Mario Adorf kehrt zurück an seine Universität

22. November 2016

Anlässlich des Jubiläums "70 Jahre Wiedereröffnung der JGU" kam einer zur Stippvisite auf den Mainzer Campus, der hier schon ganz früh studierte: Auf Einladung des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. erzählte der bekannte Schauspieler Mario Adorf von seinen vier Semestern in Mainz, von den Schwierigkeiten in knappen Zeiten, von Hunger, Wissensdurst und beeindruckenden Professoren.

Als Mario Adorf im Sommer 1950 an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) kam, war das eine völlig fremde Welt für ihn. Er wollte sich immatrikulieren lassen. Die zuständige Sekretärin versuchte herauszufinden, welche Fakultät er sich denn ausgesucht habe. Das allerdings gestaltete sich schwierig. "Fakultät?", fragte der junge Mann hilflos. "Weiß ich nicht." Die Sekretärin insistierte: "Ja, Sie müssen doch irgendeine Fakultät besuchen." – "Ich dachte, das hier ist eine Universität. Da kann man doch alles studieren." Das wirkte, die Sekretärin lenkte ein: "Kommen Sie doch mal rein", meinte sie, "vielleicht ist was für Sie dabei."

Mit dieser und einer ganzen Reihe weiterer Anekdoten begeisterte Mario Adorf das Publikum im größten Hörsaal der JGU. Der 86-Jährige war auf Einladung des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. (IGL) auf den Campus gekommen. Das Jubiläum "70 Jahre Wiedereröffnung der JGU" bot einen willkommenen Anlass, den großen Schauspieler wieder einmal an seine alte Universität zu locken. "Wir haben unser Jubiläum mit einem bunten Strauß von Veranstaltungen gefeiert", meinte JGU-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch in seinem Grußwort. "Dies ist die letzte große Veranstaltung."

"Tiefe Stimme, mäßig begabt"

Der Leiter des IGL, Prof. Dr. Michael Matheus, begrüßte mit Adorf einen persönlichen Freund. Er lernte den Schauspieler in Rom kennen und schätzen. Nun freute er sich auf die Erzählungen eines Zeitzeugen aus den Anfangsjahren der Universität.

Zur Einstimmung hatte der Historiker ein Dokument aus dem Jahr 1951 mitgebracht. Damals waren 39 Herren ins Mainzer Studio des Südwestfunks gekommen, um ihre Eignung als Sprecher zu erproben. Jemand hatte danach die Liste der Namen mit Kommentaren versehen. Bei Hanns Dieter Hüsch stand "Außenseiter". Er wurde zu einem der wichtigsten Kabarettisten der Nachkriegszeit. Zu Adorf war vermerkt: "Jugendlicher Held und Liebhaber, weiche, tiefe Stimme, mäßig begabt, nur kleine Aufgaben". Das sahen viele Leute später völlig anders: In über 200 Film- und Fernsehrollen feierte Adorf große Erfolge.

In einer Gesprächsrunde mit Bernhard Nellessen, dem langjährigen Fernsehdirektor des SWR, und dem rheinland-pfälzischen Kulturstaatssekretär Prof. Dr. Salvatore Barbaro sollte es nun aber nicht um die Schauspielkarriere Adorfs gehen, sondern um jene vier Semester, die er von 1950 bis 1952 an der JGU verbrachte.

Adorf, 1930 in Zürich geboren, wuchs in Mayen in der Eifel auf. Die Mutter zog ihn allein groß – ohne den italienischen Vater. Im Alter von 20 Jahren machte sich Adorf auf den Weg in die Landeshauptstadt. Er sah das zerbombte Mainz. "Also erstaunt war ich nicht", meint er. "Mayen war damals zu 85 Prozent zerstört. Schäden baulicher Art haben mich nicht mehr verstört." Ein anderer Ort interessierte ihn sowieso viel mehr: "Die Universität lag außerhalb und war beschränkt auf einen Kasernenkomplex."

Die Frage des Essens

Folgerichtig hat Adorf nur blasse Erinnerungen an das Mainz der 1950er-Jahre. "Es gab kaum Restaurierungen oder Orte, wo man sich amüsieren konnte." Immerhin habe er Gaststätten mit Studentenessen für 1,05 Mark vorgefunden – und Kinovorstellungen für eine Mark. Adorf hatte aber nur wenig Geld. Er musste sich entscheiden: Essen oder Kino.

"Für uns war damals die Frage des Essens entscheidend. Es war eine Zeit, in der man immer Hunger hatte." Auf dem Campus half die Hoover-Speisung für 2 Mark pro Monat. "Wir wanderten mit Kochgeschirr und Löffel zu einer Gulaschkanone auf freiem Feld." Adorf zitiert einen Reim, mit dem die bereits verköstigten Studierenden regelmäßig über die Versorgungslage informierten: "Was es gibt? Ihr könnt es raten: wieder Nudeln mit Tomaten."

Allerlei Jobs mussten her, um den Studenten über die Runden zu bringen. Für 99 Pfennige die Stunde arbeitete er auf dem Bau. Beim Mainzer Glashersteller Schott bekam er als Eisenflechter und Eisenbieger immerhin 1,53 Mark. Über die Caritas fand Adorf zur Jugendfürsorge. Nach einer Grippewelle war dann die Personaldecke so dünn, dass auch noch Männer- und Gefängnisfürsorge hinzukamen. "Die Arbeit im Gefängnis war eine tolle Erfahrung", meint der 86-Jährige ernst und setzt lächelnd hinzu: "Aus den Zeitschriften musste ich in Nachtarbeit alle Büstenhaltermodelle herausschneiden. Nacktfotos gab es da noch nicht."

"Wir mussten erstmal was lernen"

Adorf studierte Philosophie, Psychologie, Kriminologie, Literatur, Musikgeschichte und Theaterwissenschaften. Gesprächspartner Nellessen staunt über diese breite Palette an Fächern. "Wir mussten erstmal was lernen", erwidert Adorf, "wir wussten gar nichts." Der Krieg und die Nazis hatten viel verschüttet – buchstäblich, wie auch im übertragenen Sinn. "Deswegen kam auch das Studium generale zustande."

Wenn Adorf von seinen Professoren erzählt, gerät er ins Schwärmen: "Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt." Besonders erinnert er sich an Karl Holzamer, den außerordentlichen Professor für Philosophie und späteren ZDF-Intendanten. "Ich höre ihn heute noch. Später habe ich mich gut mit ihm verstanden. Ich habe ihn besucht ... bis zu seinem 100., glaube ich."

Mit Prof. Dr. Friedrich Hirth, einem österreichischen Literaturwissenschaftler jüdischer Abstammung, erlebte Adorf ein Original. "Professor Hirth, der mich an Reich-Ranicki erinnerte und genauso sprach, meinte in einer Vorlesung: 'Die Schweizer Literatur, da sage ich nur zwei Namen: Dürrenmatt und Frisch. Dürr und matt und überhaupt nicht frisch.'"

Zwar wagte sich Adorf bereits in Mainz auf eine Studentenbühne, war aber noch weit davon entfernt, an eine Karriere als Schauspieler zu denken. "Wenn man damals in Mayen gesagt hätte: Ich will Schauspieler werden – das wäre absurd gewesen." Erst in Zürich, wo er ab 1953 studierte, dämmerte es ihm, welche Richtung er einschlagen würde. Nach einem Jahr brach er sein Studium ab und wechselte für eine Schauspielausbildung nach München, wo er von 1955 bis 1962 ein Engagement bei den Kammerspielen bekam. Damit waren die Weichen für die Zukunft gestellt, das Studium war Vergangenheit.

Enthüllung einer Boxernase

Zum Abschluss des Abends auf dem Gutenberg-Campus hat Prof. Dr. Michael Matheus noch eine Überraschung für den prominenten Gast parat: Der Speyerer Bildhauer Thomas Duttenhoefer ist gekommen. Ihm stand der Schauspieler mehrfach Modell. Nun darf Adorf die Frucht dieser Arbeit vor dem Mainzer Publikum enthüllen und mit nach Hause nehmen: eine Büste mit seinem Konterfei.

Adorf posiert mit dem Kunstwerk, vergleicht das Profil, stellt sich grinsend Nasenspitze an Nasenspitze. "Sie haben geboxt?", fragt Duttenhoefer nach. Adorf nickt. Auch das begann bereits in Mainz, in einer Studentenboxstaffel. "Das sieht man Ihrer Nase an", sagt der Bildhauer. Der Schauspieler greift sich ins Gesicht, fühlt nach und lächelt. "Meinen Sie?"