen anschaulicher Experimente vorbereitet. Das Niveau des Vortrags ist recht hoch. Auch vor etwas umfangreicheren Formeln schreckt Tapprogge nicht zurück.

"Wir bieten in 'Physik am Samstag' momentan bewusst keine populärwissenschaftlichen Vorlesungen an", sagt Dr. Christian Schneider, der seit zwei Jahren für die Veranstaltungsreihe verantwortlich ist. "Trotzdem habe ich diesmal in den Fragebögen, die ich regelmäßig austeile, die Frage gestellt, ob sich die Leute zusätzlich populärwissenschaftliche Vorträge wünschen, etwa zu Themen aus James Bond oder Star Trek. Wir sind nämlich immer bereit, unser Angebot zu modifizieren." Die Auswertung der aktuellen Bögen steht allerdings noch aus.

CERN und ATLAS

Tapprogge taucht im zweiten Akt seines Vortrags in den Mikrokosmos ab, in die Welt der Teilchenphysik. Es geht um Quarks und Elektronen, um die Kräfte, die zwischen ihnen wirken. In einem dritten Schritt wendet er sich den Werkzeugen der Teilchenphysik zu. Neben dem Mainzer Teilchenbeschleuniger MAMI stellt Tapprogge vor allem den Beschleuniger Large Hadron Collider (LHC) des CERN am Genfer See vor. Dort hat er selbst drei Jahre als Wissenschaftler gearbeitet, und bis heute ist seine Arbeitsgruppe an einem der vier großen LHC-Projekte beteiligt: dem ATLAS-Experiment.

Am Ende stellt Tapprogge eine Verbindung zwischen Makro- und Mikrokosmos her: Die Teilchen, nach denen die Forscherinnen und Forscher am CERN-Beschleuniger und anderswo suchen, geben Aufschluss über den frühen Zustand des Universums, und sie weisen darauf hin, dass es mehr geben muss als das, was bis jetzt sichtbar ist. Nur vier Prozent des Energie-Materie-Inhalts des Universums sind zurzeit nachweisbar. 23 Prozent bestehen aus der Dunklen Materie, 73 Prozent aus Dunkler Energie.

"Ich finde, der Vortrag war noch recht einfach gehalten", meint Tina beim Hinausgehen. "Es gab nicht zu viele Formeln", lobt die 17-Jährige, "dafür aber jede Menge Experimente. So was können wir in der Schule gar nicht machen."

Acht Schülerinnen und Schüler kamen heute mit ihrem Lehrer extra aus Montabaur. Sie sind das erste Mal da: "Ich fand die Veranstaltung vom Format her gut", erzählt der 16-jährige Jakob. "Das Niveau ist ein bisschen höher als bei uns im Unterricht, aber das hat der Professor gut hinbekommen." Die Gruppe überlegt, ob sie im nächsten Jahr mit einem Bus anreist. "Dann können mehr mitkommen."

240 Tortenstücke

"Wir haben ein recht großes Einzugsgebiet", erklärt Schneider. Auch deswegen dauern die Vorträge inklusive Pause rund drei Stunden. Wer eine lange Anreise in Kauf nimmt, möchte einiges geboten bekommen.

Für "Physik am Samstag" arbeitet Schneider mit einem ganzen Team. Die Vorbereitung ist aufwändig, doch sie lohnt sich. "Zur Geburtstagsfeier selbst hatten wir 240 Gäste", berichtet er. Geib zeigt ein Foto auf seinem Handy. Es zeigt eine ungeheure Torte. Als bunte Glasur sind die Embleme der zahlreichen Unterstützer von "Physik am Samstag" zu erkennen. "Wir haben 240 Stücke geschnitten."

Zum letzten Vortrag der Saison waren nicht ganz so viele gekommen. Die Erklärung dafür drängt sich auf, als die knapp 100 Schülerinnen und Schüler aus dem Hörsaal ins Tageslicht treten. Es ist ein sonniger, warmer Tag, der zum Stadtbummel einlädt, zum Grillen oder zum Treffen mit Freunden. Doch das alles zählte für Johannes, Tina und Jakob nicht. Sie wollten "Physik am Samstag" erleben.